: Das kleinste Übel
ELEKTRONIK „Faire“ Gadgets gibt’s bisher kaum. Ein Mix aus modularen Bausteinen, Rohstoffen aus „konfliktfreien“ Quellen und Open Software könnte ein Weg sein
■ PhonebloksKonzeptstudie von Dave Hakkens Betriebssystem: Android o. ä. Technische Daten: noch nicht bekannt Preis: noch nicht bekannt Weitere Infos: phonebloks.com
■ FairphoneBetriebssystem: Android 4.2, alternative Installation möglich Technische Daten: 1,2 Ghz Chip, 16 GB Speicher intern, 4,3 Zoll LED-Display, Gewicht 170 Gramm Preis: 325 Euro (derzeit nur Vorbestellungen möglich) Infos: fairphone.com
■ Firefox Phone (Alcatel One Touch Fire) Betriebssystem: Firefox OS Technische Daten: 1 Ghz Chip, 512 MB Speicher intern, 3,5 Zoll LED-Display, Gewicht 125 Gramm Preis: ab 90 Euro (derzeit exklusiv via congstar, Infos: mozilla.org/de/firefox/os/ sowie congstar.de)
■ Boox E43 (E-Ink Smartphone) Betriebssystem: Android 2.3 Technische Daten: 1 Ghz Chip, 512 MB Speicher, 4,3 Zoll E-Ink-Display, Gewicht 120 Gramm Preis: noch nicht bekannt Infos: onyx-international.com.cn (aw)
VON ANSGAR WARNER
Welches Mobilgerät ist fair zum Fabrikarbeiter, fair zur Umwelt, fair zum Kunden und idealerweise auch noch fair zu den Augen? Vorsicht, Fangfrage: Denn solch ein Gerät gibt es bisher noch nicht – beim „Fairschenken“ muss man bis auf Weiteres eine Menge Kompromisse eingehen. Schade, denn das Potenzial wäre riesig, nicht nur zu Weihnachten. So existieren weltweit mehr als 6 Milliarden registrierte Mobilfunkanschlüsse, rein rechnerisch besitzen damit fast 90 Prozent der Weltbevölkerung ein solches Gadget. Doch auch Tablets und E-Reader sind längst ein Massenprodukt – seit 2008/2009 wurden mehr als 200 Millionen Flachrechner und etwa 60 Millionen elektronische E-Ink-Lesegeräte verkauft. Bisher ist die Bilanz in punkto Fairness jedoch ernüchternd.
Die letzte Folgestudie von makeITfair und Germanwatch zum Thema Unternehmensverantwortung stellt deutschen Mobilfunkanbietern ein schlechtes Zeugnis aus: Vom Design über Produktionsprozess, Marketing und dem am Ende oft fehlenden Recycling wurde „erhebliches Verbesserungspotenzial“ festgestellt. Gleiches darf für die Herstellung von Tablets und E-Readern gelten, die unter ähnlichen Bedingungen produziert werden. Auf der Skala des „Greenpeace Guide to Greener Electronics“ befinden sich fast alle großen Unternehmen wie Apple, Samsung, Sony oder Philips im roten Bereich. Selbst das nach dem Prinzip „best in class“ sozusagen „kleinstes Übel“ verliehene deutsche Umweltabzeichen „Blauer Engel“ schmückt kein einziges aktuelles Mobilgerät.
Ideen, wie es besser gehen könnte, gibt es aber schon. Noch im Konzeptstadium sind die „Phonebloks“, mit denen Dave Hakkens der Wegwerfkultur den Kampf ansagen möchte. Statt eines monolithischen Blocks will der Niederländer dem Handykunden ein modular aufgebautes System anbieten – Akku, Speicher, Kamera und mehr sind an der Hauptplatine nur angedockt und lassen sich bei Bedarf einzeln austauschen oder nachrüsten. Nachteil: Das Legostein-ähnliche Telefon wäre klobiger als ein maximal integriertes Smartphone, zugleich würde der Materialaufwand steigen, denn die einzelnen Bauteile müssen eine eigene Hülle besitzen.
Deutlich weiter ist das niederländische Start-up Fairphone, das zumindest den Anspruch hat, fairer produziert zu werden als der Durchschnitt. Die erste Charge mit 25.000 Exemplaren des gleichnamigen Smartphones ist bereits ausverkauft, die zweite in Arbeit. Der transparent aufgeschlüsselte Kaufpreis von 325 Euro enthält etwa 9,50 Euro für Lohnkosten, bei vergleichbaren Geräten wären es normalerweise eher 3 Euro. Einige der enthaltenen Rohstoffe wie Zinn oder Coltan stammen aus „konfliktfreier“ Quelle, wurden also außerhalb von Bürgerkriegsgebieten geschürft. Ein austauschbarer Akku sowie Root Access und damit weitgehende Zugriffsrechte auf das Betriebssystem sollen zudem dafür sorgen, dass man das Fairphone möglichst lange nutzen kann – unter Öko-Aspekten sowieso das Optimum. Kein Wunder, dass die taz schon überlegt, ihren Abonnenten das Fairphone als Prämie anzubieten, alternativ zum tendenziell „böseren“ Google Tablet Nexus 7.
Ach ja, Google. Auch das Fairphone läuft im Lieferzustand mit einer angepassten Version von Googles mobilem Betriebssystem Android (4.2) – man befindet sich also hinsichtlich der Software erst mal in den Fängen eines transnationalen Unternehmens mit ganz eigener Agenda. Mit Firefox OS steht aber zum Glück schon eine wirklich freie Alternative in den Startlöchern, die man schon live ausprobieren kann: Die Telekom-Tochter Congstar verkauft seit Mitte Oktober mit dem „Firefox Phone“ ein Low-Cost-Smartphone im Zeichen des Open-Source-Fuchsschwanzes. Zwar nicht fair produziert, dafür aber zu einem sehr fairen Endkundenpreis von knapp 90 Euro. Mit dem „Firefox Marketplace“ existiert ein eigener, unabhängiger App Store. Da Firefox OS (gleiches gilt übrigens für die neueste Version der Linux-Distribution Ubuntu) nicht nur auf Smartphones, sondern auch auf Tablets lauffähig ist, könnte es in Zukunft eine ganz neue Produktkategorie geben: fair produzierte Mobilgeräte, auf denen ein fair komponiertes Betriebssystem läuft.
Derweil verwischen die Unterschiede zwischen E-Reader und Tablet zusehends immer stärker. Sie haben traditionell zwar ein anderes Display, werden aber beide per Touchscreen-Technik bedient. Bestes Beispiel ist das vom chinesischen Hersteller Onyx angekündigte Boox M96, ein zum Lesen optimiertes E-Ink-Tablet im iPad-Format, das mit Android läuft. Parallel dazu bringt Onyx mit dem Boox E43 auch ein Android-Smartphone mit E-Ink-Display heraus. Es gibt also auch jenseits des klassischen E-Readers mobile Gadgets in verschiedenen Formaten, die fair zu den Augen sind. Mehr aber auch nicht.
Wer überhaupt keine Kompromisse eingehen will, dem bleibt zurzeit eigentlich nur das radikale Downsizing der Ansprüche: entweder eine Tablet-Hülle selber zu stricken oder eine in Deutschland fair zusammengeschraubte Computermaus von nager-it zu schenken.