: Die Lücke bleibt
WIRTSCHAFTSPRESSE Nach dem Tod der „Financial Times Deutschland“ vor einem Jahr stand das „Handelsblatt“ plötzlich ohne Konkurrenz da. Der Nutzen blieb aus – für die Zeitung wie für die Leserschaft
VON DANIEL BOUHS
Als Hans-Jürgen Jakobs im Januar die Redaktion des Handelsblatts übernahm, hätte die Situation für ihn nicht bequemer sein können. Sein Vorgänger hatte die Redaktion umgebaut und war anschließend nicht abgesägt, sondern an die Verlagsspitze befördert worden. Von Jakobs erwarteten deshalb alle Kontinuität statt Revolution. Und vor allem: Die einzig wirkliche Konkurrenz, die Financial Times Deutschland (FTD), war vier Wochen zuvor vom Markt geräumt worden. Das Handelsblatt wurde wieder Monopolist, nach zwölfjährigem Wettbewerb.
Heute genau vor einem Jahr erschien die FTD ein letztes Mal – sie war nur auf ihrem letzten Titel „Endlich schwarz“. Die Vermutung damals: Wenn aus diesem Schicksalsschlag einer Profit ziehen würde, es müsste das Handelsblatt sein. Verglichen mit der Zeit kurz vor dem FTD-Aus zählte das Handelsblatt zuletzt jedoch bei Abonnement und Einzelverkauf nur ein Plus von knapp 2.000 Exemplaren. Man könnte auch sagen: Immerhin, in Zeiten der Printflaute, eine sogenannte harte Auflage von 90.000 Exemplaren mit steigender Tendenz. Ein erhoffter Boom aber blieb aus.
Jakobs sitzt in den Berliner Räumen seiner Redaktion am Askanischen Platz im Haus des Tagesspiegels, mit dem die Wirtschaftszeitung verwandt ist. Auf die Frage, wo die FTD-Leser abgeblieben sind, sagt er: „Die sind zum Teil zu uns gekommen. Es sind vielleicht weniger, als man denken konnte, was aber an der effektiv eher schalen Abonnentenbasis der FTD gelegen hat.“ Schal? 40.000 waren es am Ende. Und nur mal großzügig angenommen, die Hälfte hätte beide Titel bezogen: Dann hieße das nichts anderes, als dass viele FTD-Leser nun auf eine tägliche Wirtschaftszeitung verzichten.
Dass im digitalen Zeitalter neben klassischen Tages- auch Wirtschaftszeitungen keine Selbstläufer mehr sind, wissen sie natürlich auch beim Handelsblatt. Die einst tatsächlich sehr angestaubte Zeitung, die für Insider der Banken- und Industrieszene, aber nicht für Wirtschaftsinteressierte schrieb, verändert sich deshalb schon seit Jahren. Damit das klappt, wurden nach und nach an allen Schaltstellen einstige Spiegel-Leute installiert. Seitdem mutiert das Handelsblatt zu einem Magazin mit angeschlossener Aktualität.
Die entscheidenden Weichen stellte zunächst Geschäftsführer Gabor Steingart, der einst das Berliner Hauptstadtbüro des Spiegels leitete und dann aus den USA berichtete. Er führte, damals noch als Chefredakteur, für die Freitagsausgaben des Handelsblatts den sogenannten Wochenendtitel ein: eine opulente Geschichte, meist von einem Autorenkollektiv recherchiert und aus einer Feder geschrieben. So, wie sie das auch beim Spiegel in Hamburg machen.
Parallel zu dieser Kombination aus Entschleunigung und Tiefgang, die nach und nach auch an anderen Stellen im Blatt Einzug hielt, baute Steingart eine Digitalredaktion auf – mit 24-Stunden-Betrieb, der in einem Korrespondentenbüro in New York gipfelte und im Aufbau von Handelsblatt live, einer Digitalausgabe, die sich seit diesem Frühjahr abends aus dem Blatt speist und morgens und mittags aktualisiert wird. Das Live-Team steuert Katrin Elger – zuvor vier Jahre, ja, genau: beim Spiegel.
Jakobs, der fast ein Jahrzehnt Redakteur beim Hamburger Nachrichtenmagazin war und dann unter anderem erst der Online- und dann der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) vorstand, hat diese Struktur übernommen. Er will „kleiner halten“, was ohnehin über die Börsenticker gehe, einst aber Kerngeschäft des Handelsblatts war: Kleinteiliges aus den Banken, bis hinunter zu News aus kleinen Genossenschaften, klein lassen – und größer fahren, was exklusiv ist und schön zu lesen. Das war nicht zuletzt die große Stärke der FTD, die sich ein tägliches Agendaressort leistete, mit Analysen und Reportagen.
