Brauchen wir einen Bundespräsidenten?
Ja

POSTEN Am 30. Juni wählt die Bundesversammlung das neue Staatsoberhaupt – ein vor allem symbolisches Amt

Franz Walter, 54, ist Professor für Politische Wissenschaften an der Uni Göttingen

Parlamentarier und Minister müssen heutzutage überall präsent sein: in Medien, bei Schützenfesten, als aktive Twitterer und dergleichen mehr. Das hat zu einer atemlosen, häufig richtungslosen Umtriebigkeit geführt, in der stille Orte gründlicher Analyse und weitsichtiger Perspektivbildung nicht mehr existieren. Insofern bietet das durch das Grundgesetz eingeräumte, quasi-monarchistische Privileg des Bundespräsidenten in der Tat eine Chance. Er könnte in der politischen Arena den ruhenden Pol bilden, die Repräsentation des Ganzen symbolisieren. Dazu gehört auch das in hochmobilen Gesellschaften unverzichtbare Innehalten, die gründliche Reflexion ohne Termindruck. Den Machtpolitikern in ihren Hamsterrädern fehlen hierfür Zeit und Muße. Kurzum: Ein Bundeskanzler wird in der Regel als getriebener Manager des Moments agieren. Ein Bundespräsident hingegen kann intellektuell den Bogen weiter spannen, die Fragen der Zukunft frühzeitig in die Erörterungen der Gegenwart hineinholen. Insofern kann der Dualismus von parlamentarischem Betrieb und präsidialer Repräsentation ein Segen sein. Indes: Alles hängt von der Person ab, welche die Rolle am Ende auszufüllen hat.

Maja Prinzessin von Hohenzollern, 38, hat in den schwäbischen Hochadel eingeheiratet

Ja, Deutschland braucht einen Bundespräsidenten/in, der ohne parteipolitische Interessen als oberste Instanz einer Demokratie in letzter Konsequenz Dinge verhindern oder auf den Weg bringen kann. Man sollte dieses Amt sogar mit mehr Befugnissen und Machtfülle ausstatten, sicher hat sich auch Herr Köhler oft mehr Handlungsfreiheit gewünscht, um schneller helfen oder eingreifen zu können. Als „Reservemacht in politischen Krisen“ ist der Bundespräsident ein wichtiges Instrument, das allerdings auch nur so gut sein kann wie sein Rückhalt innerhalb der eigenen Reihen. Der Bundespräsident sollte klare Worte und Taten sprechen lassen, kulturell gebildet, vorzeigbar, sensibel und kompetent sein! Ich schlage zur Neuwahl Margot Käßmann vor!

Martin Sonneborn, 45, ist Satiriker beim Magazin Titanic und anderen Medien

Selbstverständlich brauchen wir! Für Titanic ist ein Bundespräsident unverzichtbar. Köhler ist uns in langen Jahren als unverzichtbarer Komparse in vielen, vielen Witzen ans Herz gewachsen, seine Reden haben uns fast so viel Freude bereitet wie die seines Vorgängers Heinrich Lübke. Johannes Rau hat uns sogar regelmäßig geschrieben; beziehungsweise schreiben lassen. Zumeist von den 49 Anwälten, die das Bundespräsidialamt gern aufbietet, wenn man in einem Editorial den Verdacht äußert, der BSE-Erreger habe im Fall Rau erstmals den Sprung über die Artengrenze geschafft. Zum Glück kann man sich derart lästige Korrespondenz mit einer 5.000-Euro-Überweisung vom Halse schaffen. Und von Roman Herzog hat sogar Die PARTEI gelernt. Zum Beispiel den Wahlspruch für unsere Kanzlerkandidatin Samira: „Es muß wieder ein Rock durch Deutschland gehen!“ Dass hierzulande nie ein qualifizierter Mann Grüßaugust geworden ist, lag übrigens nicht an uns. Wir hatten 2003 als Gegenkandidaten zu Horst Köhler einen bestens gelaunten Roberto Blanco auf dem Titel, mit der Forderung „Warum nicht mal ein Neger?“ Blanco wäre mit Sicherheit der würdigere Präsident gewesen. Apropos, wie ich höre, macht man sich bei Facebook gerade für mich stark. Vielen Dank für Ihr Vertrauen, ich nähme die Wahl an.

