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Archiv-Artikel

„Endlich hab ich dich“

HAUSBESUCH Bei der Hochzeit in der Türkei wurde sie gefragt, ob er sie entführt habe. Familie Tetik in München

VON MARLENE HALSER (TEXT) UND QUIRIN LEPPERT (FOTOS)

München, in der Au, zu Hause bei Savas (51, Özlem lachend: „Was? Du bist schon 51?“), Özlem (44), und Sahika (19) Tetik.

Draußen: Ein blassgelber Wohnblock mit drei Hauseingängen in einer ruhigen Seitenstraße, hohe Bäume und eine Wiese mit Stangen zum Wäscheaufhängen.

Drin: Eine Dreizimmerwohnung im zweiten Stock. Terrakottafarbene Wände („mediterran“), in der Küche große Gläser mit Zwiebeln und getrockneten Tomaten, ein Schwarz-Weiß-Bild von einem Paar am Zug („Da war Savas in Paris und sehr verliebt in mich“). Auf dem Herd eine türkische Teekanne, eine italienische Espressomaschine und ein arabisches Mokkakännchen.

Wer macht was? Özlem und Savas treten gemeinsam als Geschichtenerzähler auf. Savas betreut und berät als Sozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt Armutsmigranten aus Rumänien und Bulgarien („Ich kenne die Probleme“). An einer türkischen Fern-Uni macht er sein VWL-Studium, das er 1979 in Ankara begann. Özlem ist Erzieherin, arbeitet im Hort und macht ihren Bachelor in Bildung und Erziehung im Kindesalter an der FH. Sahika hat gerade Abi gemacht („2,0“). An Sonn- und Feiertagen arbeitet sie im Museumsshop der Neuen Pinakothek („Der beste Job, den man haben kann. Sonntag ist so ein langweiliger Tag“).

Wer denkt was? Sahika bewirbt sich an der Schauspielschule Otto Falkenberg in München: „Schauspielern ist hart: wenig Geld, befristete Verträge, immer unterwegs. Aber ich versuch’s.“ Plan B: Theaterwissenschaften. Savas: „Die Zukunft meiner Tochter ist spannend. Es macht Spaß, mit ihr zu leben.“

Özlem: Geboren in München, die Eltern waren Gastarbeiter. Mit drei Jahren zu den Großeltern in die Türkei, 1979 holten die Eltern sie zurück. Hauptschule, Ausbildung zur Erzieherin in Berlin („Ein Kampf mit der Mutter, aber ich hab mich durchgesetzt“). Nach der Geburt bleibt ihr Mann daheim („In der Firma haben sie dafür erst kein Formular gefunden“). Ausbildung zur Bühnenerzählerin an der Erzählakademie.

Savas: Geboren in Ankara, Student bis 1980 („Wir waren politisch aktiv, haben Flugblätter gegen den Militärputsch verteilt“), der Bruder wird verhaftet („Damit war auch ich verdächtig“), 1982 Flucht ins Ausland, eine Odyssee beginnt: Österreich, Schweiz, Tschechoslowakei, dann zur Schwester nach Berlin („Ich wollte weiter studieren, hatte aber weder Geld noch eine Aufenthaltserlaubnis“), Einreise über die DDR („Türken durften damals ohne Visum rein“), Asyl beantragt, nach zwei Monaten abgelehnt, „Zentrale Aufnahmeeinrichtung“ in Zirndorf bei Nürnberg, wegen der Residenzpflicht durfte er nicht nach München („Ich bin trotzdem gefahren“), Deutschkurs, Abschiebung („Nicht mal eine halbe Stunde Interview in der Behörde“), in Paris wurde sein Asylantrag anerkannt. Nach der Hochzeit mit Özlem zurück nach Deutschland. Lagerarbeiter, Vertrauensmann, Gewerkschafter, arbeitslos nach dem Erziehungsurlaub, seit 2012 bei der AWO.

Das erste Date: Savas organisierte eine Ausstellung mit Karikaturen, gezeichnet von den Insassen des Militärgefängnisses Mamak in Ankara. Özlem: „Er hat mich gefragt, ob ich die Sprechblasen übersetzen kann.“ Sie lud ihn zum Mozart-Konzert in den Park ein („An das Konzert kann ich mich nicht erinnern“). Später trafen sie sich in seiner Studentenbude („Meine Mutter durfte nichts davon wissen“), die er unter falschem Namen gemietet hatte. Dass er Asyl beantragt hatte, wusste sie noch nicht. Als Savas nach Frankreich musste, trafen sie sich in Paris und Berlin.

Die Hochzeit: Am 9. Dezember 1992 in Adana, sie im grauen Kleid („ziemlich offiziell“) und mit Pagenschnitt, er im schwarzen Rollkragenpulli. Savas: „Ich musste mit meinem französischen Asylpass illegal über Holland in die Türkei reisen.“ Für Özlems Mutter erfanden sie eine gestorbene Verwandte, um die Reise zu erklären. Savas: „Um zu heiraten brauchten wir eine Adresse in Adana. Also hat uns der Standesbeamte bei einer alten Dame eingeschrieben – für 50 türkische Lira.“ Özlem: „Der Dorfvorsteher fragte mich, ob Savas mich entführt hätte.“ Nach der Trauung: Kaffee, Kuchen und Tanz. Savas flüsterte ihr ins Ohr: „Endlich hab ich dich.“ Abends Kebab. Özlem: „Wir haben so viel gelacht.“ Danach eine Feier in München („groß und stressig“).

Der Alltag: Montags tanzt Özlem Zumba. Sahika lernt ihre Rollen für die Aufnahmeprüfung, geht abends zur Theaterprobe. Savas: „Ich will nicht gleich nach dem Büro nach Hause. Ich war lang daheim. Jetzt hole ich nach.“

Wann sind Sie glücklich? Savas: „Wenn ich nach Hause komme und keiner ist da. Dann höre ich türkische Musik und trinke Tee.“

Nächstes Mal treffen wir Familie Burkhardt im Wendland. Sie wollen auch einmal besucht werden? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de