Schöne Schwebe

LIEBESGESCHICHTEN Daniyal Mueenuddin schafft mit seinem Debütroman ein fulminantes Gesellschaftsporträt Pakistans

Der Autor sieht seinen Figuren mit professioneller Mitleidlosigkeit beim Scheitern zu

VON SHIRIN SOJITRAWALLA

Der einflussreiche Landbesitzer K. K. Harouni ist das Zentrum, um das alle acht Geschichten rotieren. Seine Verwandten und Angestellten stellen das Personal. Daniyal Mueenuddin verknüpft die acht Episoden zu einem Roman, der vor allem von der Kluft zwischen den Menschen erzählt. Der Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Männern und Frauen, Herren und Knechten sowie der Kluft zwischen den Nationen.

Schon der poetische Titel „Andere Räume, andere Träume“ kündet von dieser Kluft. Dabei blickt der 1963 geborene pakistanische Autor all seinen unterschiedlichen Figuren gleichermaßen in den Kopf. Wie etwa der aufstiegsgierigen, 24 Jahre alten Saleema, die ganz gezielt nach Männern Ausschau hält, die ihr auf ihrem Weg nach oben dienen könnten. In Rafik, dem Fahrer, hat sie ihn scheinbar gefunden, doch der Mann birgt ein Geheimnis, und Saleema sinkt am Ende tiefer als zuvor.

Wie überhaupt Mueenuddins Figuren kein Happy End beschieden ist. Am Ende bleiben sie, wenn sie überhaupt noch leben, mit ihren Sehnsüchten allein. Der Autor begleitet sie mit großer Empathie und sieht ihnen mit professioneller Mitleidlosigkeit beim Scheitern zu und beweist ein besonderes Talent für die Gestaltung außergewöhnlich eigenwilliger Frauenfiguren.

„Sex and the City“ in Islamabad

Die schillerndste von ihnen ist Lily, Hauptfigur der gleichnamigen Geschichte. Lily ist ein Jet-Set-Fräulein, eine Partyqueen, die „Sex and the City“ in Islamabad praktiziert, also Wodka wie Liebe konsumiert. In New York hat sie in nur einem Jahr eine „vollständige Parallelerziehung“ erhalten. Die Heirat mit Murad bugsiert sie später auf eine abgeschiedene Farm, auf der ihre Vergnügungssucht ins Leere läuft.

Aus dieser Konstellation formt Mueenuddin eine bewegende Liebesgeschichte, deren Ende er wie so viele andere in diesem Band in schönster Schwebe hält. Diese Dezenz trägt nicht wenig zum Charme des Buchs bei. Eine der bewegendsten Geschichten erzählt vom Wanderarbeiter Rezak, der sein mobiles Zuhause immer dabeihat und sich in ein schwachsinniges Mädchen verliebt, das er heiratet. Als sie verschwindet, macht er sich auf die Suche nach ihr und gerät in die Fänge staatsdienstlicher Folterer, die ihn quälen wie ein Tier. Unaufgeregt, aber detailgenau erzählt Mueenuddin davon und offenbart nebenbei die Unerbittlichkeit der pakistanischen Klassengesellschaft.

Sprachlich und stilistisch, zumal in der deutschen Übersetzung, mögen seine Geschichten kein Aufsehen erregen, in ihrer schmucklosen Solidität und trostlosen Ernsthaftigkeit überzeugen sie aber dennoch.

Versuch, die Kluft zu überwinden

Dabei handelt es sich fast ausnahmslos um Liebesgeschichten. An ihnen zelebriert der Autor die Überwindung der Kluft oder vielmehr den Versuch der Überwindung. Dafür begibt er sich ganz nach unten zu den niederen Angestellten und ganz nach oben zum reichen Landbesitzer Harouni selbst.

Es ist auch die von ihren Gegensätzen geprägte Vielfalt der pakistanischen Gesellschaft, die er vorführt. Er selbst wuchs in Lahore und Elroy, Wisconsin auf und lebte nach seinem Jurastudium einige Jahre in New York. Mittlerweile wohnt er wieder in Pakistan. Und wie nicht anders zu erwarten von einem Autor, der beide Welten kennt, findet auch der Gegensatz US-Amerika Pakistan Eingang in seine Geschichten, wenn auch viel zarter, als man vermuten könnte.

In der Episode „Unsere Lady of Paris“ begegnen wir der jungen Amerikanerin Helen und ihrem pakistanischen Freund Sohail. Ihre Liebe wittert feinnervig ihrem Ende entgegen und rührt auch deswegen, weil Mueenuddin es versteht, zwei Erfahrungswelten kurzzuschließen, ohne sie gegeneinander auszuspielen.

 Daniyal Mueenuddin: „Andere Räume, andere Träume“. Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. Suhrkamp, Berlin 2010, 286 S., 19,90 Euro