piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Hochleistungsbranche

LIEFERANTEN Die Firma ist berühmt, die Kunden sind anspruchsvoll, die Löhne klein. Wie fair produziert Adidas?

Adidas und die Standards

Der Konzern: Mit gut 10 Milliarden Euro Umsatz 2009 liegt Adidas auf Platz 151 der 500 größten Firmen Europas. Dank Fußball-WM könnte der Gewinn nach Steuern dieses Jahr ca. 500 Millionen Euro erreichen. 39.000 Beschäftigte, 1.128 Zulieferfirmen weltweit.

Die Vorsätze: „Die Grundlöhne“ in der weltweiten Lieferkette müssen „mindestens den Lebensunterhalt“ der Beschäftigten „ermöglichen“, heißt es in den Adidas-Arbeitsplatzstandards. Das Grundgehalt müsse „den örtlichen Mindestlohn übersteigen“. Nur ausnahmsweise dürfe die Arbeitszeit 60 Stunden pro Woche inklusive Überstunden überschreiten.

Die Überstunden: Kritiker erklären, Adidas verletzte den eigenen Standard. So würde der chinesische Zuliefer Tien Sung nur auf Basis des örtlichen Mindestlohns zahlen. Um den Lebensunterhalt nur annähernd zu finanzieren, seien Beschäftigte zu vielen Überstunden gezwungen, die das von Adidas gestattete Maß übersteigen.

AUS GUANGZHOU HANNES KOCH

Chen Dawei schaut verdrossen aufs Essen. „Der Reis in der Kantine ist schlecht“, sagt der 20 Jahre alte Arbeiter. Ungenießbar, zu hart, zu wenig Fett. Und das nicht nur heute. Dauernd! Der Chinese stochert mit den Stäbchen in seiner Schale herum. Ohne Begeisterung nimmt Chen* ein wenig Gemüse und Fleisch zu sich. Das meiste aber lässt er stehen und wirft es nach der Mittagspause in eine Tonne.

Vor einiger Zeit gab es einen Streik in Chens Fabrik in Guanghzhou in Südchina. Manche Arbeiter des Betriebes sagen, der Grund war das schlechte Essen. Andere berichten, sie seien auch wütend über zu niedrige Löhne gewesen. Jedenfalls stellten die Arbeiterinnen und Arbeiter die Nähmaschinen ab. Die Autobahn blockierten sie auch noch.

Protestierende Arbeiter passen eigentlich nicht zum Image des Konzerns, für den Chen jeden Tag an der Nähmaschine sitzt. Denn die Firma aus dem fränkischen Herzogenaurach hat sich zur Legende promotet. Adidas, dieser Name ist mit unzähligen Spitzenergebnissen, Goldmedaillen und Meisterschaften verbunden, mit Wertarbeit – und mit Fairplay. So jedenfalls möchte Adidas das haben. Wie gerecht sind die Produktionsbedingungen des Sportartikelherstellers wirklich?

Bei der Fußball-WM rüstet der Konzern neben der deutschen Nationalmannschaft elf weitere Teams aus. Rund eine halbe Milliarde Euro Gewinn könnte 2010 erwirtschaftet werden, auch durch die Aufmerksamkeit dank der WM. Die deutschen National-Trikots mit den drei Streifen werden in Südchina hergestellt, aber dieses Werk dürfen wir uns nicht selbst ansehen. Eine Anfrage lehnt das Unternehmen ab. Dafür ist der Zugang zu der Fabrik möglich, in der Chen Dawei näht: Tien Sung in Guangzhou. Die Firma ist ein Zulieferer, der überwiegend für Adidas arbeitet.

Mit diesem Standort hat sich auch schon Kirsten Clodius beschäftigt. Für die „Kampagne für Saubere Kleidung“ engagiert sie sich von Münster aus. „Adidas hält an wichtigen Punkten seinen eigenen Verhaltenskodex nicht ein“, sagt sie. Bei ihren Vorwürfen stützt sie sich auf eine Untersuchung, die sie bei Sacom in Auftrag gegeben hat, einer Hongkonger Organisation von Studenten und Wissenschaftlern, die das Fehlverhalten von Unternehmen aufdecken will.

