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Archiv-Artikel

Schwarz-Gelb startet Feldzug gegen Unbekannt

Die Landtagsfraktionen von CDU und FDP fordern höhere Strafen für Zwangsverheirater. Wer bestraft werden soll und wie viele Zwangsehen es gibt, wissen sie nicht. Migrantenvertreter halten Gesetzesverschärfung für den falschen Weg

DÜSSELDORF taz ■ Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Zwangsheirat den Kampf angesagt: „Die Zwangsehe ist integrationshemmend und eine der derbsten Menschenrechtsverletzungen“, sagte Ingrid Pieper-von Heiden, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, gestern in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der CDU. Die beiden Regierungsfraktionen stellen sich hinter das auf Bundesebene diskutierte „Zwangsheirats-Bekämpfungsgesetz“ (siehe Kasten). Ein entsprechender Unterstützungsantrag von CDU und FDP wird am Donnerstag im Landtag debattiert. Die beiden Fraktionen fordern darin die Landesregierung auf, bis 2007 ein Handlungskonzept vorzulegen.

Bisher fällt die Zwangsheirat unter dem Straftatbestand der „Nötigung“ und wird mit bis zu fünf Jahren bestraft. Der Liberalen Pieper-von Heiden sind die im Bundesentwurf vorgesehenen fünf Jahre Höchststrafe aber noch zu wenig. „Ich könnte mir bis zu zehn Jahren vorstellen.“ Doch wer bestraft werden soll, weiß sie auch nicht: „Das kann der Mann sein oder auch die Familie“, so Pieper-von Heiden. Wie viele Zwangsehen in NRW geschlossen werden, sei auch nicht bekannt, 2002 wurden bundesweit 230 Fälle registriert. „Die Dunkelziffer soll um ein vielfaches höher sein.“

Dass die deutsche Politik die Problematik Zwangsehe noch nicht überblickt, gibt auch Maria Westerhorstmann, frauenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, zu. „Wir sind da noch ganz am Anfang.“ Deshalb unterstütze die Landesregierung auch eine bundesweite Studie über das „Heiratsverhalten der schon lange hier lebenden oder hier geborenen MigrantInnen“. NRW selbst habe für eine eigene Untersuchung kein Geld übrig. Parallel dazu müsse man auf Migrantenvereine zugehen und in Kindergärten und Schulen Aufklärung betreiben.

Diese Art von Präventionsarbeit betreibt etwa die vom Land mitfinanzierte Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen „agisra“ in Köln. Der Verein versucht SchülerInnen mit Hilfe von Rollenspielen in ihrem Selbstbestimmungsrecht zu stärken. „Sie müssen früh lernen, nein zu sagen“, so Mitarbeiterin Isil Yildirim.

Doch auch die Beratungsstelle kann das wirkliche Ausmaß von Zwangsverheiratungen nicht in Zahlen fassen. Yildirim weiß nur: „Diese Art von Ehe ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme.“ Etwa 50 Mal im Jahr würde Zwangsheirat als Beratungsthema genannt. Die Verschärfung von Gesetzen ist für Yildirim zweitrangig, denn „Zwangsheirat stehe bereits heute unter Strafe. „Wir halten auch nichts davon, das Zuzugsalter von ausländischen Frauen auf 21 Jahre anzuheben“, erinnert sie an einen Vorschlag, der zurzeit auf Bundesebene diskutiert wird. „Damit wird unterstellt, dass alle 18-Jährigen zur Heirat gezwungen werden.“

Für Tayfun Keltek, Vorsitzender der kommunalen Migrantenvertretungen in NRW, sind Zwangsehen zwar „ein Problem“, aber ein Randthema. „Die Politik sollte ihre Kraft und Energie lieber für große Themen nutzen“, so Keltek. „Sie sollte sich etwa für mehr Chancengleichheit für Migranten im Bildungssystem einsetzen.“ Wenn man Randthemen wie Zwangsheiraten, Ehrenmorde oder Terrorismus zu sehr aufblase, sende man falsche Signale an die Bevölkerung: „Die Migranten fühlen sich unerwünscht und schotten sich ab. Die Deutschen fühlen sich befremdet und schotten sich auch ab“, so Keltek. NATALIE WIESMANN