VON SÜß BIS ÜBERFRACHTET : Pseudotiefe Freunde
Nils Schuhmacher
Aus der Regentonne dringt eine Stimme, die sich Sänger Brad Hargett wohl bei Ian Curtis geliehen und noch um einige zusätzliche Gesangsnoten ergänzt hat. Dazu spielen Crystal Stilts großräumig verhallten Garage-Postirgendwas-Wave im Midtempo-Bereich, der scheinbar angetreten ist, die Zackigkeit und Niedergeschlagenheit von Joy Division mit der Poppigkeit von Velvet Underground zu vermählen. Schwelgerische Orgelmelodien und prägnante, zwischen Surf und Psychedelic angesiedelte Gitarren pflastern jedenfalls trotz neuer Aufgeräumtheit auch die Songs auf dem jüngst erschienenen dritten Album der New Yorker. Wem Interpol schon immer zu schnöselig waren, wer seit über 20 Jahren findet, dass Jesus & the Mary Chains ohne ihren scheppernden Gothic-Sound besser geklungen hätten, wer mal eine depressive Surf-Band sehen will, die ironisch mit den Schultern zuckt, könnte an dieser Band seine oder ihre Freude haben. Di, 19. 11., 20 Uhr, Hafenklang
Entschuldigung an dieser Stelle an alle, die viel bessere Kriterien zugrunde legen, aber: Dieses Duo verdient sich seine Ankündigung auch wegen seiner Bandfotos. Wahlweise schlecht koloriert oder weichgezeichnet stehen die beiden Beteiligten auf ihnen herum – mal legt Rocky Tinder (lange Haare als Nichtfrisur) den Arm schützend um Eric Phipps (lange Haare als Frisur plus Schnurrbart), ein anderes Mal guckt man nur verstrahlt in die Ferne, wo Tinder etwas Verheißungsvolles entdeckt hat, während Phipps einfach nur kurzsichtig ist. Kurzum: Freunde müsste man sein. Man kann dann auch doof aussehen und sich offenkundig verkleidet haben: Man wird dennoch mehr „süß“ als „affig“ gefunden oder es ist einfach egal. Und genauso verhält es sich auch mit der Musik von Wampire, die auch irgendwie verkleidet daherkommt. Eine Zeit lang beschallte man gemeinsam die House-Szene von Portland mit elektronischer Tanzmusik, dann montierte man auf diesen Korpus Gesang, ein wenig Gitarre und ein paar kleine Melodiechen, zerschnitt das Ergebnis in popsong-kompatible Längen und warf 2013 ein Debütalbum auf den Markt. „Curiosity“ klingt – man beachte den Namen – wie ein wohlkalkuliertes „Überraschungspaket“, in dem alles Mögliche vorhanden ist und keine Referenz unangetastet blieb. Geboten wird eine gut durchlaufende und tanzbare Mischung aus 60er-Jahre-Orgel und 80er-Jahre-Synthie – ein Kaugummi klebt sicher auch noch dran. Mi, 27. 11., 20 Uhr, Molotow
Es ist nun einmal so: Hans Unstern gehört offenbar nicht zu den „bekannten Singer-/Songwritern“ des Landes. An der Realisierung der „spannenden Idee“, sie Märchen vorlesen zu lassen – wie unlängst tatsächlich geschehen –, war er jedenfalls nicht beteiligt. Obwohl es ihm nach eigenen Worten doch darum geht, „der Wirklichkeit eine Absage zu erteilen“. Vielleicht möchte er sich aber auch nicht mit der allgemeinen regressiven Tendenz gemein machen, die in diesen Aktivitäten sans phrase zum Ausdruck kommt. Auch ansonsten heben sich die Texte dieses „Spezialfalls“ wohltuend von der allgemeinen Pseudotiefe des Genres ab – tendieren allerdings auch zu lyrischer Überfrachtung: Neben Musik verantwortet der Mann denn auch Gedichtbände und seine Songs sind schwer zu verortende Klapperkisten aus Gitarre und Elektronik. Über das immer etwas kleinkunsthaft wirkende Schaffen hinaus ist über den Berliner aber wenig bekannt – und das ist doch auch mal schön. Mi, 27. 11., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich