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Archiv-Artikel

Ein Halleluja für den Rebellenrock

DDR-GESCHICHTE Wenn die Kirche in der DDR den Blues hatte, war die Kirche auch voll – die RBB-Dokumentation „Im Namen des Herrn“ beleuchtet das Zusammenspiel von Popmusik und Kirche im verordneten Sozialismus

Im Namen des Herrn

Den vielfältigen Verflechtungen von Popmusik und Kirche in der DDR geht die Dokumentation „Im Namen des Herrn – Kirche, Pop und Sozialismus“ nach. Heute Abend ist der Film mit bislang unveröffentlichten historischen Aufnahmen um 22.45 Uhr im RBB-Fernsehen zu sehen.

VON GUNNAR LEUE

Wer sich eine atheistisch geprägte Band mit DDR-Subkulturvergangenheit ins Gotteshaus holt, darf nicht erwarten, dass diese zum Dank brave Songs zur Preisung des Herrn vorträgt. Also schrie Kai-Uwe Kohlschmidt, Frontmann von Sandow – die mit „Born in the GDR“ einen Wende-Indiehit hatten –, ins Rund der Erlöserkirche in Rummelsburg: „Gott ist ein Bastard!“ Dem Gemeindevorstand mag das nicht so gefallen haben, doch dafür war die Kirche endlich mal wieder rappelvoll. Am Eingang wurde Bier verkauft, und die meisten Käufer sahen aus, als sei ihnen dieser Ort nicht sehr vertraut. Oder nicht mehr. Möglicherweise waren einige das letzte Mal hier gewesen, als in der Erlöserkirche noch Bluesmessen stattfanden, also in den 80er Jahren.

Die Erinnerung an diese und die weiteren kirchlichen Veranstaltungen mit reichlich Pop- und Protestappeal in der DDR war denn auch der Anlass des Auftritts von Sandow am Vorabend des Reformationstages Ende Oktober. Gemeinsam mit den DDR-Undergroundkollegen von Herbst in Peking umrahmte die Band die öffentliche Voraufführung des Dokumentarfilms „Im Namen des Herrn – Kirche, Pop und Sozialismus“, der heute im RBB zu sehen ist.

In dem Film beleuchten der Musikwissenschaftler Michael Rauhut und Regisseur Tom Franke eine Facette der DDR-Geschichte, die zugleich zu den spannendsten, progressivsten und, ja, unterhaltsamsten Kapiteln der deutschen Kirchengeschichte zählt. Dabei kommt das Wort „Gläubige“ im Film praktisch nicht vor. Wenn es einen Grund gab, der etliche junge DDR-Bürger in den siebziger und achtziger Jahren in die Kirchen zog, dann den, dass sie vom Glauben abgefallen waren – an den Sozialismus und an die DDR.

Die Kirche habe sich um Ausgegrenzte gekümmert, die leben wollten, nicht bloß gelebt werden, erzählt der Thüringer Pfarrer Walter Schilling im Film. „Wir konnten ihnen doch nicht nur Sprüche liefern als Antwort auf ihre Fragen.“

Jugendgemäßes Liedgut

Schilling gehörte zu den charismatischen Pastoren, die die Gotteshäuser für die frustrierte Jugend öffneten und diese mit jugendgemäßem Liedgut zum Bleiben bewegten. Genauso wie Pfarrer Theo Lehmann, der in den Siebzigern Tausende in seine Jugendgottesdienste in Karl-Marx-Stadt (dem heutigen Chemnitz) lockte. Zuvor hatte er schon in Halle (Saale) einen Jazzgottesdienst mit westdeutschen Spiritualmusikern organisiert.

Diese Jugendgottesdienste waren für die Staatsmacht ein rotes Tuch, und die Stasi ging mit großer Diskreditierungskreativität dagegen an. Mit „Gruppensex“-Gerüchten zum Beispiel. Es nützte nichts, so wenig wie das Schüren des „Volkszorns“ gegen die Bluesmessen, die von 1979 bis 1986 in Berlin über die Altarbühnen gingen – zuerst nur in der Samariterkirche und nach dem überwältigenden Ansturm aus der ganzen DDR auch in der Erlöserkirche als weiterem Ort.

