Caipi und Geschnetzeltes

Die Nationalmannschaft Brasiliens bereitet sich in einem Dorf im Kanton Luzern auf die Weltmeisterschaft vor. Tourismusverband und Vermarktungsagenturen erwarten gute Geschäfte

AUS WEGGIS STEFAN ROSS

Ein Fisch auf knallrotem Hintergrund. Das ist das Wappen der Gemeinde Weggis im Schweizer Kanton Luzern. Derzeit jedoch erstrahlt die Kommune in den brasilianischen Nationalfarben – Grün und Gelb. Seit die WM-Favoriten ihr Trainingsquartier am Vierwaldstätter See bezogen haben, sieht beinahe alles ein wenig brasilianisch aus in Weggis. Doch wie kommen die Brasilianer eigentlich in dieses sonst so verschlafene 4.000-Seelen-Nest? Immerhin standen über 800 Orte zur Auswahl, von denen ernsthaft 40 geprüft wurden. Am Ende bekam Weggis den Zuschlag.

Die Verantwortlichen der Seleção mögen das Klima, welches dem in Deutschland ähnelt, und die Ruhe in der ländlichen Gegend. Dies ist natürlich längst nicht alles. Die jüngste Geschichte von Weggis ist eng mit dem Namen Phillippe Huber verbunden. Dessen Agentur Attaro fädelte den Deal ein. Geschäftsbeziehungen zu den Agenturen Kentaro und Sportart halfen dabei; diese organisierten beispielsweise im November letzten Jahres das Freundschaftsspiel zwischen Argentinien und England in Genf, eine Art Generalprobe für die EM 2008. Auch die Tourismusverbände der Region ließen sich bei der Aufstellung eines Sonderetats nicht lumpen. Weil die Hoteliers aus Weggis, Vitznau und Rigi vom riesigen Werbeeffekt überzeugt sind, zahlen sie geschlossen pro Übernachtung einen halben Franken extra, den von den heimischen Gazetten so genannten Brasilien-Füfzgi.

Das Trainingsstadion spendierte Domenic Steiner, örtlicher Inhaber einer Firma zur Herstellung von Kaffeemaschinen für Großbetriebe und – nicht ganz zufällig – ein Freund von Phillippe Huber. Während in Zürich jahrelang wegen Diskussionen um ein paar Parkplätze ein Stadionneubau unmöglich war, errichtete der Gönner innerhalb weniger Monate eine schmucke Arena für 4.600 Zuschauer. Ein modernes Mediacenter, ein VIP-Bereich, ein Fitnessraum, eine Eventmeile – es wurde an beinahe alles gedacht. „Da gab es für mich nichts zu überlegen“, meint Steiner ganz selbstverständlich. Auch nicht, als der Bau um ein einige tausend Franken teurer als geplant ausfiel.

Die örtliche Schifffahrtsgesellschaft hat sich auf erhöhten Publikumsverkehr eingestellt. Sie erstellte einen speziell auf die Trainingszeiten abgestimmten Sonderfahrplan für die Fans aus Luzern und Umgebung. Vor dem Parkhotel drehen die Schiffe eine Extraschleife, um den Passagieren einen eventuellen Blick auf einen der vielen Stars zu ermöglichen.

Bis zum 3. Juni, dem letzten Trainingstag, läuft täglich ab Mittags bis spät in die Nacht hinein ein mehrstündiges Kulturprogramm, an dem Künstler aus der Region und so genannte Heimweh-Brasilianer teilnehmen. Ob die Spieler genügend Ruhe finden, wenn abends heiße Sambarhythmen die Fensterscheiben im Parkhotel zum Vibrieren bringen? Das Schweizer Boulevard-Blatt Blick jedenfalls hält ab sofort jedes noch so unscheinbare Detail auf seinen extra eingerichteten Sonderseiten fest.

All diese Dinge lassen Coach Carlos Alberto Parreira scheinbar völlig kalt. Nichts weniger als die Titelverteidigung wird von ihm erwartet. Ansonsten kann er sich gleich hier einnisten und im Schweizer Exil bleiben. Am 15. Mai im mondänen Hotel Windsor zu Rio de Janeiro, als er sein Aufgebot bekannt gegeben hat, hatte es kaum Überraschungen gegeben. Spieler wie Roque Junior, Ricardo Oliveira oder Torhüter Marcos, die nach langen Verletzungen nur schwer wieder in Tritt kamen, hatte er schweren Herzens aussortieren müssen. Gewundert hat das niemanden. Das Drumherum der Nominierung war da schon eher kurios: Die über 200 Journalisten aus aller Welt saßen gespannt im Konferenzraum, der wegen des Andrangs aus allen Nähten zu platzen drohte. In einem anderen Raum des Hotels wurde Parreira aufgenommen und war auf TV-Screen von den Reportern zu sehen. Er verlas die Namen in alphabetischer Reihenfolge. Eine Viertelstunde später stellte sich der Coach den Fragen der Journalisten – nun leibhaftig. Auf die Frage, ob er wegen der Nominierung und etwaiger Härtefälle nervöser als sonst war, entgegnete er entschlossen: „Nie war ich ruhiger als heute.“ Dabei nestelte er ungeschickt ein ums andere Mal am Verschluss einer Wasserflasche herum. Daraus zu schlussfolgern, die Brasilianer seien nervös, wäre vielleicht übertrieben.

Zurück in Weggis. Auf der Eventmeile drängt sich Verkaufsstand an Verkaufsstand. Wer will, kann jeden Tag eine Caipirinha trinken und muss dabei nicht einmal auf sein gewohntes Züricher Geschnetzeltes verzichten. Die beiden Imbissbuden stehen direkt nebeneinander. Absoluter Verkaufsschlager sind zweifellos die „Weggis 06“-T-Shirts, welche standesgemäß und längst selbstverständlich in Grün-Gelb angeboten werden.