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Archiv-Artikel

Einmal Berlin von links nach rechts

ALLE JAHRE WIEDER Die Stadt per Zufallsgenerator neu entdecken: Für den taz-Adventskalender 2013 sucht der Fotograf Fred Hüning Bilder und Geschichten am Rande der B 1. Türen werden natürlich auch zu öffnen sein

VON UWE RADA

Es gibt im Prinzip unendlich viele Wege, sich einer Stadt zu nähern – mindestens so viele, wie durch sie hindurchführen. Aber meist nehmen wir die ausgetretenen Pfade, aus Bequemlichkeit oder Einfallslosigkeit oder nur aus Zeitmangel. Das gilt auch für die eigene Stadt. Umso spannender, wenn uns jemand auf eine Erkundung mitnimmt, die sich an keinen Reiseführer hält.

„Der Zufall ist der beste Weg, fremde Orte kennenzulernen.“ Die These stammt von der Berliner Schriftstellerin Annett Gröschner, die fremde Städte erkundete, indem sie mit der Straßenbahnlinie 4 von einem Ende zum andern fuhr: das Tramnetz als Zufallsgenerator.

Für die taz.berlin macht sich in diesen Tagen der Fotograf Fred Hüning auf den Weg, Berlin mit anderen Augen zu sehen. Natürlich sind es in der Adventszeit vor allem Türen, die geöffnet werden wollen. Wohnungs- und Haustüren, Garten- und Garagentore. Um an möglichst vielen vorbeizukommen, durchwandert Hüning einmal die gesamte Stadt, vom äußersten Südwesten nach dem äußersten Osten. Sein Routenplaner ist der Berliner Abschnitt der Bundesstraße 1.

Von Wannsee bis Mahlsdorf

Einst führte die „Reichsstraße 1“ von Aachen nach Königsberg. Die heutige B 1 endet in Küstrin, verbindet aber immer noch zwei sehr unterschiedliche Teile Deutschlands. Und obwohl Fred Hünings Reise nur von Wannsee bis Mahlsdorf führt, werden West und Ost, die „beiden Berlins“, auch bei ihm eine Rolle spielen.

Oder sind es mehr als nur zwei? Berlin, so wird immer wieder gern zitiert, sei „viele Städte“, und viele von ihnen verbindet der Zufallsgenerator B 1. Es beginnt mit der Glienicker Brücke, auf der einst Agenten ausgetauscht wurden und über die nun der Verkehr zwischen Berlin und Potsdam rollt. In Zehlendorf, dem Inbegriff des reichen Westberlin, sind die Verlierer der Wende noch weit weg. Aber schon in Schönebergs Hauptstraße werden die Brüche deutlich, die sich durch die Stadt ziehen.

Sicher, auch an der B 1 könnte man der Versuchung erliegen, Symbol an Symbol zu reihen. Potsdamer Platz, Alex, Karl-Marx-Allee. Doch das reicht Fred Hüning nicht: Er will Geschichten erzählen. Er hat sich vorgenommen, das mit den Türen gelegentlich ganz wörtlich zu nehmen. Nicht nur um Einlass will er bitten, sondern hin und wieder auch um ein Schlafgemach. Wo wird er es eher finden? In Steglitz oder in Lichtenberg? Und welche Türen bleiben ihm verschlossen?

Auf fast 45 Kilometern durchquert die B 1 Berlin. Für eine einzige Stadt ist das eine Menge. Fred Hüning muss sich trotzdem nicht beeilen: Rein rechnerisch hat er bis zum 24. Dezember nur ein Pensum von zwei Kilometern pro Tag zu bewältigen. Genug Zeit, um Geschichten zu erleben. Wir dürfen gespannt sein.