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Archiv-Artikel

Geborgen, nicht mehr heil

BRUCHSTÜCKE In den Berliner Trümmerbergen findet sich, was vom Zweiten Weltkrieg übrig blieb – der Schutt. Mit „Scherben“ ist jetzt in einer Ausstellung im Werkbundarchiv – Museum der Dinge ein Bruchteil zu sehen

Scherben

■ Die „Scherben“-Ausstellung – von Sonya Schönberger und Christof Zwiener im Rahmen einer künstlerischen Recherche gesammelte Fundstücke aus den Berliner Trümmerbergen – ist im Werkbundarchiv – Museum der Dinge bis zum 3. März zu sehen. Oranienstraße 25, Do.–Mo. 12–19 Uhr.

■ Diesen Sonntag gibt es wieder den Dingpflegertag. Von 14 bis 17 Uhr widmet sich das Museum der Dinge seinen Dingpflegern und denen, die es werden wollen. www.museumderdinge.de

VON DETLEF KUHLBRODT

Während der Orkan „Xaver“ sich am Donnerstag gerade auf Berlin zubewegte, war ich in die Hasenheide gegangen. Am Abend sollte eine „Scherben“ betitelte Ausstellung im Museum der Dinge eröffnet werden. Bei den Scherben handelt es sich um solche, die das Künstlerpaar Sonya Schönberger und Christof Zwiener im Rahmen einer künstlerischen Recherche auf den 14 Berliner Trümmerbergen gefunden hatte. Bei meinem Weg in die Hasenheide ging es also um die Ausstellungseinstimmung.

Im westlichen Teil der Hasenheide befindet sich nämlich einer der weniger prominenten Trümmerberge Berlins, die Rixdorfer Höhe. Sie wurde zwischen 1948 und 1953 aufgeschüttet und ist 68 Meter hoch. Das klingt nach wenig, doch auch 68 Meter müssen erst erstiegen werden.

Serpentinenhafte Wege führen den Berg hinauf. Ich bin der einzige Gipfelstürmer. Von der Füllung des Berges mit Kriegsschutt (700.000 Kubikmeter) bekommt man nicht allzu viel mit, selbst wenn man die Augen schließt. Wieso keine Schilder darauf hinweisen, dass es sich um einen Kriegstrümmerberg handelt, weiß nur der Bürgermeister.

Bis 1986 stand hier oben das Trümmerfrauendenkmal von Katharina Szelinski-Singer, das sich seitdem am nördlichen Eingang der Hasenheide, Höhe Graefestraße, befindet. Auch ein Gipfelkreuz an der Spitze sucht man vergebens. Wegen der Bäume kann man auch nicht mehr über die Stadt sehen. Vier würfelförmige Steine und ein größerer Papierkorb stehen auf dem Gipfel. In der Mitte der Steine gibt es vermutlich ein Kraftfeld. In einen Baum hat jemand ein Kunstwerk geschnitzt. Es besteht aus einem Bären mit Krone und einem Häschen, dem ins Herz gestochen ward. Während der Sturm stärker wird, joggt ein drahtiger Mann heran. Ach, es ist ja doch eher ein Männchen.

Scherben aus dem Schutt

Ein paar Stunden später eröffnet Renate Flagmeier, die leitende Kuratorin des Museums der Dinge, die Scherben-Ausstellung mit einer kleinen Rede. Sie erzählt von den 78 Millionen Kubikmetern Schutt, die nach dem Zweiten Weltkrieg über Trümmerbahnen zu den entstehenden Trümmerbergen gebracht wurden, erläutert das Projekt der beiden Berliner Künstler, die über zwei Jahre hinweg immer wieder zu den Trümmerbergen gingen, um das aufzulesen, „was durch natürliche Erosion und entwurzelte Bäume an die Oberfläche gelangt ist“.

Beide Künstler beschäftigen sich auch in anderen Arbeiten mit der Vergangenheit. Während Sonya Schönberger in Zeitzeugen-Interviews die Auswirkungen der traumatischen Kriegserfahrung auf die nachfolgenden Generationen untersucht, beschäftigt sich Christof Zwiener mit stummen Zeitzeugen wie etwa Fahnenmasten aus der ehemaligen DDR, mit denen er „installativ“ arbeitet.

Es geht, erklärt die Kuratorin des Museums der Dinge, um die „dingliche Repräsentanz von Erinnerung“

Es geht um die „dingliche Repräsentanz von Erinnerung“. Was vorher ein massenindustriell gefertigter Gegenstand war, ist nun, als Scherbe, ein Unikat, das, so Flagmeier, an „die fragmentarische Struktur der Erinnerung“ erinnert. Das Kaputte, die Scherbe, beschwört das Bild des Heilen wieder herauf. Wie um das zu illustrieren, erzählte eine 1940 geborene Frau nach der Rede der Kuratorin davon, wie sie 1948 mit ihrer Mutter die Ruine des zerbombten Elternhauses besucht hatte. Die Mutter hätte im Schutt eine Scherbe ihres zwölfteiligen Services gefunden und sich sehr darüber gefreut.

Auf elf Tischen im hinteren Bereich des Museums der Dinge sind die Scherben auf schwarzem Filz angeordnet. Das meiste war mal Geschirr gewesen, es gibt aber auch Teile von Sicherungen und Ähnliches. Neben den Scherben stehen auf einem Tisch Teile der kleinen Museumssammlung „Dinge nach Katastrophen“ mit im Krieg verbrannten und korrodierten Bürolampen. Während die den Prozess ihrer Zerstörung evozieren, erinnern die Scherben an das Ganze, dessen Teil sie mal waren.

Christof Zwiener erzählt, dass sie ohne Schaufeln oder ähnliches Werkzeug zu den Trümmerbergen gegangen waren. Sie sammelten nur die Dinge, die von selbst den Weg an die Oberfläche gefunden hatten. Am besten hätten ihm Teufelsberg und Drachenberg gefallen; Trümmerberge wie der Insulaner mit seinen hübschen Parkanlagen wären schon zu schick sozusagen.

Ein paar Dinge, die heil geblieben waren, wie etwa ein „Milchwächter“ aus weißem Porzellan, stehen in einer Vitrine im Eingangsbereich des schönen Museums. Scherben sind seltsam – sie sind kaputt, aber verrotten nicht.