: Eiland des Vergessens
EILAT In dem israelischen Badeort machen die Einheimischen Urlaub von der alltäglichen Ungewissheit. Doch die Gesellschaft polarisiert sich zunehmend. Reise in ein gespaltenes Land
■ Eilat: Der einzige Badeort des Landes liegt im Süden der Wüste Negev und verfügt über den alleinigen Zugang zum Roten Meer. Auf einer Fläche von knapp 85 Quadratkilometern leben rund 60.000 Einwohner. Der israelische Küstenstreifen erstreckt sich auf nur 12 Kilometer. Hier werden Rohöl und Kraftfahrzeuge importiert und nach Norden transportiert. www.goisrael.com
■ Tourismus: Im Winter liegen die Temperaturen bei 21 Grad, im Sommer kann es schon mal um die 40 Grad werden. Zur Unterstützung des Tourismus wurde eine Freihandelszone eingerichtet. Man kann Tauch- und Wasserskikurse buchen, Ausflüge in die Wüste oder Wanderungen durch das Naturreservat Coral Beach Nature Reserve unternehmen. Größtes Highlight ist das Delfinarium, rund fünf Kilometer von Eilat entfernt, wo man am einzigen Sandstrand Delfine beim Training beobachten oder auch mit ihnen schnorcheln kann. www.dolphinreef.co.il
■ Anreise: Eilat verfügt über einen nationalen Flughafen, von dem mehrmals täglich Flüge nach Tel Aviv und Haifa gehen. Der 60 Kilometer nordwestlich gelegene Flughafen Ovda bedient Charterflüge aus Europa. Vom zentralen Busbahnhof starten mehrmals täglich bequeme Überlandbusse nach Tel Aviv, Mitzpe Ramon, Jerusalem und Masada. www.egged.co.il
■ Weiterfahrt: Wenige Kilometer außerhalb von Eilat befindet sich der Grenzübergang Jitzhak Rabin für die Einreise nach Jordanien; über Taba gelangt man in den ägyptischen Sinai.
VON ANDREA BACKHAUS
Sie treffen sich abends, wenn die Sonne die jordanischen Berge auf der anderen Seite der Grenze in tiefrotes Licht taucht. Sie tragen Flipflops und Shorts, die Mädchen Silikon und Pumps. Sie stehen an der Theke des Underground Pubs, bestellen Campari und tanzen zu Dr. Alban. „It’s my life“, grölen alle im Chor und nicken bestimmt. Es ist ihr Leben für ein paar Tage, hier in Eilat, einem israelischen Badeort inmitten der Wüste am Roten Meer.
Für die Soldaten der nationalen Streitkräfte ist der Urlaub ein Fluchtpunkt aus der routinierten Angespanntheit. 4.000 Schekel, rund 800 Euro, habe er für eine Woche hier ausgegeben, sagt Oren, ein junger Israeli. Monatelang sei die Reise geplant gewesen, doch schon am nächsten Tag solle es zurückgehen ins Camp an der jordanischen Grenze, wo er jeden Tag patrouilliert. „Eilat ist so angenehm, weil es hier kaum Konfliktpotenzial gibt“, ruft er durch die dröhnende Musik. Bis zum Januar 2007 wurde der Badeort von Angriffen verschont. Dann sprengte sich ein Selbstmordattentäter in einem Einkaufszentrum in die Luft und riss drei Menschen mit in den Tod. Doch noch immer gilt die Stadt mit ihren 60.000 Einwohnern als Rückzugsort. Sie bietet alles, wofür das moderne Touristenherz schlägt: mildes Klima, ein IMAX-3D-Kino, Kameltouren, Freizeitparks, Pubs und Einkaufsstraßen.
