Ästhetische Erbschaften der Eisernen Jungfrauen

Schriften zu Zeitschriften: Ist die liberale Abscheu gegenüber der Folter nur ein Oberflächenphänomen? Bedrohliche Fragen im neuen „Kursbuch“

Seit man in der deutschen Öffentlichkeit unbefangen über den Verteidigungsfall oder die so genannte Rettungsfolter spekuliert, steht die Ikone des bedrohten Körpers wieder auf der politischen Tagesordnung. Kein Wunder, können sich die modernen gesellschaftlichen Ängste doch ansonsten bloß an ungewissen statistischen Prognosen und Wahrscheinlichkeiten abarbeiten. Im Bild des verletzbaren Körpers aber finden alle diffusen Bedrohungsszenarien zur Anschaulichkeit zurück.

Es liegt also durchaus im Trend, wenn das mittlerweile bei der Hamburger Wochenzeitung Zeit erscheinende Kursbuch seine neue Ausgabe dem Thema „Folter und Feste“ widmet. Selbst als reiner Voyeur ist man beim Thema Folter mit einer gesunden Portion Skepsis gegenüber dem historischen Gedächtnis der Gewalt schon bestens gewappnet: Im Editorial verweist der Kursbuch-Herausgeber Tilman Spengler auf eine Empfehlung Ovids, dass der Besuch blutiger Gladiatorenkämpfe „den Liebenden eine beträchtliche Steigerung ihrer erotischen Empfindsamkeit bereiten könne“.

Der Frankfurter Rechtshistoriker Rainer Maria Kiesow will in der Abschaffung der Folter im 18. Jahrhundert keinen Sieg mehr der Vernunft, der kritischen Skepsis oder der Humanität erkennen, sondern nur noch einen kühlen Methodenwechsel in der juristischen Wahrheitssuche. Mit der Ausmusterung von Gottesurteil und Geständnis sei die Wahrheit im Recht selbst angekommen: „Das ausdifferenzierte Recht der Moderne war nur noch Recht als Recht und stellte seine Wahrheiten […] im Verfahren, am eigenen Ort her. Die Wahrheit wurde nicht mehr extern offenbart oder einem Externum entrissen, sondern intern hergestellt.“

Als hoffnungslos unzeitgemäß stellt sich für Kiesow daher die Diskussion um die Rettungsfolter dar: „Diese Wahrheit verspricht etwas, was das Recht schon lange aufgegeben hat, sie verspricht die Scherben der postmodernen Wahrheit zu kitten, die Unsicherheit der Erkenntnisse, der Interpretationen, des Entscheidens wenigstens einmal zu besiegen, sie verspricht wenigstens einmal, nur dieses eine Mal, Rettung vor Gewalt.“ Das sei natürlich reine Heuchelei.

Auch der Washingtoner Rechtsphilosoph David Luban befürchtet inzwischen, dass die liberale Abscheu gegenüber der Folter nur ein Oberflächenphänomen sei. Wenn in den jüngsten Rechtsgutachten der US-Regierung die Folter vom tyrannischen Willkürakt zum rationalen Mittel der Gefahrenabwehr umdefiniert werde, drohten ihre antiliberalen Wurzeln schlichtweg in Vergessenheit zu geraten.

Kindlicher Sadismus könne dagegen ein wichtiger kognitiver Schritt im Individualisierungsprozess von Menschen sein: „Anderen Schmerzen zuzufügen gibt dem Kind die Möglichkeit zu lernen, dass manche der Objekte in seiner Umwelt ihrerseits Subjekte mit eigenen Gefühlen sind.“ Schade nur, dass die kindliche Faszination am gespiegelten Schmerz im Erwachsenenalter nicht unbedingt abnimmt. Dass die Folterbilder aus Abu Ghraib im neuen Kursbuch noch einmal auf einer farbigen Doppelseite abgedruckt sind, kann daran vermutlich nichts ändern.

Jens Jessen, Feuilletonchef der Zeit, vermutet, dass „in unserer Welt der Empörten, der Erniedrigten und Beleidigten ein tiefer Wunsch nach dem Martyrium“ umgehe. Nicht zuletzt durch den Einfluss des Christentums habe die Folter in der ästhetischen Öffentlichkeit, in der Kunstpraxis und Bilderwelt des Westens als „symbolisch gesteigertes Bild vom Menschen als Opfer“ überdauern können. Keinesfalls zeige sich darin bloß die Enthemmung trivialer Massenmedien – „vielmehr geht es auch um die Erfahrung und Darstellung von Körperlichkeit, die sich offenbar nicht mehr so leicht wie vor Jahrzehnten durch Sexszenen erreichen lässt“.

Auf diese Problematik trifft auch der Bonner Medizinhistoriker Peter Mario Kreuter in den musealen Inszenierungen so genannter Folterkammern: „Die berüchtigte Eiserne Jungfrau […] gehört zu denjenigen Erfindungen, die sicherlich niemals bei Folter oder Hinrichtung Anwendung gefunden haben, aber bis heute zum Inventar einer guten Folterkammer wie zum Beispiel in Rothenburg ob der Tauber gehören.“ Die Eiserne Jungfrau ist eine historische Fälschung des 19. Jahrhunderts. Doch will man sich jetzt noch wundern, dass die damals anscheinend virulente Fantasie des grausamen Möbels kurzerhand der angeblichen Praxis einer dunklen Vorzeit in die Schuhe geschoben wurde?

JAN-HENDRIK WULF

Kursbuch 163, 10 €