nein

Halina Wawzyniak, 36, Bundestagsabgeordnete und Vize-Chefin der Linkspartei

Es gibt nur drei gute Gründe, das Amt des Bundespräsidenten nicht abzuschaffen: Das Staatsoberhaupt ist machtlos, es schadet nicht – und mein Wahlkreismitarbeiter will schon immer von Beruf Bundespräsidentengatte werden. Dafür ist so ein Grüßonkel für 30 Millionen im Haushaltsjahr ganz schön teuer. Was macht er eigentlich? Er zeichnet Gesetze gegen. Manchmal auch nicht. Dann darf er Verfassungsjurist spielen, aber nichts Politisches sagen. Steht so im Grundgesetz, damit honorige Professoren ihren Jura-Studis quälende Fragen stellen können. Er darf auch den Kanzler entlassen. Das geht aber nicht, weil es ja eine Frau ist. Außerdem soll er nach der Eidesformel den Nutzen des deutschen Volkes mehren. Ich kenne keinen, dem so ein Bundespräsident mal genutzt hat. Außer vielleicht dem Kabarettisten Rainald Grebe …

Peter Grottian, 68, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Uni Berlin

Die Institution des Bundespräsidenten ist in unserem Regierungssystem nicht verfassungs- und politiknotwendig. Er ist aus der europäischen monarchischen Tradition erklärbar und bedient die vordemokratische Vorstellung, als Präsident über den gesellschaftlichen Kräfte- und Konfliktverhältnissen zu stehen. Auf Grund der negativen Erfahrungen mit Hindenburg wollten unsere Verfassungsväter eine möglichst schwache Konstruktion für den Bundespräsidenten schaffen, die SPD im parlamentarischen Rat sogar ganz auf das Präsidentenamt verzichten. Deshalb ist der Bundespräsident eher ein Staatsnotar. Heuss, Heinemann und von Weizsäcker wirkten fast nur über ihre Persönlichkeit. Nur wenn sich im Bundestag keine Mehrheit für einen Kanzler findet oder das Vertrauen künstlich verweigert wird – siehe Kohl, Schröder –, wird er zum Machtfaktor. Wie die Verfassungskonstruktion jetzt ist, ist das Amt für eine gereifte Demokratie verzichtbar.

Frank Hadeler, 21, ist Schüler aus Bremen und hat seinen Kommentar auf taz.de gestellt

Gerade nach dem zweiten Weltkrieg hätte Deutschland die Chance gehabt, als Bürgerrepublik ein Novum darzustellen. Das Oberhaupt? Ganz einfach, das Volk! Warum dies nicht juristisch festlegen? Das hätte Symbolkraft, aber heute erscheint die Möglichkeit einer solch unorthodoxen Staatsoberhaupt-Lösung ferner denn je. Ein Präsident als Oberhaupt, so etwas sei doch international üblich, Deutschland wolle doch ein normaler Staat sein, hört man allerorts. Ich bleibe dabei: Wir sind das Volk, wir sind das Oberhaupt, einen speziellen Repräsentanten brauchen wir nicht.

Daniel Schily, 43, ist Vorstandsmitglied und Mitbegründer von Mehr Demokratie e. V.

Präsidenten stellen einen Abklatsch von Königen dar. Die Minimalrestauration mittels eines Präsidenten ist überflüssig wie ein Kropf und trübt unseren Blick auf die Demokratie. Um Gesetze gegenzuchecken und zu zeichnen, haben wir das Parlament und das Bundesverfassungsgericht. Alles andere ist vormoderner Schnickschnack! In der Demokratie sind wir alle Präsidentinnen und Präsidenten. Das ist auch ein schönes Gefühl, ein erwachsenes: wir repräsentieren und verantworten uns einfach selbst.