Grinsend wedelt Oren mit einem Prospekt für russische Prostituierte, die überall ausliegen. Fast eine Million russische Immigranten zählt das Land heute, die meisten kamen in den 1990er-Jahren. Doch viele lernen kein Hebräisch, bleiben lieber unter sich. „Die Russen leben in einer anderen Welt. Überall hängen Schilder in ihrer Sprache“, sagt Oren. Und dann beschwört er beiläufig jene Kluft herauf, die das Land von jeher spaltet. Er sagt: „Das einzige Problem ist die arabische Kultur, die ist ganz anders als die jüdische, die macht alles hier kaputt.“
Rund zwei Millionen Touristen besuchten Eilat im letzten Jahr, davon kamen nur knapp 250.000 aus dem Ausland. Franzosen, Amerikaner oder Deutschen überqueren oft nur die Grenze, um per Sammeltaxi nach Ägypten oder Jordanien weiterzufahren. Bei guter Sicht ragen die Silhouetten der Nachbarstaaten links und rechts des Meeres empor, in der Ferne schimmern die Ausläufer Saudi-Arabiens. Nur 12 Kilometer umfasst der israelische Küstenabschnitt, doch er ist Sinnbild nationaler Selbstbehauptung in einer arabischen Umgebung, die viele hier als Heimat des Terrors ansehen. Und doch mehren sich die Gegenstimmen, Kritiker, die das tradierte Feindbild infrage stellen, den eigenen propagierten Kurs anzweifeln.
„Die meisten wissen gar nicht, worum es im Islam geht“, sagt Orens Kollege Amir. Er selbst studiert in seiner Freizeit den Koran, lernt seit einigen Monaten Arabisch. „Wenn wir nicht einsehen, dass wir nur mit den Palästinensern leben können, wird es nie Frieden geben.“ Die Gesellschaft breche auf, sagt Ahmed, Betreiber eines Falafelladens, 28 Jahre alt, dunkelblaues Polohemd, gepflegter Dreitagebart, in dem jordanischen Wüstenort, zwei Autostunden nördlich von Eilat. „Junge Paare sind heute zusammen, weil sie sich lieben, nicht mehr, weil die Eltern sie aussuchen. Viele Jordanierinnen studieren in Amerika“, sagt er.
Es sind hauptsächlich Beduinen vom Stamm der B’doul, die sich in den sandfarbenen und unverputzten Häusern von Wadi Musa niedergelassen haben. Viele leben vom Tourismus, die antike Felsenstadt Petra ist einen Steinwurf entfernt. Ahmeds Cousin Halet, der als Einziger der Familie noch in einer Höhle haust, schleust jeden Tag schwitzende Ausländer durch die rot schimmernden Sandsteinformationen.
Er blickt über das Hochplateau in die karge Weite der jordanischen Wüste, sein weißes Gewand flattert nervös im Wind. Er sagt: „Mittlerweile kommen die israelischen Touristen wieder. Das ist gut so.“ Nach dem Ausbruch der Zweiten Intifada im Jahr 2000 und dem Terroranschlag in New York im darauf folgenden Jahr gingen die Zahlen drastisch zurück. In den vergangenen Monaten kamen erstmals wieder fast zwei Millionen Besucher aus dem Judenstaat.
Das Verhältnis zwischen beiden Ländern sei entspannter geworden, sagt Abdullah, Geschäftsführer eines rustikalen Hostels im Zentrum von Wadi Musa. Die schweren Teppiche schlucken das Sonnenlicht, die Ventilatoren brummen um die Wette. Im Fernsehen überschlagen sich die Stimmen schriller Kommentatoren. Abdullah sagt, er schaue viel fern in letzter Zeit, am liebsten die Reden von US-Präsident Barack Obama. Abdullah sagt, viele der Dorfbewohner begrüßten den neuen, strengeren Kurs der Amerikaner, das Signal, auch vor Sanktionen nicht zurückzuschrecken, sollte Israel seinen Siedlungsbau nicht stoppen. „Wir alle hier setzen große Hoffnungen auf Obama“, sagt er. Die israelische Anerkennung der Zweistaatenlösung als Grundlage von Frieden, das sei es, was sie hier alle wollten. „Die Chancen stehen gut, dass Obama Ruhe in den Mittleren Osten bringt“, fügt er hinzu, während er Zucker in seinen Tee rührt.
