piwik no script img

Archiv-Artikel

Aus Versehen erstochen

Ein 23-Jähriger ist angeklagt, einen 19-Jährigen während einer Schlägerei auf der Discomeile erstochen zu haben. Zum Prozessauftakt erklärte er, er habe das nicht gewollt. „Es war Notwehr“

von Eiken Bruhn

„Er wollte einfach in die Disco gehen“, erklärt die Frau ihrem Begleiter. Immer wieder bleiben Passanten an der Gedenktafel stehen, die auf dem Platz „Auf der Brake“ an Osman D. erinnert. Auf diesem trostlosen Verbindungsstück zwischen Breitenweg und Wallanlagen wurde der 19-Jährige am 19. November vergangenen Jahres erstochen – während einer Schlägerei vor der Disco La Viva. „Er wurde Opfer sinnloser Gewalt“, haben Angehörige und Freunde auf das Schild geschrieben. Und: „Schwört der Gewalt ab, denn niemand hat das Recht zu töten“.

Er habe den von Tod Osman D. nicht gewollt, verteidigte sich gestern ein 23-Jähriger, der vor dem Bremer Landgericht wegen Totschlags angeklagt ist. Während des nur eine halbe Stunde dauernden ersten Verhandlungstags schwieg er, ließ aber über seinen Anwalt eine Erklärung verlesen. Darin gibt er die Tat zu, beruft sich jedoch darauf, aus Notwehr gehandelt zu haben. Sollte das Gericht dieser Darstellung folgen, könnte er freigesprochen werden.

Er sei an dem Abend wie alle anderen Araber, Kurden und Türken aus der Discothek La Viva – dem ehemaligen UFA-Kino am Breitenweg – rausgeschmissen worden, gibt Gerichtssprecher Stephan Haberland die Ausführungen des Angeklagten wieder. Zuvor war dort ein Streit eskaliert, in den ein Bekannter des Angeklagten verwickelt gewesen sei. Draußen habe er sich eigentlich aus dem Staub machen wollen wie seine Freunde, sei dann aber von einer Gruppe angegriffen worden. „Zur Abschreckung“ habe er sein Taschenmesser gezogen. Dass er damit Osman D. eine Stichwunde unterhalb des Schlüsselbeins zufügte, will er nicht gemerkt haben. „Es hat ihn gewundert, als er später hörte, dass es einen Toten gegeben hat“, berichtet Haberland.

In dem Prozess soll auch geklärt werden, ob Osman D. sterben musste, weil er nicht schnell genug behandelt wurde. Diesen Vorwurf hatten die Eltern des Getöteten, die als Nebenkläger auftreten, kurz nach dem Vorfall erhoben. Die Polizei habe nicht schnell genug reagiert, weil der Verletzte ein Türke gewesen sei. Die Polizei hatte diese Anschuldigungen damals zurückgewiesen. In den nächsten Verhandlungstagen sollen Zeugen und gerichtsmedizinische Gutachten helfen, die genauen Umstände des Todes aufzuklären.

Unklar ist derzeit noch, ob beim nächsten Mal wieder ein großes Polizeiaufgebot den Prozess begleiten wird. Gestern saßen Mitglieder eines Sondereinsatzkommandos mit Sturmmasken im Publikum, um mögliche Racheakte zu verhindern. Die Eltern des Getöteten erklärten daraufhin, dass sie ausdrücklich keine Blutrache nehmen wollten und dieses auch allen Angehörigen mitgeteilt hätten. „Der Vorsitzende Richter hat sich nach der Verhandlung mit den Eltern zusammengesetzt, um diese besser kennen zu lernen“, sagte Gerichtssprecher Haberland. Eine Entscheidung zu den Sicherheitsvorkehrungen werde in den nächsten Wochen fallen. Einen Zusammenhang mit anderen Gewalttaten auf der Discomeile schloss er ausdrücklich aus.