: „Ehe von Flüchtlingen ist weniger geschützt“
Ausländerbehörden messen den Familien von Flüchtlingen keinen großen Wert bei, sagt Rechtsanwältin Sabine Schmiesing. Im Herkunftsland zum Beispiel von Imamen geschlossene Ehen würden oft nicht anerkannt
taz: Frau Schmiesing, in welchem Fall wäre die Trennung eines Kindes von seiner Mutter durch Abschiebehaft gerechtfertigt?
Sabine Schmiesing: In gar keinem Fall. Es sei denn, es wird ganz klar festgestellt, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Und das kann die Ausländerbehörde nicht allein entscheiden. Da müsste das Jugendamt eingeschaltet werden. Aber in der Regel, wie auch im Fall von Grace O., werden Familien vor der Abschiebung nicht inhaftiert, sondern direkt von zu Hause abgeholt und zum Flughafen gebracht.
Offenbar werden immer wieder Familien durch Abschiebung auseinander gerissen. Warum?
Das kann zum Beispiel Familien treffen, die rechtlich keine Verbindung haben. So werden viele Ehen in der Türkei etwa nur nach dem religiösen Ritus, durch einen Imam geschlossen, aber nicht standesamtlich. Diese Form der Ehe ist in Deutschland nicht anerkannt. Da kann es passieren, dass die Ausländerbehörde sagt, wir schieben den Vater ab. Auch wenn es eine Familie ist.
Aber der Schutz von Ehe und Familie ist doch ausdrücklich im Grundgesetz festgeschrieben?
Natürlich. Das kann auch als Abschiebungshindernis gewertet werden. Aber die Ausländerbehörde prüft gleichzeitig, ob das öffentliche Interesse an der Ausreise größer ist als das persönliche Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet. Und die Behörde argumentiert meistens, dass das öffentliche Interesse überwiegt.
Wie beurteilen Sie diese Praxis als Rechtsanwältin?
Ich sag‘s mal so: Hier wird zu Lasten der ausländischen Mitbürger oft ein anderer Beurteilungsmaßstab für den Schutz von Ehe und Familie zugrunde gelegt. So kommt es, dass Entscheidungen rechtlich gesehen richtig sind, menschlich gesehen aber als fragwürdig bezeichnet werden können.
Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass der Aufenthaltstitel eines in Deutschland geborenen Kindes auch an den Aufenthalt des Vaters geknüpft werden muss...
Was zu begrüßen ist. Denn der Beschluss schützt ganz besonders uneheliche Kinder, indem er sagt: Die Beziehung zum Vater ist genauso wichtig wie die zur Mutter, auch wenn sie getrennt leben. Es gibt allerdings noch keine ausreichende juristische Kommentierung dazu, was ein Vater erfüllen muss, damit das Kind seinen Aufenthalt von ihm ableiten kann.
INTERVIEW: ANGELIKA CALMEZ