Vorsicht, Presse!

Für Generalbundesanwalt Kay Nehm war Medienarbeit beinahe die gefährlichste Disziplin seiner 13-jährigen Amtszeit. Heute tritt er ab

Nehm wollte sich nicht zensieren lassen und gab nur noch TV-Interviews

von CHRISTIAN RATH

Besser schweigen als ein falsches Wort. Mit diesem, sagen wir, zurückhaltenden Verständnis von Pressearbeit hat es Generalbundesanwalt Kay Nehm nun tatsächlich geschafft, ohne vorzeitige Entlassung den Ruhestand zu erreichen.

Auf keinen Fall wollte er enden wie sein Vorgänger Alexander von Stahl, der 1993 von der Bundesregierung gefeuert wurde. Offizieller Grund war dessen widersprüchliche Informationspolitik nach dem Tod des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams in Bad Kleinen. Miterlebt hatte Nehm auch, wie 1989 Alexander Prechtel seinen Posten als Pressesprecher beim Generalbundesanwalt verlor. Auch hier soll das Justizministerium mit der Öffentlichkeitsarbeit unzufrieden gewesen sein.

Zwar gab es in beiden Fällen auch noch andere Gründe – von Stahl war mit dem Job überfordert, Prechtel dem damaligen Justizstaatssekretär Klaus Kinkel (FDP) zu konservativ. Aber Nehm hatte die Botschaft verinnerlicht: immer vorsichtig mit der Presse! Und nach dem Regierungswechsel konnte er sich auch bestätigt sehen. Als er der taz im Juli 2000 seine neue Linie gegenüber gewaltätigen Rechtsradikalen erläuterte, stürmte beim nächsten Zusammentreffen die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) auf ihn zu, wie Zeugen berichteten, und fauchte: „Das machen Sie nicht noch mal“. – Sein Vergehen: Er hatte im Interview eine andere Meinung als die Ministerin vertreten. Däubler-Gmelin hatte zuvor verkündet, die Bundesanwälte sollten gegen ostdeutsche Gewalttäter ermitteln, weil sie „besser“ seien als die Länderjustiz. Doch Nehm korrigierte in der taz: „Wir übernehmen Fälle nicht, weil wir besser, sondern weil wir zuständig sind.“

Die Folge war hart: Ab sofort sollte Nehm alle Interviews im Ministerium beim damaligen Justizstaatssekretär Hansjörg Geiger zur Korrektur vorlegen. Doch das hat Nehm stets verweigert, er wollte sich „nicht wie ein Schuljunge zensieren lassen“. Deshalb gab er nur noch Fernsehinterviews – denn die konnte man vorher schlecht im Ministerium vorlegen. Dafür litt Nehm fürderhin immer darunter, dass seine differenzierten Aussagen im Fernsehen stark verkürzt erschienen.

Nach dem Amtsantritt der neuen Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) im Jahr 2002 wagte dann Nehm einen neuen Versuch mit der Presse: Er gab der Süddeutschen Zeitung ein unabgesprochenes Interview. Doch prompt kam wieder eine Rüge aus Berlin.

Ein offizielles Interviewverbot wurde zwar nie gegen Nehm verhängt, aber das Justizministerium konnte sich auch so verständlich machen. Ein Beispiel: Im Frühjahr 2004 bat die taz Kay Nehm um ein Interview zu seinen Islamismus-Ermittlungen. Doch statt der Generalbundesanwaltschaft meldete sich das Berliner Ministerium – und bot vor dem Nehm-Interview ein Hintergrundgespräch an. Anschließend war auch Nehm nur noch zum nicht zitierbaren Gespräch bereit.

Dabei war auch Nehm selbst oft mit den Karlsruher Justiz-Journalisten unzufrieden, weil sie seine Anliegen zu wenig verstanden und transportierten. Doch während die Verteidiger im Mannesmann-Verfahren ihre Schriftsätze streuten, verweigerte Nehm jede Information über die Revisionsschrift der Ankläger. Und als jüngst aus Potsdam ständig neue Informationen zum Angriff auf den Afrodeutschen Ermyas M. sprudelten, blieb der Generalbundesanwalt weitgehend stumm. Dass diese „Pressearbeit“ vielleicht doch etwas zu defensiv war, hat inzwischen auch Kay Nehm selbst eingesehen.

Erst kurz vor Ende seiner Amtszeit gab er Zeitungen und Zeitschriften wieder Interviews. In der sicheren Erwartung, dass er jetzt wohl nicht mehr entlassen werde: Heute wird Nehm in Karlsruhe verabschiedet. Seine Nachfolgerin Monika Harms kommt vom BGH und hat altersbedingt nur eine fünfjährige Amtszeit vor sich. Vielleicht macht sie das etwas risikobereiter.