piwik no script img

Archiv-Artikel

Arcelors Retter kommt aus Russland

Im Abwehrkampf gegen die feindliche Übernahme durch den weltgrößten Stahlkonzern Mittal Steel landet die luxemburgische Arcelor einen Coup: Das Unternehmen will mit der russischen SeverStal fusionieren und würde damit selbst Weltmarktführer

VON BEATE WILLMS

Im Januar war Lakshmi Mittal angetreten, den Markt aufzurollen: Mit der Übernahme von Europas größtem Stahlproduzenten Arcelor wollte der Chef des Weltmarktführers Mittal Steel seine Vormachtstellung festigen.

Doch Arcelor hat sich von Anfang an gegen die als „feindlich“ eingestufte Übernahme gewehrt. Der Druck auf den Arcelor-Vorstand wurde immer größer, nachdem Mittal vergangene Woche sein Angebot um 34 Prozent auf 25,8 Milliarden Euro erhöht hatte. Gestern nun zückte Arcelor einen Trumpf: Arcelor-Chef Guy Dollé erklärte, sein Unternehmen werde mit der russischen SeverStal fusionieren – Mittal könnte leer ausgehen. Analysten bezeichneten die neue Entwicklung als „Deal-Breaker“ für die Mittal-Pläne.

Wenn die Aktionäre zustimmen und die Aufsichtsbehörden keine Einwände haben, kann der Zusammenschluss Ende Juli vollzogen sein. Allerdings will Mittal nicht kampflos aufgeben. In einer ersten Reaktion erklärte er Dollés Coup für „zweitklassig“.

Der bereits unterzeichnete Fusionsvertrag sieht vor, dass SeverStal-Hauptaktionär Alexei Mordaschow 1,25 Milliarden Euro in bar an Arcelor zahlt und seine Anteile an dem russischen Konzern sowie an dessen italienischer Tochter Lucchini in die Fusion einbringt. Gesamtwert: rund 12 Milliarden Euro. Im Gegenzug soll der 40-Jährige 32 Prozent am Arcelor-Kapital bekommen. Zudem würde er Verwaltungsratschef werden. Konzernchef bliebe Dollé.

Das Angebot bewertet die Arcelor-Aktie mit 44 Euro, das ist rund ein Drittel mehr als der aktuelle Kurs. Mittal hatte zuletzt 35,62 Euro geboten. Seit dem Beginn der Bieterschlacht Ende Januar hat sich der Arcelor-Kurs glatt verdoppelt.

„Wir sprechen seit Jahren über die Verbindung mit den Russen“, sagte Dollé. Der Druck Mittals habe den Abschluss „nur beschleunigt“. Die Zustimmung der Aktionäre hielt Dollé für sicher. Trotzdem soll ihnen das Ja zusätzlich mit einer Ausschüttung von 7,5 Milliarden Euro versüßt werden. Auch bei den Beschäftigten warb der Arcelor-Chef: Die geplante Fusion habe keine Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, sagte er. Unklar blieb in diesem Zusammenhang, womit er denn die erhofften Synergieeffekte von „mindestens 590 Millionen Euro“ realisieren will. Der fusionierte Konzern hätte rund 151.000 Beschäftigte, würde unter dem Namen Arcelor weitergeführt – und Mittal Steel als Weltmarktführer ablösen: Zuletzt stellten Arcelor und SeverStal insgesamt rund 70 Millionen Tonnen Rohstahl her – 12 Millionen Tonnen mehr als Mittal. Der Gesamtumsatz lag bei rund 46 Milliarden Euro. Hätte Mittal Arcelor übernommen, wäre allerdings ein Koloss mit rund 250.000 Beschäftigten, einem Umsatz von rund 56,5 Milliarden Euro und einer Rohstahlproduktion von 119 Millionen Tonnen Stahl entstanden.

SeverStal habe man „nicht auf der Rechnung gehabt“, sagte Roland Döhrn, Stahlexperte beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Aber tatsächlich plane Dollé nun nichts anderes als Mittal vorgehabt habe: ein Unternehmen, das sowohl den hochwertigen Qualitätsstahl, für den Arcelor steht, als auch Massenstahl liefern kann. SeverStal agiert mit seinen Draht- und Blankstahlprodukten in einem ähnlichen Segment wie Mittal. Ähnlich wie Mittal hat sich auch SeverStal langfristig mit Rohstoffnachschub eingedeckt. Nach eigenen Angaben besitzt der Konzern Eisenerzreserven für 70 Jahre und Kohleressourcen für 84 Jahre.