piwik no script img

Archiv-Artikel

„Deutschland macht uns kaputt“

INTEGRATION Vor 20 Jahren wurde die kurdische Arbeiterpartei PKK verboten. Noch heute fühlen sich viele Kurden wie Terroristen behandelt – so auch Roza Tasdögen und Murat Irey aus Potsdam

VON CHRISTIAN JAKOB UND ANNA LEHMANN

Die kurdischen Eheleute fühlen sich wie Staatsfeinde behandelt. Als Terroristen kann man sich Roza Tasdögen und Murat Irey kaum vorstellen. Sie studiert und arbeitet für das diakonische Werk in Potsdam, ihr Mann war in der Türkei selbständiger Ingenieur und erledigte auch Aufträge für die Nato. Seit Monaten warten sie auf gültige Aufenthaltsdokumente. „Wie lange müssen wir noch warten?“, fragt sie. „Bis an unser Lebensende?“

Bei der Ausländerbehörde sagte man ihnen zuletzt die Sicherheitsanfrage laufe noch. Landeskriminalamt und Verfassungsschutz prüfen, ob hier lebende Ausländer eine Gefahr für die Bundesrepublik sind. Bei Personen aus bestimmen Staaten und Herkunftsgebieten ist dabei laut einer Verwaltungsvorschrift des Brandenburger Innenministeriums aus dem Jahre 2006 „immer eine Sicherheitsanfrage durchzuführen“. KurdInnen zählen dazu.

Fälle, wie den des Paares aus Potsdam, gibt es viele, seit der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) vor genau 20 Jahren ein Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK und einer Reihe von Unterorganisationen ausgesprochen hatte.

In jener Zeit eskalierte der Krieg zwischen der türkischen Armee und den separatistischen Kurden im Südosten des Landes. Deutschland war Nebenkriegsschauplatz. Nicht nur weil hierher viele KurdInnen geflohen waren, es stand auch der Vorwurf im Raum, die türkische Armee setze ausgemusterte Panzer der NVA ein, um kurdische Dörfer zu überrollen. Im Juni 1993 überfielen KurdInnen das türkische Generalkonsulat in München und nahmen 20 Geiseln. Deutschland sollte der Türkei die politische Unterstützung für den Feldzug gegen die KurdInnen entziehen. Doch Helmut Kohl weigerte sich, ein kritisches Wort über den Nato-Partner zu sagen.

Zunächst wollte Kanther auch die Kulturvereine verbieten, in denen viele in Deutschland lebende Kurden organisiert sind. Doch Gerichte verhinderten das – es war nicht gelungen, nachzuweisen, dass auch von den Kulturvereinen kriminelle Aktivitäten ausgehen. Gleichwohl stehen die Vereine bis heute unter dem Generalverdacht, der PKK nahezustehen – und die dort aktiven KurdInnen ebenfalls.

Tausende KurdInnen wollen deshalb am Samstag in Berlin für die Aufhebung des Verbots demonstrieren. „Das PKK-Verbot schlägt für die KurdInnen auf vielen Ebenen durch“, sagt der Bremer Rechtsanwalt Albert Timmer, der in den letzten Jahrzehnten Hunderte KurdInnen vertreten hat. Fast immer ging es dabei auch um sogenannte „Sicherheitsbedenken“.

„Der Vorwurf, terroristische Aktivitäten zu unterstützen, kann sehr weit gefasst werden“, sagt Timmer. „Der Staat nutzt es nicht immer, aber er hat mit dem Verbot die Möglichkeit, breit gegen Aktivitäten vorzugehen.“ Wenn es um PKK-Unterstützung geht „hat man ganz schnell einen Anfangsverdacht hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Vereinsverbot, dann bekommt man auch ganz schnell einen Durchsuchungsbeschluss oder die Genehmigung, Telefone abzuhören“. Teils werden Aktivitäten der Vereine toleriert, dann aber wieder an der Repressionsschraube gedreht – je nach politischer Konjunktur oder Gutdünken von Polizei, Ausländerbehörden oder Verfassungsschutz.

Das betrifft nicht nur politische Aktivitäten, sondern auch das alltägliche Leben vieler KurdInnen: Ihnen kann Asyl versagt oder bereits erteiltes Asyl wieder entzogen werden, wenn sie der PKK-Nähe für schuldig befunden werden – obwohl genau dies teils die Ursache für ihre Verfolgung in der Türkei ist. Auch die Familienzusammenführung, die Erteilung oder Verlängerung von Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnissen kann an „Sicherheitsbedenken“ scheitern, genauso wie die Einbürgerung. Dabei müssen die vom Verfassungsschutz vorgetragenen „Bedenken“ mit Verweis auf „Quellenschutz“ der V-Männer nicht weiter belegt werden. „Das macht es natürlich extrem schwierig, einen Gegenbeweis zu führen“, sagt Timmer.

Auch Roza und Murat haben einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Dann bekäme auch Murat Irey eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis: „Ich könnte sofort anfangen zu arbeiten“, sagt er. „Stattdessen habe ich nur das.“ Irey zieht ein grünes Papier aus der Tasche. „Aufenthaltsgestattung“ steht drauf, drinnen vermerkt ist: „Erwerbstätigkeit nicht gestattet/Ausbildung nicht gestattet/Studium nicht gestattet.“

Liegt es an ihrem politischen Engagement in der Türkei, fragt sich seine Frau? Roza Tasdögen hatte sich als Studentin für die Rechte der Kurden engagiert. Mit der PKK habe sie aber nichts zu tun gehabt, sagt sie. Trotzdem holte sie die türkische Polizei immer wieder ab und sperrte sie ins Gefängnis. Sie wurde gefoltert, heute, mit 38 Jahren, braucht sie ein Hörgerät. 2004 floh sie nach Deutschland, versteckt in einem Lkw. Sechs Jahre dauerte es, bis die Bundesrepublik sie offiziell als Flüchtling anerkannte. An dem Tag, an dem sie ihren grünen Pass erhielt, weinte sie. Sie besuchte Deutschkurse, schrieb sich für eine Studium ein und bekam Arbeit.

Doch ihr Pass, auf den sie so lange warten musste, ist seit August abgelaufen. Seit zwei Monaten wartet sie auf eine Verlängerung. Auch ihr Einbürgerungsantrag, den sie vor einem Jahr stellte, liegt auf Eis. Zunächst müssten noch Auskünfte vom Verfassungsschutz, der Polizei und des Bundesamts der Justiz eingeholt werden, schreibt das Innenministerium Brandenburgs. Roza Tasdögen und ihr Mann sind verzweifelt. „Wir wollen uns integrieren. Aber Deutschland macht uns kaputt.“