Es ist Freitagmittag in Eilat. Bei Sonnenuntergang beginnt der allwöchentliche Schabbat, der kleine Ort platzt aus allen Nähten. Unermüdlich pendeln die Taxifahrer zwischen Flughafen, palmenumsäumten Betonburgen und nahtlos aneinandergereihten Strandabschnitten. Statt hymnischer Gebete ertönt donnernder Goa-Trance von den Freiluftdiskotheken herüber. Eilat ist ein säkularer Mikrokosmos, ein Ort der Sünde, den orthodoxe Juden aufs Tiefste verabscheuen. Als „Pinguine“ werden sie von der modernen Jugend schon mal bezeichnet wegen ihrer prägnanten schwarz-weißen Kleidung. Sie verkörpern das Fremde im eigenen Land.
„Die müssen hier ihre angestauten Emotionen abbauen“, erklärt Uri, groß, sportlich, Surferfrisur, den hemmungslosen Hedonismus seiner Altersgenossen. Er lässt den Blick umherschweifen in dem quirligen Strandcafé, wo von der Sonne gebräunte Schönheiten dicht gedrängt in weißen Plastikstühlen der Mittagssonne trotzen. „Die prägendsten Jahre, in denen sie sich Fragen zu sich und ihrem Leben stellen, verbringen sie mit Drill und Disziplin. Nach der Ausbildung explodieren sie förmlich“, sagt er.
Ab dem 18. Lebensjahr werden die Männer für drei, Frauen für zwei Jahre in die Armee einberufen. Die Soldaten werden von Schulklassen umringt wie Popstars, mit starken Preisnachlässen in die Läden gelockt. Junge Frauen führen ihre Maschinengewehre zu fliederfarbenen Handtaschen und spätpubertären Pickeln auf der überfüllten Strandpromenade aus. Sie werden ausgebildet für ein Leben im israelischen Staat.
Doch die Sehnsucht nach Normalität, einem Leben ohne nationale Verpflichtungen wächst. Sie alle seien erschöpft nach den Krisenjahren, erklärt Aviv, der studierte Architekt, am Nachbartisch. Aviv hat mit seinen 28 Jahren schon fast die ganze Welt gesehen. Nach der Armee wollte er nur noch weg aus einem Land, das den Anschluss an den Westen irgendwann verpasst hat. In dem all jene, die den Kriegsdienst aus politischer Überzeugung verweigern, ihr Leben lang gesellschaftliche Ächtung erfahren. Er wurde 2006 verwundet im Libanonkrieg gegen die radikal-islamische Hisbollah, heute trägt er eine Metallplatte unter der Kniescheibe. „Die sollen den Palästinensern das Land geben, das sie wollen. Und die Orthodoxen müssen aufhören mit dem Siedlungsbau. Wir haben keine Lust mehr auf politische Machtspiele“, sagt Aviv. „Wir können unsere Mission doch nicht aufgeben“, entgegnet sein Freund Assaf energisch.
Beide stehen sie für den Bruch in einer Gesellschaft, die sich zunehmend polarisiert. Mit Obama sei für sein Land eine schwierige Zeit angebrochen, sagt Assaf. „Unter der Bush-Regierung ging es uns richtig gut. Der Irakkrieg war das Beste, was Israel passieren konnte.“ Und Aviv sagt: „Obama wird mit seiner Diplomatie vielleicht Frieden bringen.“ Dann herrscht Schweigen zwischen den Freunden.
Abends in Three Monkeys, einem angesagten Pub, wenige Minuten von der Vergnügungsmeile mit Tattoo-Shops und Döner-Ständen entfernt. Aus 80 Kehlen ertönt „Hey Jude“ von den Beatles, die Coverband gibt sich alle Mühe, das Publikum mitzureißen. Schwer ist das nicht. Sie alle leben im Hier und Jetzt, genießen jede Sekunde ihrer jugendlichen Unbeschwertheit, solange sie da ist.
Im Gazastreifen, knapp vier Autostunden nördlich, kämpfen palästinensische Familien um jedes Stück Normalität oder das, was von ihr noch übrig blieb. Alles liegt so nah und doch so fern, hier in Israel.