Erstens, so haben die Sacom-Leute ermittelt, reiche der Lohn bei Tien Sung kaum aus, um die Grundbedürfnisse der Arbeiter zu decken. Zweitens liege der Basislohn in der Fabrik nur auf der Höhe des staatlich festgesetzten Mindestlohns, der seit 1. Mai dieses Jahres 1.100 Renminbi pro Monat beträgt, das sind etwa 130 Euro. Adidas jedoch sichere in seiner „Strategie zu angemessenen Löhnen“ zu, dass die niedrigste Bezahlung über dem Mindestlohn liegen solle. Die Arbeitszeit geht laut Sacom drittens teilweise weit über die 60 Stunden pro Woche hinaus, die sich Adidas im Verhaltenskodex selbst als Grenze gesetzt habe. Und viertens hätten die Beschäftigten null Chancen, sich unabhängig zu organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen. Zu ihren Ergebnissen kamen die Rechercheure, als sie zwischen Juni und Dezember 2009 Dutzende ArbeiterInnen außerhalb der Fabrik interviewten. Stimmt das?

Die Recherche beginnt in Berlin. Drei illuminierte Adidas-Streifen locken ins Innere des „Flagshipstores“ an der Einkaufsstraße Tauentzien. Drinnen warten zuvorkommende Verkäuferinnen. „Hör nie auf, die Messlatte höher zu legen“, steht an der Wand – daneben ist ein Athlet abgebildet, sein Stab krümmt sich kurz vor dem Absprung.

In Deutschland verkauft Adidas auch die Kleidungsstücke, die Chen und seine KollegInnen letztes Jahr produziert haben, in der Zeit der vermeintlichen Missstände. Das rote Outdoor-Shirt Swift-Tee mit der Adidas-Artikelnummer P 44473 zählt dazu. Es kostet 39,95 Euro. „Clima Cool bietet Ventilation für deinen Körper sowie Feuchtigkeitstransport und sorgt damit für optimalen Komfort“, verspricht der Anhänger. Seinen Kunden bietet Adidas alle erdenklichen Annehmlichkeiten. Über die Qualität der Arbeit in den chinesischen Zulieferbetrieben weiß die Verkäuferin in Berlin dagegen wenig bis nichts: „Wie hoch die Löhne dort sind, kann ich Ihnen nicht sagen.“

Guangzhou, Südchina, anderthalb Zugstunden nördlich von Hongkong. Die Millionenstadt – traditioneller Name: Kanton – besteht auf den ersten Blick aus Hochhaussiedlungen, Autobahnkreuzen und riesigen Industriegebieten. Wegen des Smogs und der subtropischen Regenzeit sieht man den blauen Himmel nur selten. Die Fabrik Tien Sung liegt vierzig Autominuten östlich des Zentrums. Auf den Grünstreifen der breiten Straßen stehen kugelförmig beschnittene Bäumchen und kleine Palmen. Auch auf dem Betriebsgelände macht alles einen aufgeräumten Eindruck. „Cherish the grass“ – „Schütze den Rasen“, mahnen die Blechschilder.

Einmal im Jahr zurück aufs Land zu den Kindern

Adidas hat den Besuch des Journalisten und seiner Übersetzerin in der Fabrik vermittelt. Während der Mittagspause in der Kantine ist kein Vertreter der Firma dabei. An einem der Metalltische einige Plätze neben Chen Dawei sitzt die Arbeiterin Sin Lan*, vor sich eine dampfende Schale. Sin – das Haar zusammengebunden, schwarze Jeans, schwarz-weiße Bluse – ist mit 37 Jahren eine der erfahrensten Arbeiterinnen. Sie hat Einfluss, schnell bildet sich eine Menschentraube. Die Umstehenden lachen, wenn sie lacht, und unterstützen sie mit Zurufen.

1.500 Renminbi (177 Euro) verdiene sie im Monat, sagt Sin. Reicht das zum Leben? „Das Essen ist teuer in Guangzhou.“ Dafür brauche sie etwa 500 Renminbi. Hinzu kämen gut 400 für Miete und Strom ihrer Wohnung außerhalb der Fabrik. Zusätzliches Geld gibt sie aus für Kleidung, Kosmetika, Transport und die Sozialversicherung. Viel bleibt nicht für ihre zwei Kinder. Die leben bei den Großeltern auf dem Land, in der Provinz Henan in Zentralchina. Von ihrem Lohn, sagt Sin Lan, könne sie meist nur „einmal pro Jahr die lange Strecke zu den Kindern fahren“.

