: Abgefahrene Demonstration
Mit reichlich Verspätung protestieren rund 300 erboste Westberliner Bürger, unterstützt von Politikern vieler Couleur, dagegen, dass der Zoo zum Regionalbahnhof wird
„Provinz hoch drei“ sei das hier, schimpft ein Charlottenburger. Gerade mal 300 Menschen, die meisten wie er aus dem alten Westberlin, stehen relativ ruhig auf dem Breitscheidplatz und demonstrieren mit Schildern und Transparenten gegen die Abkoppelung des Bahnhofs Zoo vom Fernverkehr. Seit der offiziellen Eröffnung des Hauptbahnhofs am Sonntag ist das ein Fakt. Beschlossen war es schon einige Monate vorher. Provinziell sei aber nicht die mickrige Demo am Dienstagabend, so der Charlottenburger, sondern das Ende des Zoos als Fernbahnhofs.
So mancher Westberliner ist wütend – auch auf den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, dessen Engagement für den Traditionsbahnhof vielen Demonstranten nicht weit genug ging. Seit 122 Jahren fuhren Fernzüge aus ganz Europa den Bahnhof Zoo an; seit Sonntag halten nur noch schnöde Regionalzüge und S-Bahnen. In der Kritik steht auch Bahnchef Hartmut Mehdorn. „Ein Prolet mit Toupet“ sei das, ereifert sich der Herr aus Charlottenburg. „Außerdem haben wir Westberliner die Stadt nach dem Krieg wieder aufgebaut.“ Da wollen sie natürlich auch ihren Bahnhof behalten.
Dennoch: Etwas Groteskes hat der kleine Demonstrationszug, der sich bei leichten Regen an der Gedächtniskirche vorbeischlängelt. Die meisten Teilnehmer sind schon etwas älter. Einige tragen CDU-Schilder mit der Aufschrift „Wowereit und Mehdorn macht den Zoo auf“, obwohl ja Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen von der SPD auch bei der Demo dabei ist. Ein bisschen Vorwahlkampf herrscht auf dem zugigen Breitscheidplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfindet – auch wenn beim Demonstrationszug der CDU-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl, Friedbert Pflüger, noch stetig lächelnd hinter einem Grünen-Banner herlief.
Überhaupt wird an diesem Abend viel von West und Ost gesprochen. Die Redner der Abschlusskundgebung wollen – eigener Aussage nach – keinesfalls den Westen gegen den Osten ausspielen. Trotzdem dürfe man den Westen Berlins nicht benachteiligen, sagt die Spitzenkandidatin der Grünen für die Abgeordnetenhauswahl, Franziska Eichstädt-Bohlig. Die meisten Arbeitsplätze der Stadt finde man immer noch in der City West – und für diese stehe eben der Bahnhof Zoo.
Aber auch ihr Konkurrent Pflüger versteht die Bahn nicht: „Bitte macht den Bahnhof Zoo wieder auf“, ruft er – symbolisch – Mehdorn und Wowereit zu. Schließlich hätten Städte wie Hamburg und Köln auch mehrere Bahnhöfe in unmittelbarer Nachbarschaft. Pflüger will den Zoo in ein Gesamtkonzept für die City West einordnen, dabei den Hardenbergplatz neu gestalten und ein Riesenrad an den Zoo holen. „Dieser Teil der Stadt hat gelitten“, findet der CDU-Spitzenkandidat, da müsse doch wenigstens der Bahnhof bleiben.
Für Helga Frisch von der „Bürgerinitiative für den Zoo“ ist die westliche Welt noch in Ordnung. In ihrer Rede scheint es den neuen Hauptbahnhof, gerade mal drei S-Bahnstationen weiter, gar nicht zu geben. Dann erwähnt sie ihn doch – nur um zu behaupten, die neue Superstation hätte noch viele technische Mängel.
Den traditionsbewussten Westberlinern geht es jedoch ums Prinzip: „Der Zoo ist einer der Hauptbahnhöfe Berlins“ und besitze „Symbolkraft für den Westen“, meint ein Wilmersdorfer. Die Rentnerin neben ihm sieht gar nicht ein, mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof zu fahren, wenn der Zoo nur ein paar Minuten Fußweg von ihrer Wohnung neben dem KaDeWe entfernt ist. Dass der Protest etwas spät kommt, lässt die agile Frau nicht gelten. Sie jedenfalls werde auf jede Demonstration gehen, wenn’s sein muss. Die nächste Gelegenheit dazu hat sie am 11. Juli. Dann wird wieder für den Zoo und den alten Westen demonstriert. SEBASTIAN LEHMANN