piwik no script img

Archiv-Artikel

Es gibt genug zu tun

Statt Hartz IV zu kürzen, sollte endlich ein Mindestlohn eingeführt werden. Das entlastet die Bundesagentur für Arbeit und erspart Arbeitnehmern ein Dasein als Working Poor

Ist uns die Zukunft unserer Kinder wichtig oder die Privilegierung der Reichen und Superreichen?

Es wird Stimmung gemacht gegen die Erwerbslosen. Hartz IV ist ein Fass ohne Boden, die Kosten ufern aus – so tönt es lautstark vonseiten der Politik und den Medien. Zugespitzt wird dies in immer wiederkehrenden, reißerisch aufgemachten Berichten über „Sozialschmarotzer“. So wird der Boden bereitet für weitere Leistungskürzungen.

Seit langem will die CDU-Mittelstandsvereinigung Absenkungen bei Hartz IV. Letzte Woche plädierten überraschend auch Spitzenvertreter der Arbeiterwohlfahrt, der Diakonie, des Roten Kreuzes sowie Vertreter der kommunalen Spitzenverbände für Kürzungen bei Hartz IV. Positiv ist zwar, dass sich dem auch andere entgegenstemmen, so der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, die Volkssolidarität und die Caritas. Aber bereits am letzten Wochenende ging es weiter: Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Peter Struck, Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin und der Arbeitsminister aus Schleswig-Holstein, Uwe Döring, präsentierten Überlegungen, wie Hartz IV gekürzt werden kann.

Richtig ist: Die Kosten für Arbeitslosengeld II (ALG II) werden nach aktuellen Schätzungen um 3 Milliarden Euro höher liegen als im Bundeshaushalt für 2006 veranschlagt. Gleichzeitig aber gibt die Bundesagentur für Arbeit immer weniger für Arbeitslose aus, die das Arbeitslosengeld I (ALG I) erhalten. Für 2006 wird sogar ein Überschuss der Bundesagentur in Höhe von 4,5 Milliarden Euro erwartet. Den Mehrausgaben des Bundes von 3 Milliarden Euro beim ALG II stehen also Überschüsse der Bundesagentur gegenüber. Aus gesamtstaatlicher Sicht werden die Mehrausgaben für Hartz IV durch die Einsparungen beim ALG I um 1,5 Milliarden Euro deutlich übertroffen.

Ein Grund dafür ist, dass Beschäftigte über längere Zeiträume als früher Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zahlen müssen, um einen Anspruch auf ALG I zu erwerben. Da immer mehr Menschen, die ihren Job verlieren, dies nicht schaffen, rutschen sie sofort ins ALG II ab oder schneller als bisher vom ALG I ins ALG II. So wird die Bundesagentur entlastet, während die Kosten für das ALG II steigen. Dieser Effekt wird weitergehen, wenn ab Februar 2007 auch noch die Bezugszeiten für ALG I verkürzt werden.

Mit den Hartz-Gesetzen werden also letztlich die Kosten der Bundesagentur deutlich gesenkt. Dies geschieht nun in einem mehrjährigen Prozess, der erst 2009 auslaufen wird. Die Kostensenkungen sollen die Unternehmer entlasten, die immer weniger Beiträge zur Arbeitslosenversicherung leisten. Die verbleibenden Lasten dagegen werden so dem steuerfinanzierten ALG II zugeschoben.

Mehr Arbeitsplätze schafft beides bislang nicht. Trägt es wenigstens dazu bei, die Arbeitslosen besser und schneller zu vermitteln? Gerade in diesem Bereich macht die Politik mächtig Druck bei der Bundesagentur. Doch die Praxis ist erschreckend: Arbeitslose mit geringeren Vermittlungschancen werden vorab aussortiert. Anders wird mit „Premiumkunden“ – wie sie genannt werden – umgegangen. Es sind junge, gut ausgebildete und bisher gut verdienende Arbeitslose. Sie lassen sich meist schnell vermitteln. Für die Arbeitsagentur heißt das: Einsparung beim ALG I. Die Konzentration auf solche „guten Arbeitslosen“ verschlechtert aber umgekehrt die Chancen der „Betreuungskunden“. Ihr Risiko, langzeitarbeitslos zu werden, erhöht sich.

