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Archiv-Artikel

„Für Homophobie gibt’s leicht Applaus“

JAMAIKA Carolyn Cooper, jamaikanische Professorin für Kulturwissenschaft, über männliche Rollenbilder im Dancehall, schwule Nischen, Priester und DJs

Carolyn Cooper

■ Carolyn Cooper ist Professorin für Literatur und Cultural Studies an der University of the West Indies in Mona auf Jamaika. Seit 2007 veranstaltet die 60-Jährige die „Global Reggae Conference“, bei der Akademiker, Musiker und Fans regionale Unterschiede in der Produktion und Rezeption von Reggae diskutieren. CW

INTERVIEW CHRISTIAN WERTHSCHULTE

taz: Frau Cooper, nach einer Phase des Hypes produziert jamaikanische Musik momentan Negativschlagzeilen. Was ist denn da schiefgelaufen?

Carolyn Cooper: Jamaikanische Musik hat eine lange internationale Erfolgsgeschichte. Denken Sie nur an Bob Marley. Mit Dancehall hat sich das seit den 90ern geändert. Darin steht nicht so sehr antikoloniale Politik im Vordergrund, sondern ein Teil der Songs thematisiert Gender und Sexualität. Von diesen werden meistens die Stücke wahrgenommen, die Homosexualität verteufeln. Das ist aber nicht das gesamte Spektrum an Texten. Eine Sängerin wie Tanya Stephens kritisiert z. B. die Marginalisierung von Frauen und erzählt davon, wie schwierig es ist, sich als Frau einen Platz im Rampenlicht zu erkämpfen. Internationale Medien konzentrieren sich auf die negativsten Aspekte von Dancehall. Darin könnte auch auch eine Spur Rassismus liegen.

Was ist die Politik von Gender und Sexualität im Dancehall?

Wenn Dancehall verunglimpft wird, wird seine „Slackness“ (Reggae-Spielart mit dezidiert „unanständigen“ Texten, Anm. d. Red.) häufig gegen respektable Texte mit sozialem und politischem Inhalt ausgespielt. Diesen wird dann das Prädikat „culture“ verliehen. Slackness ist dagegen alles, was mit Sexualität – egal ob Hetero- oder Homosexualität – zu tun hat, denn auf Jamaika wird auch die Thematisierung von Heterosexualität verteufelt.

Seit wann sind diese beiden Pole charakteristisch für jamaikanische Musik?

Seit wann gibt es Sex? Es gibt eine etwas krude Theorie, nach der Edward Seaga (Premierminister Jamaikas 1980–1989, Anm. d. Red.) für den Aufstieg der Slackness als Reaktion auf seine konservative Wirtschaftspolitik verantwortlich ist. Letztendlich geht es bei Slackness aber um Sex, also kann man schwer einen Beginn definieren. Yellowman, der als „Don of Slackness“ gilt, singt zum Beispiel: „Me no want wat di man dem nyam an left“ – Ich will nicht essen, was mir andere Männer übriggelassen haben. Es gibt einen alten Mento-Song mit den gleichen Metaphern, den er aufgegriffen hat. Nehmen Sie BMW-Werbung für Gebrauchtwagen in Griechenland. Unter dem Bild einer jungen Frau steht die Zeile „You know you’re not the first.“ Das ist die gleiche Idee.

Aus welchen Bilderwelten bedienen sich Dancehall-DJs für ihre Images?

Aus japanischen Samuraifilmen, Western und Gangsterfilmen. Die dort vermittelten männlichen Rollenbilder zeichnen sich in erster Linie durch die Verherrlichung von Gewalt aus. Der DJ Ninja Man erzählt zum Beispiel, wie er als Kind „The Harder They Come“ (jamaikanischer Kinofilm von 1972, Anm. d. Red.) gesehen hat, der selbst schon eine Indigenisierung des Westerns ist. Danach musste ihm seine Großmutter ein Cowboy-Kostüm schenken.

Sie behaupten auch, dass Dancehall und der Aufstieg von „Slackness“ neue Freiräume für Frauen eröffnet haben.

Der schwarze Körper wurde in der Regel als hässlich beschrieben. Dancehall eröffnet Frauen aber einen Raum, in dem sie sich als schön erleben können. Reduziert man Dancehall auf seine „Frauenfeindlichkeit“, dann verkennt man, dass Frauen hier sexuelle Macht reklamieren. Tanya Stephens affirmiert zum Beispiel sexuelles Verlangen, wenn sie „Me want a man weh have a big ninja bike fi me ride pan“, also „Ich will einen Mann mit einem Ninja Bike (Slang für japanische Motorräder; Anm. d. Red.), das ich reiten kann“ singt. Diese Darstellung von Sexualität greift fundamental-religiöse Vorstellungen an. Ironischerweise unterstützt Dancehall aber genau die gleiche religiöse Vorstellungswelt, wenn dort Homosexualität wie im Alten Testament verteufelt wird. Wenn man über Dancehall und Politik redet, muss man über die Machtverteilung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen reden. Dancehall bestärkt dabei die Werte einer Arbeiterklasse, die als Außen einer „respektablen“ Mittelklasse definiert sind.

Homophobie im Dancehall ist also Ausdruck von Klassenkonflikten?

Nein, in Jamaika ist Homophobie auch unter Reichen verbreitet. Sie kommt aus dem fundamentalistischen Christentum. In der Frage von Homosexualität gehen der Dancehall-DJ und der fundamentalistische Priester konform.