Sandow sind nie bei einer Bluesmesse aufgetreten. „In Cottbus, wo wir herkamen, gab es für das alternative Spektrum genug Spielfläche. Die Kirche war für uns einfach nicht von Belang, da wir uns nicht in der Zwangssituation befanden, dort spielen zu müssen“, sagt Kai-Uwe Kohlschmidt, der die Filmmusik zur Dokumentation schrieb. Er blickt so nüchtern wie respektvoll auf das Treiben der Kirche in der DDR: „Es ist ja allgemein bekannt, dass die Kirche aus Überlebensinstinkt heraus selbst in harten Zeiten immer wusste, wie sie sich neu positionieren und Schäfchen fangen kann. Deshalb ist sie ja auch eine der ältesten Organisationen der Welt. Speziell in der DDR hatte sie unter den Pfarrern allerdings auch sehr engagierte Persönlichkeiten, die vielen Leuten einen Schutzraum gaben, wo man sich nicht völlig allein fühlte in dieser DDR.“

Das galt für die Künstler vielleicht noch mehr als für ihr Publikum. Die Berliner Liedermacherin Bettina Wegner erzählt im Film, wie dankbar sie der Kirche bis heute dafür sei, dass sie, nachdem sie 1976 Berufsverbot erhielt, wenigstens noch bei ihr einen Raum für Auftritte fand. Ebenso wie später der Liedermacher Stephan Krawczyk aus der Prenzlauer-Berg-Szene.

Öffnung auch für Punk

In den Achtzigern hatten die mutigsten Gottesdiener ihre Häuser aber auch schon den radikalen Punkbands geöffnet. Was die damals 19-jährige Jana Schloßer für ihre Auftritte mit der Band Namenlos schwer büßen musste. Sie kam, nachdem Stasichef Mielke 1983 Härte gegen Punks befohlen hatte, ins Frauengefängnis Hoheneck.

Messen für die vom Glauben Abgefallenen – an den Sozialismus und an die DDR

So wie mit ihr konnte die Staatsmacht aber nicht mit allen Renitenten umspringen, vor allem nicht mit den Organisatoren der Kirchenkonzerte. Die bekamen allerdings Dauerdruck vom weltlichen Oben. „Wir mussten um jede Bluesmesse hart ringen“, sagt Rainer Eppelmann. Mit seiner Schläue als Pfarrer der Samaritergemeinde brachte er die Stasi in Rage, weil er die verhasste Kirche mit Leuten voll kriegte, die mit Kirche ursprünglich gar nichts am Hut hatten.

Für den Bluesrocker Günter Holwas sind in der Rückschau die Bluesmessen, die er gemeinsam mit Eppelmann erdacht hatte, vor allem eine geniale Idee. „Jeder kam auf seine Kosten, die Künstler und die Kirche, die noch nie so voll war.“

Doch selbst die Bluesmessen in der DDR unterlagen in gewisser Hinsicht den normalen Pop-Gesetzen, wonach jede neue Generation rebellischer Musiker ungern in die Fußstapfen der vorherigen tritt. Für den jungen Kai-Uwe Kohlschmidt war so Blues „einfach eine Generation vor uns“. Wer auf Bob Dylan und Neil Young stand, sei unhip gewesen. „Man hat ja in dem Alter auch so’n bisschen Avantgardeanspruch. Außerdem war die DDR in den achtziger Jahren ein Stück weit liberalisiert und gab der Subkultur, der wir zugehörten, einen gewissen Platz.“

Dass sich die Geister durchaus schieden, wenn unkonforme Künstler in staatlichen Clubs, Kulturhäusern oder gar im DDR-Fernsehen auftraten, bekam Gerhard Schöne zu spüren.

Als der populäre Liedermacher (auch Pfarrerssohn und Wehrdienstverweigerer) über die kirchlichen Bühnen hinausdrängte, wurde ihm das übel genommen. Manche Kirchenleute sahen in ihm nun einen Angepassten, gar einen Verräter. „Das fand ich schon borniert“, sagt Schöne, „zumal ich überall das gleiche Programm gespielt habe. Ich wollte einfach in die Öffentlichkeit.“

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