: Die Wölfe fressen Kreide
Der Artist Pension Trust (APT) lockt Künstler mit Alterssicherung – das global agierende Anlegerprojekt macht sie aber zum Spielball von Spekulantentum. In Zeiten ihrer Kapitalisierung soll sich die (Kunst-)Welt an Geltungsgewinnen schadlos halten
VON MICHAEL LINGNER
Im Prozess funktionaler Ausdifferenzierung der bürgerlichen Gesellschaften gehörte es zu den wesentlichen Errungenschaften der westlichen Demokratien, dass das ökonomische, allein auf die Maximierung der Kapitalerträge gerichtete Handeln überwiegend auf das Wirtschaftssystem beschränkt blieb. Inzwischen aber hat sich durch die so genannte Globalisierung das kapitalistische Konzept von ökonomischer Effizienz weiter radikalisiert und zunehmend auch alle anderen gesellschaftlichen Teilbereiche okkupiert. Die Wirtschaft strebt nicht länger nur nach der Eroberung von Märkten und betreibt eine Modernisierung aller Strukturen: So werden etwa die dem Bildungs-, Gesundheits-, oder Rechtssystem eigenen Wertvorstellungen und Handlungsmaximen durch rein quantitative Kosten- bzw. Ertragskriterien unterlaufen. Es mutet wie eine böse Ironie der Geschichte an, dass nach dem Untergang der sozialistischen Diktaturen deren ehemals verfemte Ideologie des Materialismus nun unter kapitalistischem Vorzeichen unser gesamtes Leben dominiert und uns neuerlich der Freiheit beraubt.
Auch im Kunstsystem hat sich das Dogma von der Unfehlbarkeit des Marktes durchgesetzt: Als erfolgreich gilt allein das, was einen nennenswerten Geld- oder Geltungsgewinn verspricht. Gleichwohl ist die moderne Kunst noch eng mit der Tradition ihrer Autonomie verbunden, und viele staatliche Verfassungen verbürgen ihre Freiheit. So profitiert Kunst weiterhin von dem Image, sie sei ein Refugium selbstbestimmt agierender Personen, die ihrer Meinungsbildung und Urteilsfindung unabhängig betreiben. Diese heute gern als idealistisch abgetane, aber für eine demokratische Kultur unverzichtbare Leitvorstellung droht nun durch einen weiteren Schritt in der Ökonomisierung von Kunst vollends ad absurdum geführt zu werden. Gemeint ist die Etablierung des global angelegten Artist Pension Trust, der zunächst in London, Los Angeles, New York, Mexiko-Stadt und Mumbai sowie seit November 2005 auch in Berlin tätig geworden ist und ständig weitere Dependancen etwa in Bangkok, São Paulo, Istanbul und Peking eröffnet.
In der Öffentlichkeit wird der APT – eine nach dem Recht der British Virgin Islands gegründete Gesellschaft – als innovatives Modell zur Alterssicherung von Künstlern dargestellt. Sie sollen ihre Arbeiten in den Fonds einbringen und darauf hoffen, dass sich durch Wertsteigerungen aufgrund optimierter Nutzungs- und Verkaufsstrategien für sie besondere Gewinne realisieren lassen. Doch tatsächlich besteht die Geschäftsidee des APT wie bei allen so genannten Private Equity Fonds darin, den Investoren eine hohe Rendite zu verschaffen. Folglich darf nicht einfach jeder Künstler bei APT mitmachen. Vielmehr ist vorgesehen, dass pro Dependance von einem regional verantwortlichen Komitee, dessen Mitglieder am Geschäft prozentual beteiligt sind, maximal 250 zumeist jüngere und vorzugsweise bereits von einer Galerie vertretene Künstler ausgewählt werden. Diese sind gehalten, über einen Zeitraum von 20 Jahren dem Fonds in einem vorgegebenen Turnus 20 Kunstwerke als Kapital zu überlassen.