Das ist das Lebensmodell vieler Beschäftigter bei Tien Sung und in anderen Fabriken. Sie sind WanderarbeiterInnen, achtzehn, neunzehn oder zwanzig Jahre alt. Sie sind die ersten ihrer Familien, die vom Land in die Stadt ziehen. Sie lassen ihr altes Leben zwischen Hühnern und Hütten zu dem Preis zurück, dass sie vom Ertrag ihrer modernen Fabrikarbeit nicht nur das neue Leben in der Stadt, sondern zugleich das alte ihrer Familie auf dem Lande finanzieren müssen.

Viele bescheiden sich deshalb mit dem Notwendigsten. Ihnen bietet Tien Sung auch ein Wohnheim zwischen den Produktionshallen an. Bis zu 800 Leute leben hier auf vier Stockwerken. Das Gebäude ist in gutem Zustand, auf den Gängen um die Innenhöfe haben die Bewohner ihre Kleidungsstücke zum Lüften auf Bügel gehängt. In den Zimmern folgt auf einen winzigen Vorraum jeweils ein etwa zwanzig Quadratmeter großer Schlafraum, in dem vier Doppelstockbetten stehen.

Die Betten sind mit Tüchern verhängt, um ein Minimum an Privatheit zu gewährleisten. Den bis zu acht BewohnerInnen steht jeweils ein Spind zur Verfügung. Wegen der subtropischen Temperaturen befinden sich die Wasserstellen auf dem Außenbalkon, links eine Kochnische mit Waschbecken, rechts die Toilette. 40 Renminbi (4,75 Euro) zahlt ein Beschäftigter monatlich an die Firma, das ist deutlich günstiger als eine Wohnung außerhalb des Werksgeländes.

Was ist der richtige Maßstab, um den Lohn der Tien-Sung-Arbeiterinnen zu bewerten? Muss man die Lebenshaltungskosten auf dem Land betrachten, wo alles viel billiger ist? Das teure Leben in den Städten? Oder eine Mischkalkulation aus beidem? Man kann auch auf die Idee kommen, den Verdienst deutscher Konsumenten heranzuziehen, der das zwanzig- oder dreißigfache des Lohns beträgt, den die Arbeiterin Sin Lan verdient. Würden wir für das Adidas-Shirt statt 39,95 auch 45 Euro bezahlen, damit sie mehr Geld bekommt?

Sie hungern nicht. Aber das Niveau ist extrem niedrig

Wie viel Beschäftigte in Guangzhou, einer der teuersten Städte Chinas, zum Leben brauchen, ist umstritten. In der Asia-Floor-Wage-Kampagne haben sich Gewerkschafter und Arbeitsrechtler zusammengeschlossen. Sie bezifferten Ende 2008 die Lebenshaltungskosten für das menschenwürdige Leben eines alleinstehenden Arbeiters in Guangzhou mit 2.600 Renminbi (308 Euro) – inklusive Telekommunikation, Arztkosten, Unterstützung der Familie und Altersvorsorge. Daran gemessen ist der Lohn bei Tien Sung extrem mickrig. Die Beschäftigten hungern nicht. Doch die Bezahlung ermöglicht nur ein Leben auf niedrigem Niveau. Selbst Anschaffungen wie ein Reiskocher, der 200 Renminbi (24 Euro) kostet, sind da ein Problem.

Die Arbeiterin Sin beschwert sich nicht – so bescheiden ihr Verdienst sein mag. „Letztes Jahr“, sagt sie, „war der Lohn wirklich schlecht.“ Jetzt aber zahle die Firma mehr. Möglicherweise hat der Streik etwas genützt.

Der Sitzungsraum im Verwaltungsgebäude von Tien Sung, 300 Meter von der Kantine entfernt. Kenneth Leung, der General Manager der Fabrik, beurteilt die Lohnfrage anders. „Die Leute können von dem Lohn leben, den wir zahlen“, sagt der 49-Jährige. Seit acht Jahren arbeitet er hier, seit vier Jahren ist er der Chef.

Leung ist ein lockerer Typ. Für den Gast und die Übersetzerin nimmt er sich Zeit, obwohl sie weit vor dem vereinbarten Termin erschienen sind. Statt Anzug trägt er helle Hose und blaues T-Shirt. Als er den Aufzug in die Managementetage nimmt, während andere zu Fuß gehen, scherzt er, man solle nicht zu viel Sport treiben. Schließlich kriecht er unter den Tisch und stöpselt seinen Laptop ein.

Neben Leung sitzt Hilde Gunn Vestad. Die 42 Jahre alte Norwegerin, blond und resolut, ist aus Hongkong angereist. Als Regionalmanagerin von Adidas ist sie die wichtigste Person im Raum. Sie achtet auf jedes Wort und jeder achtet darauf, was sie sagt.

