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Archiv-Artikel

Zurück zu den Wurzeln

LANDWIRTSCHAFT Das neue Aktionsbündnis Agrarwende Berlin-Brandenburg will sich breit aufstellen, um der in der Region wachsenden Agrarindustrie etwas entgegenzusetzen

Angesprochen werden sollen alle zivilgesellschaftlichen Organisationen, die im Bereich Ernährung aktiv sind

VON RALF HUTTER

Es könnte eigentlich ganz einfach sein. Ganz Deutschland könnte sich selbst mit ökologisch produzierten Lebensmitteln versorgen, sagt Michael Wimmer – wenn der Fleischkonsum um zwei Drittel verringert würde. Doch schon in der Hauptstadtregion gebe es eine Diskrepanz: Die Nachfrage nach Bioprodukten in Berlin habe 2012 um 8 Prozent zugenommen, die ökologisch bewirtschafteten Flächen in Brandenburg aber nur um 0,7 Prozent. Für 2013 erwarte die Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL), der Branchenverband von ökologischen Produzenten und Handel, sogar einen leichten Rückgang bei dieser Gesamtfläche – da Brandenburg nun schon im dritten Jahr hintereinander keine Umstellungsprämie für Neu-Biobauern gewährt habe.

Wimmer ist Geschäftsführer der FÖL und hat in letzter Zeit ein Bündnis mit auf den Weg gebracht, das sich den neueren Entwicklungen in der Brandenburger Landwirtschaft entgegenstellt: Agrarindustrielle Firmen und Kapitalfonds kaufen immer mehr Flächen und Betriebe, sind aber nicht an Landwirtschaft, sondern nur an dem interessiert, was Profit bringt (weshalb sie oft auch viel Personal entlassen). Sie bauen also riesige Biogasanlagen, die Tausende Hektar an Mais benötigen, um rentabel zu sein, oder verkaufen ganze Produktionszweige wie Milchvieh und Mastkälber, wie der Biobauer und -berater Carlo Horn auf einer Podiumsdiskussion vor einigen Wochen ausführte. Aus diesem und weiteren Gründen haben sich in Brandenburg in den letzten fünf bis sechs Jahren die durchschnittlichen Bodenpreise verdoppelt.

Auch die Massentierhaltung hat stark zugenommen, wie der Präsident des Landesumweltamts, Matthias Freude, kürzlich in einem Interview bestätigte. Derzeit seien Anträge für 1,7 Millionen Hähnchenmastplätze offen. Die Rolle seiner Behörde umschrieb Freude so: „Überhaupt nicht geprüft wird zum Beispiel der Einsatz von Antibiotika in der Mast. Das steht einfach nicht im Bundesimmissionsschutzgesetz drin. Auch moralische und ethische Fragen spielen überhaupt keine Rolle: Wie und wo wird Verkehr erzeugt? Wo kommt das Futter her? Brauchen wir überhaupt das Fleisch in Deutschland?“

Diese Passage stellte Michael Wimmer Anfang November an den Anfang seiner Rede bei der Gründungsveranstaltung des Aktionsbündnisses Agrarwende Berlin-Brandenburg in Potsdam, die laut Wimmer über 200 Menschen besuchten. Denn das Bündnis will alle diese Fragen stellen – und viele weitere, die weit über Berlin und Brandenburg hinausgehen. Gegründet wurde es von den Umweltschutzverbänden BUND und Nabu, den ökologischen Anbauverbänden, der FÖL und den Bürgerinitiativen gegen Massentierhaltung, die im Bündnis „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“ organisiert sind. 34 Organisationen, Verbände und Bürgerinitiativen hätten sich bislang aktiv eingebracht, sagt Wimmer.

Angesprochen werden sollen alle zivilgesellschaftlichen Organisationen, die im Bereich Ernährung aktiv sind; Gewerkschaften, weil es auch um die Arbeitsbedingungen gehe; und kirchliche Hilfsorganisationen, weil auch der Zusammenhang der brandenburgischen Massentierhaltung mit dem auf anderen Kontinenten zu verzeichnenden Flächenfraß für den Futteranbau sowie dem Zerstören dortiger Märkte durch Billigexporte aus Deutschland Thema sein soll.

Problematisch ist die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Berufsstand. Viele Landwirte seien irritiert, wenn sie „Agrarwende“ hören, sagt Wimmer. Andererseits gebe es sehr wohl „Leidensdruck“: „Bei der Gründungsveranstaltung betonten die anwesenden Landwirte, zumeist Biobauern, dass die Stimmung im gesamten Berufsstand trotz der wirtschaftlich gerade für konventionelle Landwirte rosigen Zeiten mehr als schlecht sei, weil man einfach nicht mehr sehe, wohin die Reise geht und ob man da selbst noch dabei ist.“

Auch sei in verschiedensten Redebeiträgen Kritik an den „klassischen berufsständischen Vertretungen“ geübt worden, sagt Wimmer, die nicht mehr den nötigen Kontakt zur Bevölkerung hätten. Das Aktionsbündnis Agrarwende will nun ebendiesen Kontakt, gerade auch zwischen Stadt und Land, herstellen und gemeinsam die Frage behandeln: Welche Landwirtschaft wollen wir? Michael Wimmer schwebt ein Runder Tisch Landwirtschaft vor.

Der Landesbauernverband scheint da bisher ein Hindernis zu sein. Er ist schließlich laut Wimmer „mit dem vor- und nachgelagerten Bereich verwoben, also beispielsweise Landmaschinenhersteller, Futtermittelwerke oder der chemischen Industrie“. Der Verband beharrt auf der derzeitigen Landwirtschaftspolitik von EU und Land, die Subventionen vor allem pauschal ausschütten, also pro Hektar, unabhängig davon, was da so getrieben wird. „Der Bauernverband sägt an dem Ast, auf dem der Berufsstand sitzt“, fasst der FÖL-Geschäftsführer zusammen. Einzelne Stimmen im Verband hätten sich aber schon positiv zu den Zielen des Aktionsbündnisses geäußert.

Erste Schritte sollen nun laut Wimmer die Unterstützung agrarpolitischer Demonstrationen in der Region sein. 2014 will sich das Bündnis auch im Hinblick auf die Landtagswahl bemerkbar machen.

www.agrarwen.de