Um durch das Einbringen eines Werks überhaupt Anrechte auf bestimmte Anteile am Fonds zu erwerben, muss es zuvor von APT offiziell akzeptiert werden. Erklärt aber die Gesellschaft eine Arbeit nicht fristgemäß zu einem „angenommenen Kunstwerk“, so wird laut Vertrag „gemeinsam (mit dem Künstler) darüber beraten, ob ein weiteres Kunstwerk des Künstlers das Potenzial hat, als ‚angenommenes Kunstwerk‘ benannt zu werden“. Falls binnen sechs Monaten von den Parteien keine Einigkeit über diese Frage erzielt wird, ist die Gesellschaft jederzeit berechtigt, den Vertrag zu kündigen. Was dann mit den bereits eingezahlten, also angenommenen Werken geschieht, bleibt unklar. Erfolgt indes die Annahme, erhält die Gesellschaft die Option darauf, binnen 20 beziehungsweise 40 Jahren durch einseitige Erklärung alle nur möglichen Rechte an dem jeweiligen Werk weltweit und „ungeachtet des im Einzelfall ggf. bestehenden Urheberpersönlichkeitsrechts […] auszuüben“.
Im Prinzip soll jeder Künstler vom Verkauf oder der Nutzung seiner von APT angenommenen Kunstwerke profitieren. Doch auch abgesehen vom ungünstigsten Fall – dass der Fonds eines Tages einfach geschlossen wird – bergen die vielen komplizierten und extrem unbestimmten Klauseln des einseitig zugunsten von APT formulierten Vertrages für die Künstler große Unwägbarkeiten. Nicht nur gesteht APT sich zu, von den mit den Werken erzielten Erträgen vorab sämtliche dem Trust entstandenen Kosten und angefallenen Kreditzinsen abzuziehen. APT erlaubt es sich auch, die Abrechnungen darüber nur „in wirtschaftlich zumutbarer Form“ leisten zu müssen. In jedem Fall wird nach dem Abzug zusätzlich noch eine Gebühr von 20 Prozent bis 30 Prozent fällig. Der dann verbleibende Rest soll zur Hälfte an den jeweiligen Künstler ausgezahlt und zur anderen Hälfte in einen gemeinsamen Treuhandfonds aller Künstler eingestellt werden.
Kommt es zu Dividendenzahlungen aus dem Fonds, so sollen Künstler diese in einen Pensionsfonds investieren können, wobei laut Vertrag „die Bedingungen dieser separaten Vereinbarung (erst) noch festzulegen sind“. Der nach dem Motto nomen est omen vom Artist Pension Trust in den Vordergrund gestellte Aspekt der Alterssicherung ist also faktisch völlig nebensächlich. Statt in den Genuss vermeintlich sozialer Leistungen zu kommen, werden Künstler und Kunst in einer bisher ungeahnten Weise zum Spielball eines rein gewinnorientierten, professionellen Spekulantentums. Um es in einem Bild zusammenzufassen: Wie die Bauern der Dritten Welt sollen sich die Künstler verpflichten, ihre Ernte und sämtliche Rechte daran abzutreten, bevor sie überhaupt gewachsen ist. Für eine Gegenleistung gibt es aber keine Garantie, sondern bloß eine Option darauf.
Bei den offensichtlichen Tücken dieses Geschäfts fällt es schwer zu glauben, dass Künstler so naiv und närrisch sind, primär aus finanziellen Gründen zu unterschreiben oder gar im Glauben, so für ihre Alterssicherung zu sorgen. Wenn gleichwohl die Rekrutierung von Künstlern für APT offenbar erfolgreich verläuft, können die Gründe dafür kaum materieller Natur sein. In der Tat ist ja bei Künstlern die Einstellung nicht überraschend, zwar nicht unbedingt reich, aber gerne berühmt werden zu wollen. Was Künstler also am Angebot von APT überzeugt, ist die erklärte Absicht, „die Karrieren der teilnehmenden Künstler zu fördern“. Das klingt für Künstler attraktiv, da sie fortan den eigenen Erfolg als gemeinsames Projekt aller mit APT direkt oder indirekt assoziierten Partner empfinden können. Wer sich bisher als Einzelkämpfer seinen Ruhm suchen musste, kann sich nun in eine durch das Kapital und die Kompetenz von APT organisierte machtvolle Gemeinschaft eingebettet fühlen.