Leung erklärt, die Arbeiter in seiner Fabrik würden grundsätzlich auf der Basis des Mindestlohns bezahlt, den die Provinzregierung festsetze. Im Klartext heißt das: Wer keine Überstunden macht und keinen Akkordlohn für hohe Stückzahlen erhält, geht mit 1.100 Renminbi (130 Euro) nach Hause. Damit räumt der Fabrikchef ein, dass er den Verhaltenskodex des Adidas-Konzerns, für den die Firma zu fast 100 Prozent arbeitet, nicht einhält. Denn unter „angemessenen Löhnen“ versteht Adidas „ein den örtlichen Mindestlohn übersteigendes Grundgehalt“. Halb so schlimm, meint Leung. Denn alle ArbeiterInnen bekämen ja zusätzlichen Lohn in Form von Akkordzuschlägen und Überstundenbezahlung. Das durchschnittliche Gehalt betrage so rund 1.800 Renminbi, umgerechnet 213 Euro.

Hilde Gunn Vestad verwahrt sich dagegen, dass Tien Sung als wichtiger Zulieferer den Verhaltenskodex von Adidas missachte. Würde sich dieser Eindruck bei den Verbrauchern in Europa festsetzen, hätten die Kritiker gewonnen. Also interpretiert die Norwegerin die Angelegenheit so: Ihr Unternehmen habe sich das Ziel gesetzt, mehr zu zahlen als Mindestlohn. Und Ziele seien eben Ziele, weil sie erst noch erreicht werden müssten.

Würde die Kundschaft für höhere Löhne zahlen?

Und was sagt Vestad zum Vorwurf der Sacom-Aktivisten, dass die ArbeiterInnen von ihrem Lohn kaum leben könnten? „Wie viel ein Arbeiter hier zum Leben braucht, ist sehr schwer zu berechnen“, sagt sie, „in die Realität umsetzbare Konzepte für einen existenzsichernden Lohn gibt es bislang nicht.“

Man kann in dieser Sache auch Frank Henke anrufen, der am Konzernsitz in Herzogenaurach der oberste Manager für soziale und ökologische Fragen ist. Er sagt, dass „der Mindestbedarf der Beschäftigten in China durch den Lohn abgedeckt“ sei. Aber er räumt auch ein, dass die Bezahlung beim Zulieferer Tien Sung nicht den Wert erreicht, den beispielsweise die Asia-Floor-Wage-Kampagne als zum Leben notwendig erachteten. Fragt man Henke, warum Adidas und Tien Sung jedem Beschäftigten nicht einfach ein paar hundert Renminbi mehr gebe – angesichts von mehreren hundert Millionen Euro Gewinn wäre dies möglich –, so antwortet er: „Höhere Zahlungen an die Zulieferer würden zu einem wesentlich höheren Verkaufspreis führen und die Produkte damit weniger wettbewerbsfähig machen. Ein Großteil der Kunden ist nicht bereit, dafür zu zahlen. Außerdem sind wir als börsennotiertes Unternehmen unseren Aktionären gegenüber verpflichtet, eine Wertschöpfung zu erzielen.“

In der Produktionshalle leuchtet Neonlicht, die Nähmaschinen surren laut, aber nicht ohrenbetäubend. Sie stehen in langen Reihen – jeweils fünfzehn bis zwanzig Arbeitsplätze nebeneinander. Insgesamt arbeiten hier rund 300 Beschäftigte, meist junge Frauen.

Chen ist aus der Mittagspause zurückgekehrt. Mit gebeugtem Rücken sitzt er wieder an der Maschine. 500-mal oder mehr pro Tag verrichtet er die gleichen Handgriffe. Vom Stapel links neben der Maschine nimmt er zwei rote Stoffdreiecke, legt ihre langen Kanten unter der Nadel aneinander, näht sie zusammen und wirft das verbundene Stück auf den Stapel rechts. Fertig, her mit den nächsten Dreiecken. Am Ende der Kette, in der Chen sitzt, ist das Adidas-Shirt versandfertig. 50 solcher Produktionsketten kann die Firma betreiben, 50 unterschiedliche Aufträge gleichzeitig abarbeiten.