Das gleiche Muster zeigt sich bei der Förderung von Arbeitslosen. Wenn eine Vermittlung wahrscheinlich scheint, gibt es eine „Förderung zur Wiedereingliederung“. Wer nur geringe Aussichten auf einen Job hat, wird schnell abgeschrieben. Diese Logik bedeutet für ältere und gering qualifizierte Erwerbslose schlechtere Aussichten auf Vermittlung. Schon heute sind 54 Prozent der Arbeitslosen über 55 länger als ein Jahr arbeitslos.

Seit geraumer Zeit gilt allerdings auch bei vielen, die einen Job finden: Sie werden arm trotz Arbeit. Fast eine Million Beschäftigte haben so niedrige Erwerbseinkünfte, dass sie zusätzlich ALG II beziehen. Working Poor – lange erschien dies weit weg. Doch die schlechte Lage am Arbeitsmarkt wird von immer mehr Unternehmern ausgenutzt. Die Löhne werden gedrückt. Da auch die Zumutbarkeitsregeln von der Politik verschärft wurden, wird diese Lohndrückerei durch die Arbeitsverwaltung unterstützt. Es soll auch zynische Unternehmer geben, die Beschäftigte darauf verweisen, den fehlenden Lohn durch zusätzliche Leistungen vom Staat zu holen. So treiben gerade Arbeitgeber die Kosten für ALG II weiter in die Höhe.

Hartz IV ist ein Kombilohn mit breiter Wirkung. Für den Staat heißt das: Der Niedriglohnbereich breitet sich aus – auf Kosten der Gemeinschaft. Plötzlich ist das einigen Politikern zu viel. Sie meinen, dass die Leistungen von Hartz IV gesenkt werden müssten. So würde die Lage der Arbeitslosen nur noch weiter verschlimmert.

Stattdessen muss endlich Schluss sein mit Niedrig- und Hungerlöhnen. Schon jetzt arbeiten knapp 7 Millionen Menschen für Niedriglöhne – ein Fünftel aller Beschäftigten. Viele von ihnen dürften Hartz-IV-Leistungen in Anspruch nehmen, haben das aber aus Unkenntnis bislang nicht gemacht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie dies erkennen und zu den „Hartz-IV-Kombilöhnern“ dazustoßen.

Dies lässt sich nur verhindern, wenn die Wirtschaft angemessene Löhne zahlt und die Arbeitskräfte nicht ausbeutet. Um das zu erreichen, gibt es nur ein Mittel: einen gesetzlichen Mindestlohn. Einzelne Gewerkschaften treten dafür seit Jahren ein – auf dem DGB-Kongress liegt ein entsprechender Beschluss zur Abstimmung vor. Sie fordern zunächst einen Mindestlohn von 7,50 Euro. Schrittweise soll es dann weitergehen auf 9 Euro. Wenn es in 18 von 25 Ländern der EU einen Mindestlohn gibt – weshalb dann nicht auch bei uns, dem Exportweltmeister?

Mit den Hartz-Gesetzen werden letztlich die Kosten der Bundesagentur für Arbeit gesenkt

Ein vernünftige Mindestlohnregelung schafft aber noch keine Arbeitsplätze. Daher brauchen wir zusätzlich ein Zukunftsinvestitionsprogramm in Höhe von 40 Milliarden Euro jährlich. Das bringt eine Million neuer Arbeitsplätze. Uns geht nämlich noch lange nicht die Arbeit aus. Bessere Pflege für ältere Menschen, bessere Erziehung und Bildung, das ist dringend vonnöten; ebenso eine Sanierung von Deutschlands Infrastruktur – um nur einige Beispiel zu nennen.

Finanziert werden muss dies durch eine angemessene Besteuerung der Unternehmen und der Reichen. Allein mit der Wiedereinführung einer Vermögensteuer und einer Reform der Erbschaftsteuer könnten zusätzliche Einnahmen von 20 Milliarden Euro erzielt werden. Unsere Frage muss sein: Was ist wichtiger – die Zukunft unserer Kinder, unseres Landes oder die Privilegierung der Reichen und Superreichen?

Mit dem Mindestlohn und mehr ordentlich bezahlten Jobs kann der Druck auf die Sozialsysteme verringert werden. Hunderttausende können aus Hartz IV herauskommen. So wird weniger ALG II nötig – und mehr in die Sozial- und Steuerkassen eingezahlt. MICHAEL SCHLECHTBERNHARD JIRKU