Wem nutzt denn die Homophobie auf Jamaika?

In erster Linie den DJs. Wenn die Performance nicht gut läuft, spielt man einen „battyman tune“ und erzielt einen leicht verdienten Applaus. Aber das wird auch kritisiert. Es werden Forderungen laut, dass Texte aus mehr als der Formel „All battyman fi dead!“ bestehen müssen.

Sie schreiben, dass die Mittelklasse ihre Homophobie nicht in Gewaltfantasien ausdrückt.

Ja, jamaikanische Kultur ist als ganze homophob. Aber diese Homophobie drückt sich unterschiedlich aus. Die Mittelklasse spricht Englisch, die Arbeiterklasse spricht Jamaikanisch. Auf Jamaikanisch werden abstrakte Ideen häufig als Metapher ausgedrückt. Menschen aus der Mittelklasse würden „Ich kann Homosexualität nicht gutheißen“ sagen, während man in der Arbeiterklasse den gleichen Gedanken mit gewalttätig klingenden Metaphern ausdrücken würde: „All battyman fi dead“. Wenn Buju Banton „Boom By By inna batty bwoy head“ singt, verbalisiert er damit Pistolenschüsse. Die nächsten Zeilen, „Rude bwoy no promote no nasty man / Dem haffi dead“, sind in einer Sprache gehalten, die dem Buch Leviticus ähnelt. Hier werden reale Ängste gegenüber Homosexualität in eine Sprache übersetzt, die es den Menschen erlaubt, diese Ängste zu artikulieren, ohne tatsächlich gewalttätig zu werden.

Das würde bedeuten, dass die „battyman tunes“ kathartisch wirken.

Das ist meine These. Aber eine Katharsis kann auch unabgeschlossen bleiben.

Sie bezeichnen diese Ängste als „Heterophobie“, also als Angst vor der Differenz.

Das Problem mit Homophobie ist nicht so sehr die Angst vor gleichgeschlechtlichem Sex, sondern die Angst vor Menschen, die wir als „anders“ wahrnehmen. Es geht um die Konstruktion von Gemeinschaft: Wer gehört dazu, wer ist ausgeschlossen? Aber ich kann verstehen, wenn Schwule meine Lesart nicht teilen und sagen, „battyman tunes“ seien eine Bedrohung, wie es Volker Beck tut.

Menschen aus der Mittelklasse würden sagen: „Ich kann Homosexualität nicht gutheißen“

Der Grünen-Politiker behauptet, dass seine Aktionen Erfolg haben. Sänger würden sich von den „battyman tunes“ distanzieren, in Montego Bay gab es den ersten Gay Pride Jamaikas.

Ich wüsste nicht, dass Volker Beck für die Schwulenbewegung auf Jamaika verantwortlich ist. In den 90ern wurde mit der Hilfe von Exil-Jamaikanern das „Jamaican Forum for Lesbians, All-Sexuals and Gays“ (J-FLAG) gegründet. Internationale Schwulenaktivisten haben das Image Jamaikas allerdings so weit beschädigt, dass sich lokale Aktivisten von ihnen distanziert haben. Eines unserer Probleme ist, dass internationale Schwulenrechtsaktivisten die Räume nicht kennen, in denen sich Homosexuelle auf Jamaika eine Nische geschaffen haben, in der sie aufblühen.

Wo sind diese Nischen?

Es gibt Räume, in denen sie gemeinsam feiern und leben, ohne vom Rest der Gesellschaft gestört zu werden. Auf Jamaika gab es schon immer Schwule, aber sie blieben ungeoutet. Auch im sogenannten „liberalen“ Norden sind offen auftretende Schwule eine neue Erscheinung. Jamaika verändert sich, aber nicht so schnell. Gerüchte, dass der ehemalige Premier P. J. Patterson schwul sei, wurden von der Opposition so lange verbreitet, bis er öffentlich erklärte, dass seine „Verdienste als lebenslanger Heterosexueller makellos“ seien. Dass dieser Diskurs bis in die Politik gelangen konnte, ist schon ein Beweis dafür, dass sich unsere Gesellschaft in einer Umbruchphase befindet.

In Deutschland wird homophober Dancehall häufig als „Volksverhetzung“ bezeichnet. Einerseits wird damit eine Kontinuität zur Schwulenverfolgung in Nazi-Deutschland behauptet, andererseits werden Homophobie und Rassismus gleichgesetzt.

Viele Jamaikaner würden sich gegen eine Gleichsetzung wehren. Sie würden sagen: „Ja, da gibt es Diskriminierung, aber der Unterschied ist, dass Homosexualität abnormal und eine schwarze Hautfarbe normal ist.“ Wenn man nachfragt, würden die gleichen Leute aber erklären, dass es sich um ähnliche Vorurteile handelt.

Aber historisch gibt es nur wenige Parallelen zwischen Homophobie und Rassismus.

Das würden Jamaikaner auch so sehen und dennoch zugeben: „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“ Wer gegen Homophobie kämpft, nutzt sämtliche Mittel, die dafür zur Verfügung stehen. Und wenn einem eine Parallele zwischen Dancehall und Nazi-Deutschland auffällt, dann erzielt man damit einen ebenso leicht verdienten Applaus wie ein DJ, der die Homophobie seines Publikums bedient.