Was für den derart unangreifbar gewordenen embedded artist eine nicht zu unterschätzende psychologische Funktion hat, läuft wirtschaftlich gesehen auf nichts anderes als eine Kartellbildung hinaus. Angestrebt wird eine weitestgehende Marktbeherrschung, um letztlich die Preise diktieren zu können. Aber anders als etwa bei Rohstoffpreisen wie Wasser oder Öl bedeutet jeder Versuch der Kunstmarktkontrolle auch eine gezielte Beeinflussung der Meinungsbildung, der Wertvorstellungen und Selektionsmechanismen im Kunstsystem. Dabei werden sich nicht nur die von APT offen und direkt ausgehenden Werbeaktivitäten, sondern gerade auch die latenten Auswirkungen auf das gesamte Markt- und Ausstellungsgeschehen als problematisch erweisen. Was dem Investor, Künstler oder Kurator als rein finanzielle Privatangelegenheit erscheinen mag, kann für den gesamten öffentlichen Kunstdiskurs und -betrieb fatale Folgen haben. Denn die ohnehin bestehende Neigung zur Unterdrückung freimütiger Wertungen wächst auch im Betriebssystem Kunst weiter, wenn befürchtet werden muss, dass sich Kritik generell als geschäftsschädigend auswirkt oder so aufgefasst werden kann. Entscheidungen über künstlerische Projekte und Karrieren fallen dann unter dem beschränkten Gesichtspunkt, was strategisch für die eigene Positionierung und die der anderen Trusties am günstigsten erscheint. Sofern dabei überhaupt noch diskutiert wird, dient jegliches Argumentieren nur noch der reinen Rationalisierung des vorab Gewussten und Gewollten statt einer möglichst sachgerechten wie unabhängigen und wirklich (ergebnis-)offenen Entscheidungsfindung und -begründung.
Darüber hinaus wächst durch einen so potenten Akteur wie APT unweigerlich die Wahrscheinlichkeit, dass so genannte Netzwerke aus Gefälligkeiten, Abhängigkeiten und Verpflichtungen das Kunstsystem weiter durchseuchen und sich auf kartellkonforme Konsense verständigen. Besonders bedenklich wird das dann, wenn Funktionsträger von APT zugleich Entscheidungsträger in Kunstinstitutionen oder -projekten sind, die ganz oder teilweise aus öffentlichen Geldern finanziert werden. Da sie ihre Stellung für die Interessen des APT einsetzen können, liegt die mögliche missbräuchliche Vermischung mit privaten Interessen auf der Hand. Abgesehen davon droht generell die Gefahr, dass die in der europäischen Aufklärung begründete Kultur der individuellen Verantwortung zunehmend durch eine „Kultur der Zugehörigkeit“ unterlaufen wird – wie Leoluca Orlando, der ehemalige Bürgermeister von Palermo, diese von ihm bekämpfte Mentalität gekennzeichnet hat. Je drastischer aber die Diskurse deformiert und trivialisiert werden, desto mehr gehen Bereitschaft und Fähigkeit zur Eskalation und Explikation von Differenzen verloren, was indes für jede geistige Auseinandersetzung und kulturelle Entwicklung unabdingbar ist.
Es sollte zu denken geben, wenn inzwischen selbst Profiteure der Verwirtschaftlichung von Kunst wie der Berliner Galerist Bruno Brunnet mahnen: „Wir rutschen ab in die Unterhaltungsindustrie. […] Es fehlt das intellektuelle Unterfutter.“ – Oder ist es schon zu spät für die Warnung, dass die Destruktion des nicht nur für die Qualität zeitgenössischer Kunst unverzichtbaren freien Diskurses einen ideellen Preis fordert, der durch keinen möglichen materiellen Gewinn aufgewogen werden kann?
Michael Lingner ist Professor für Kunsttheorien an der StaatlichenHochschule für bildende Künste HamburgAktualisierte und gekürzte Fassung aus: „Texte zur Kunst“, März 2006,16. Jahrgang, Heft 61