CONSTANZE KURZ POLITIK VON UNTEN : Der Zombie unter den Gesetzesvorhaben
Kaum scheint sie abgewehrt, schon taucht die Vorratsdatenspeicherung wieder auf – wie die Untoten in Horror- filmen. Doch weil es an allen Ecken und Enden bröckelt, können Bürgerrechtler vielleicht auf ein Happy End hoffen
Mit der Vorratsdatenspeicherung ist es wie mit den Untoten aus Zombiefilmen. Kaum wurde ein wankendes Hirnsauger-Gesetz von Juristen, Aktivisten oder Hackern zur Strecke gebracht, lugt schon das nächste hinterm Busch hervor.
Die Rolle des Erzählers von Gruselanekdoten ist im Drehbuch fest vergeben: BKA-Chef Ziercke versetzt das Publikum mit schauerlichen Einzelfällen in Angst und Schrecken, um von mangelnder wissenschaftlicher Begründung für die staatliche Speicherneurose abzulenken. Er raunt von Dunkelfeldern, hochspezialisierten Kriminellen und zählt gern Vorfälle auf, die sich schwerlich mit Vorratsdatenspeicherung aufklären ließen. Das in anderen Ländern bewährte Quickfreeze-Verfahren, bei dem Telekommunikationsdaten erst ab dem Verdacht gesichert werden, wird dagegen pauschal abgelehnt, ohne konkrete Begründung.
Nach dem Nein aus Karlsruhe ist aus einer raschen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung nichts geworden, weil das Justizministerium nicht mehr in der Hand der rückgratflexiblen SPD ist. Trotzdem wird im Wochentakt ein neues Gesetz innerhalb der vom Verfassungsgericht gesetzten Leitplanken gefordert. Bei der Diskussion darüber geht es nur vordergründig um legitime Bedürfnisse der Strafverfolger. Von Staatsanwälten und Polizeioberen hört man unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass sie die sechsmonatige Speicherdauer vor allem schätzen, weil sie so langsame Ermittlungsabläufe, die durch eklatante Mängel bei Personal, Ausbildung und Ausstattung entstehen, etwas kompensieren konnten. Grundrechtseinschränkungen als Sparmaßnahme in Zeiten knapper Kassen sind aber nur etwas für Verfassungsanalphabeten.
Karlsruhe hat hohe Anforderungen an die technische Datensicherheit gestellt. Die umzusetzen käme uns alle sinnlos teuer zu stehen. Die Frage, warum man Milliarden Datensätze überhaupt speichern soll, wenn ohnehin nur ein Bruchteil davon verwendet werden darf, harrt noch der zufriedenstellenden Antwort. Denn das ist das zweite Diktum des Gerichts: Es muss um wirklich schwere Verbrechen gehen. Das sind eben sehr wenige.
Es ist selten, dass man bei Bürgerrechtsanliegen auf die EU hofft. Doch nun kündigte die zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding eine Analyse der Situation nach den Urteilen in Deutschland und Rumänien und eine Evaluation der dazugehörigen EU-Richtlinie an. Selbst das britische Mutterland Orwell’scher Alpträume prüft seine umfassende Telefondatensammlung. So keimt die Hoffnung, die Untoten könnten bald endgültig beerdigt werden.
Gesellschaftliche Konflikte sind nicht allein mit Gesetzen zu lösen. Gesucht sind intelligente Lösungen, die Sicherheit bei minimalen Zumutungen bieten. Zombiefilme enden schließlich mit einem Happy End.
■ Die Autorin ist Sprecherin des Chaos Computer Clubs Foto: privat