: Der Zeit voraus, jetzt angekommen
WIEDERENTDECKUNG Mittlerweile wird Linda Perhacs’ Album „Parallelograms“ allseits geschätzt. Als es 1970 erstmals erschien, floppte es grandios. Am Montag gab die Sängerin im Berghain ihr Deutschlanddebüt
Hoffnungsvoller Musiker veröffentlicht in den frühen Siebzigern ein paar Songs, die interessieren erst mal niemanden, Musiker gibt das Musikmachen auf. Jahrzehnte später sind dieselben Songs aus irgendwelchen Gründen plötzlich Kult, ohne dass der Musiker davon etwas mitbekommen hätte. Der zurückgezogen lebende Musiker wird von einer neuen Generation von Fans mühsam ausfindig gemacht, kann kaum fassen, dass er inzwischen eine Legende ist, und betourt fortan erfolgreich die Welt.
Mit dieser Geschichte hat der Dokumentarfilm „Searching For Sugar Man“ über den Psych-Folker Sixto Rodriguez erst jüngst ein Millionenpublikum gerührt. Die Wiederauferstehung der US-amerikanischen Folksängerin Linda Perhacs, die nun über 40 Jahre nach dem Erscheinen ihres ersten und einzigen Albums ihr erstes Konzert in Deutschland gab, ging kaum weniger hollywoodreif vonstatten.
1970 hat Perhacs ihr Album „Parallelograms“ aufgenommen. Es floppte grandios. Das Cover mit dem Bild der jungen Frau, die im Gras spazieren geht, sah betörend und geheimnisvoll aus. Die Musik klang genauso.
Linda Perhacs wohnte nur unweit von Joni Mitchell, die im kalifornischen Laurel Canyon mit einer ähnlich zart-versponnenen Hippiemusik zum Superstar wurde. „Parallelograms“ aber verschwand sofort nach Veröffentlichung in der Versenkung. Seit eine ganze Generation junger Psychedelic-Folker von Devendra Banhart bis Animal Collective ausgerechnet diese Platte zu ihrem heiligen Gral erklärt hat, wird viel gerätselt, warum diese grandiose Platte damals so untergegangen ist. Deren vertrackte Songs mit gelegentlichen Anleihen an elektronische Musik waren einfach zu sehr ihrer Zeit voraus, ist man sich heute sicher.
In den besten Momenten von Linda Perhacs’ Auftritt am Montag in der Berghain-Kantine konnte man diese Einschätzung nachvollziehen. MihHilfe von ein paar dieser jungen amerikanischen Folkmusiker, für die Perhacs’ Meisterwerk längst zum Kanon gehört, stellte sie die Songs von damals (nebst ein paar neuen) nochmals nach. Man hörte „Crosby, Stills, Nash & Young“-artige Harmoniegesänge, die immer mal wieder von Freak-out-Passagen unterbrochen wurden. Schönheit und Versponnenheit wurden so auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden.
Es wurde schnell klar, dass Linda Perhacs immer noch ganz überwältigt ist von all dem Zuspruch, den sie in den letzten Jahren für ihre Musik erfahren hat. So erzählte sie vor jedem Song ausführlich von all den lieben Leuten, die als Bewunderer zu ihr fanden und mit denen sie heute befreundet ist, von besagtem Banhart oder der neuen Hipster-Ikone Julia Holter. Sie berichtete davon, wie man ihr zutrug, dass ihre Musik in einem Film von Daft Punk Verwendung fand, von denen sie nie zuvor gehört hatte, und wie sie dann schließlich sogar vom Internet entdeckt wurde.
Vielleicht ist man so viel hippiemäßige Wärme und fehlenden Zynismus von Musikschaffenden heutzutage einfach nicht mehr gewohnt, aber es menschelte doch ein wenig arg auf der Bühne. Nach beinahe 45 Jahren wird Anfang des nächsten Jahres das zweite Album von Linda Perhacs erscheinen, die Sängerin scheint Freude an ihrer Rolle der Spätberufenen gefunden zu haben, sie wird bestimmt auch zurück nach Berlin kommen. ANDREAS HARTMANN