: „Wir haben Verständnis für Assistenzärzte“
Die Ärzte streiken für 30 Prozent mehr Gehalt. Doch wichtiger wäre ein gerechter Lohn für das Pflegepersonal – und die Abschaffung von teuren Doppelstrukturen im deutschen Gesundheitssystem, so der DGB-Mann Stapf-Finé
taz: Wir erleben derzeit den größten Ärztestreik in der Geschichte der Bundesrepublik. Freut Sie das als Arbeitnehmervertreter?
Heinz Stapf-Finé: Es ist problematisch, dass einzelne Berufsgruppen Sonderwege gehen. Der Marburger Bund sollte sich mit seinen Forderungen einreihen bei den übrigen Beschäftigten des Gesundheitssystems.
Fühlt sich der DGB als Dachorganisation der Arbeitnehmervertretungen eigentlich noch zuständig für die Ärzte? Oder ist das eine privilegierte Klientel, die ihr eigenes Ding durchzieht?
Wir fühlen uns für das Thema Gesundheitspolitik und die im Gesundheitswesen abhängig Beschäftigten zuständig. Und wir haben besonders die Sichtweise der Patienten und der Versicherten im Blick.
Was bedeutet die Forderung nach 30 Prozent mehr Gehalt für die Versicherten?
Die Mehrkosten im Gesundheitssystem würden sich auf etwa 5 bis 7 Milliarden Euro summieren. Nun sind die Ausgaben im Krankenhausbereich budgetiert, das heißt, die Krankenhäuser müssten ihrerseits in den Verhandlungen mit den Krankenkassen versuchen, die Kostensteigerung auf diese zu übertragen. Das würde bedeuten, dass die Beitragssätze um 0,7 Prozent stiegen. Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass die vollen 7 Milliarden Euro beitragssatzwirksam werden. Eher werden Arbeitsdruck und Wochenarbeitszeit in den Kliniken steigen und Ärztestellen gestrichen. Im Endeffekt verschlechtert sich damit die Versorgung der Patienten.
Kann man das als Kritik am Ärztestreik auffassen?
Wir haben Verständnis für die Forderungen der Assistenzärzte, die in der Hierarchie der Krankenhausärzte weit unten stehen und die häufig befristete Verträge haben. Wir sehen deshalb innerhalb der Ärztehierarchie Verbesserungsbedarf. Aber auch das Verhältnis der Pflegeberufe zur Ärzteschaft muss verbessert werden.
Die Pfleger streiken für die 38,5-Stunden-Woche, und auch der Marburger Bund fordert den Abbau von Überstunden – selbstverständlich mit vollem Lohnausgleich. Die Kliniken sehen eine Kostenlawine auf sich zurollen. Wie sollen die Kosten aufgefangen werden?
Alle Beteiligten, die Politik und die Tarifparteien, sollten an den Verhandlungstisch zurückkehren und mit der nötigen Ruhe ein Konzept ausarbeiten.
Schlagen Sie eine neue konzertierte Aktion im Gesundheitswesen vor?
Nein, nein, das erinnert eher an einen Quasselclub. Wir brauchen Taten. Ziel muss sein, eine gerechtere Entlohnung innerhalb der Ärzteschaft durchzusetzen und die Lohnunterschiede zwischen Pflegepersonal und Ärzteschaft zu verringern. Die Arbeitszeitmodelle müssen so gestaltet werden, dass der Arbeitsdruck ein Stück weit rausgenommen wird. Schließlich muss das Geschehen für die Patienten transparenter gemacht werden.
Höhere Gehälter für Ärzte und Pfleger gehen letztendlich zu Lasten der Beitragszahler. Wie lösen Sie diesen Widerspruch – einerseits Arbeitnehmervertretung zu sein und andererseits die Interessen der Versicherten zu verfechten?
Interessenkonflikte sind nicht vermeidbar. Aber ich sehe genügend Reserven für mehr Wirtschaftlichkeit und Effektivität im Gesundheitssystem.
Welche strukturellen Reformen schlagen Sie vor?
Wir leisten uns als einziges Land den Luxus, dass wir die gleiche Anzahl an Fachärzten im niedergelassenen Bereich und im Krankenhausbereich vorhalten. Eine solche Doppelstruktur ist in dieser krassen Form nicht notwendig. Die Krankenhäuser könnten neue Geschäftsfelder erschließen, indem sie die Fachversorgung ambulanter Art vornehmen und zu Gesundheitszentren ausgebaut werden.
Sie wollen die niedergelassen Fachärzte arbeitslos machen?
Nein, die Umstrukturierung erfolgt ja nicht auf einen Schlag. Das ist ein mittelfristiger Prozess, der zehn bis fünfzehn Jahre dauert. Aber er muss jetzt angegangen werden.
Es gibt also keinen Ärztemangel in Deutschland, wie der Marburger Bund stets behauptet, sondern eine Überversorgung?
Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen Berlin und der Uckermark, Stadt und Land, West und Ost. Aber letztendlich leisten wir uns schon eine sehr satte Versorgungsstruktur.
INTERVIEW: ANNA LEHMANN