„Adidas hält seinen eigenen Verhaltenskodex nicht ein“

AKTIVISTIN KIRSTEN CLODIUS

Seine Arbeitszeit, sagt Chen, betrage normalerweise acht Stunden pro Tag. Hinzu kämen vier tägliche Überstunden. Die Firma erwarte das – und er brauche das Geld.

Sechs Tage Arbeit, 72 Stunden pro Woche, ein Hochleistungsjob. Er führt zu einem Lohn von umgerechnet 70 bis 80 Euro-Cent pro Stunde.

Ist das Ausbeutung? Die Arbeiter schuften nicht in Lumpen, sie haben keine blutigen Hände. Aber sie haben kaum eine Wahl bei ihrem großen Sprung vom Land in die Stadt. Sie müssen Jobs machen, die man keinem Europäer mehr anbieten kann, auch viel zu harte Arbeit für lächerlich wenig Geld. Bei all dem erweckt der drahtige Chen Dawei aber gar nicht den Eindruck, als störte ihn seine Lage sonderlich. Im Gegenteil: Er spricht davon, dass er sich bald einen Computer kaufen wolle, um in seinem Heimatort ein Business zu eröffnen – was, weiß er noch nicht genau.

Das Katz-und-Maus-Spiel mit den Kontrollen

Chens lange Arbeitszeiten sind dann eher wieder für Adidas ein Problem. Denn die 72 Stunden sind viel mehr, als der Konzern in seinem Verhaltenskodex erlaubt. Dort heißt es: „Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Mitarbeiter darf, mit Ausnahme außergewöhnlicher Umstände, einschließlich Überstunden 60 Wochenstunden nicht überschreiten.“

Deshalb gibt sich Hilde Gunn Vestad rigoros. Wolle ein Zulieferer die Arbeitszeit über 60 Stunden hinaus erhöhen, müsse er sich das von Adidas genehmigen lassen. Nur wenn es ein Hochwasser gebe oder der Strom länger ausfalle, stimme man solchen Wünschen zu. „Generell beträgt die maximale Arbeitszeit aber 60 Stunden Arbeit pro Woche“, sagt sie. Eine klare Aussage. Was bedeutet sie? Erzählt der Arbeiter Chen Märchen, oder weiß Adidas nicht, was in den Zulieferbetrieben los ist?

„Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel“, sagt der Arbeiteraktivist Apo Leong. Im Adidas-Store an der wühligen Hankow Road in Hongkong greift er sich eines der Shirts aus chinesischer Produktion. „Aber die Katze kann nicht rund um die Uhr jagen.“ Der 60 Jahre alte Leong, der schon so manche Protestaktion gegen Adidas veranstaltet hat, erklärt, was er meint: Nur ab und zu würden die Kontrolleure von Adidas in den Fabriken auftauchen. Seien sie abgereist, scherten sich die Zulieferer nicht mehr um die Vorschriften – bis zum nächsten Besuch.

Unterstellt, Adidas wollte wirklich etwas gegen die Missstände unternehmen, was wäre dann zu tun? Das Unternehmen müsse die Zulieferer drängen, fordert Leong, mit den ArbeiterInnen über höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Das Recht auf Kollektivverhandlungen sei der Dreh- und Angelpunkt. Dieses Recht aber haben die ArbeiterInnen in China nicht. Unabhängige Gewerkschaften sind verboten.

Das weiß auch Frank Henke, der Manager in Herzogenaurach. Er sagt: „Die staatliche Gewerkschaft vertritt die Interessen der Beschäftigten nur sehr begrenzt. Wir setzen uns aber dafür ein, Verbesserungen in den Betrieben voranzutreiben.“ Er berichtet über eine Adidas-Hotline, bei der sich die ArbeiterInnen über die Zustände in den Zulieferfirmen beschweren könnten. Chen Dawei kennt diese Nummer, ausprobiert hat er sie noch nie.

Sie ackern. Chen für seinen Traum vom eigenen Business. Sin Lan für die Kinder, die sie nur einmal im Jahr sieht. Der Firmenchef Kenneth Leung für seinen Erfolg, dessen Zustandekommen die Managerin Gunn Hilde Vestad auf Fairness abzuklopfen verspricht. Und drüben in Honkong und in Europa pochen die Aktivisten auf mehr Gerechtigkeit. Vielleicht verschafft die WM auch ihnen mehr Aufmerksamkeit. Das wäre ein Spitzenergebnis.

* Name geändert

Hannes Koch, 48, Wirtschaftskorrespondent in Berlin, trägt das in Guangzhou genähte T-Shirt nun zum Joggen