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Archiv-Artikel

Weder Ido, Volapük noch Solresol

200 Esperantisten feiern am Wochenende den 100. Jahrestag der Gründung des Deutschen Esperanto Bundes in Braunschweig. Die 1887 entwickelte Kunstsprache war eine schöne Idee, die sich doch nie gegen Englisch durchsetzen konnte

Es ist fast wie mit den Öko-Eiern. Auch Esperanto gibt ein gutes Gewissen. Das Richtige tun, nicht im imperialistischen Englisch oder sogar Deutsch über Menschen aus fremder Herren Länder herfallen. Der Unterschied zu den Eiern liegt allerdings darin, dass der Öko-Kunde gute Ware samt Gewissen einfach kaufen kann. Die Arbeit mit der Kunstsprache Esperanto ist beschwerlicher: Ein bis zwei Jahre braucht der Sprecher, um sie zu erlernen. „Für Nationalsprachen braucht man fünf bis zehn Jahre“, sagt Peter Zilvar vom Esperanto-Zentrum in Herzberg im Südharz. Zusammen mit 200 Esperantisten aus ganz Europa feiert er von heute bis Pfingstmontag das 100-jährige Bestehen des Deutschen Esperanto Bundes, der am 19. Mai 1906 in Braunschweig gegründet wurde.

Jeden Tag stirbt irgendwo auf der Welt eine Sprache, das Englische verdrängt weltweit andere Idiome. Und dennoch ist Esperanto auf dem Vormarsch – das behaupten zumindest die Esperantisten. „Eine positive Tendenz“ hat Martin Schäfer von der Deutschen Esperantogesellschaft ausgemacht – „wegen des Internets“. Esperanto ist inzwischen angeblich die Sprache, die von Usern am zehnthäufigsten im Netz benutzt wird.

Vor allem in Afrika, Asien oder Brasilien gewinne die Kunstsprache immer mehr Anhänger, führt Schäfer aus. „Allein in China werden derzeit 5.000 Esperanto-Lehrer ausgebildet“, sagt Peter Zilvar. In Ungarn ist die Sprache sogar Lehrfach an Schulen, auch in Herzberg lernen Zilvar zufolge derzeit viele Schüler Esperanto, um besser mit den Kollegen in der polnischen Partnerstadt Góra sprechen zu können. Weltweit wird die Zahl der Sprecher derzeit auf irgendwo zwischen 100.000 und einer Million Menschen geschätzt, in Deutschland dürften es etwa 3.000 sein.

Guten Tag heißt „Koran Bonvenon“, es gibt nur drei Zeiten, 16 Grammatik-Grundregeln und natürlich keine Ausnahmen. Das ist wohl der Grund, warum Esperanto sich als einzige der im 19. Jahrhundert entwickelten internationalen Plansprachen bis heute halbwegs durchgesetzt hat – anders als Ido, Volapük oder die Musiksprache Solresol. Der Name kommt vom Pseudonym „Dr. Esperanto“ (der Hoffende), unter dem der russisch-jüdische Mediziner und Humanist Ludwig Zamenhof die Sprache im Jahr 1887 entwickelte. Unter Stalin und Hitler wurden die Esperantisten wegen angeblicher Verbindungen zum Judentum und wegen ihrer internationalen Beziehungen verfolgt, auch in der DDR war die Sprache bis 1965 verboten.

Die Idee ließ sich dennoch nie kaputt bekommen. Derzeit erscheinen jährlich etwa 140 Bücher auf Esperanto, viele grenzüberspannende Partnerschaften haben sich durch die Sprache gebildet. Der Herzberger Esperanto-Lehrer Joachim Gießner präsidierte sogar jahrzehntelang dem internationalen Esperanto-Eisenbahnerbund und übersetzte Opern, Operetten und Lieder. Darunter auch „Mia verda eta kakto“ – „Mein kleiner grüner Kaktus“, das zwei Herzberger am Wochenende in Braunschweig vortragen wollen.KAI SCHÖNEBERG