Eine solche Agenda fehlt dem Handelsblatt allerdings, und auch sonst klaffen seit einem Jahr teils gewaltige Lücken: In der Begleitung der IT-Szene etwa und auch auf den Feldern der Sport- und Unterhaltungsindustrie hat das Handelsblatt noch reichlich Luft nach oben. Ein wenig stopft der deutsche Ableger des US-amerikanischen Wall Street Journal diese Lücken, vor allem in der Digitalberichterstattung. Das hiesige WSJ erscheint allerdings nur online. Und Gesprächsstoff liefert es nur erschreckend selten.
Zum Handelsblatt wiederum hat zuletzt noch einer vom Spiegel rübergemacht: Thomas Tuma, zuvor Wirtschaftschef beim Nachrichtenmagazin. Seit diesem Herbst ist er, hinter Jakobs, zweiter Mann des Handelsblatts. Das Hin- und Hergeschiebe beherrscht auch Tumas Chef, der statt aus- lieber nur umbaut. Keine Revolution. Das Meinungsressort hat Jakobs aufgelöst. Ob er eine vakante Leitungsposition in Berlin neu besetzen werde, sei noch unklar. Von dem festen Korrespondenten in Moskau hat er sich getrennt, das Büro macht zu. „Organisatorische Neuüberlegungen“, um anderorts aufrüsten zu können.
Damit das Blatt nicht mehr als biederes Branchenprotokoll daherkommt, hat Jakobs gerade eine Art-Direktorin engagiert – sie soll die Optik polieren, die im handlichen Tabloid-Format ohnehin schwierig ist und noch mal schwieriger, wenn das Anzeigengeschäft gut läuft: Werbung drückt dann die Geschichten in die Randspalten.
Mit seinem magazinigen Kurs drängt das Handelsblatt nun zunehmend in besetztes Terrain vor. „Es befindet sich alles in Konkurrenz“, sagt Jakobs, der mit seinen Wochenendgeschichten mitunter der Wirtschaftswoche zuvorkommt, die im selben Verlag entsteht – und sich auch sonst mit allen messen will: mit den Sonntagszeitungen, mit der Zeit, mit den Nachrichtenmagazinen. „Alle wissen: Wochenendzeit ist Mußezeit, ist Lesezeit, dort wendet sich der Deutsche auch zu Gedrucktem hin.“
Aber funktioniert es, das neue Handelsblatt? Nicht immer. Vor allem das Digitale ist Neulandrisiko, und Rückschläge sind inklusive. Von Handelsblatt First etwa spricht schon niemand mehr. Die App, von Steingart geboren, sollte den Markt mit Exklusivmeldungen beeindrucken und in den Handelsstuben der Republik für Aufsehen sorgen. Und auch Handelsblatt Live läuft nicht in Gänze. Jakobs sagt diplomatisch, die 12-Uhr-Ausgabe müsse er „weiter beobachten“. Konkrete Zahlen zu Handelsblatt Live behält er für sich.
Und auch inhaltlich knirscht es mitunter, zuletzt etwa zwischen Handelsblatt und VW. Die Zeitung stieg mit dem Titel „Volkswagen ohne Piëch?“ in die Spekulationen um den Gesundheitszustand des Aufsichtsratsvorsitzenden und über mögliche Rückzugsszenarien ein, einen Wechsel im aktiven Management inklusive. VW war empört, nicht zuletzt ob des Zeitpunkts kurz vor der Automobilshow IAA.
„Es gab juristische Auseinandersetzungen“, sagt Jakobs. Ohne dass eine entsprechende Frage gestellt wurde, betont er, der Konzern habe „in keiner Form“ mit einem Anzeigenboykott gedroht. „Wir haben uns lange unterhalten und auch selbst in einem eigenen Stück versucht, Aufklärung zu betreiben, uns auch relativiert.“ Die Redaktion blieb zwar im Grundsatz bei ihrer Story, notierte aber: „Seinen Gesundheitszustand kann nur Ferdinand Piëch einschätzen, kein Journalist.“ Jakobs: „Am Ende war das VW genug.“
Spekulationen um einen Wechsel an der VW-Spitze,das wäre sicher auch ein Thema für die FTD gewesen. Ihre Macher sind teils untergekommen: eine US-Korrespondentin bei der SZ, einige bei Fachzeitungen, manch einer in der PR. Viele schlagen sich jetzt als freie Journalisten durch. Der einstige FTD-Chefredakteur Steffen Klusmann war anschließend erst Vize beim Stern. Inzwischen leitet er das Manager Magazin. Das ist Teil der Spiegel-Gruppe und beschäftigt sich mit dem Innenleben deutscher Konzerne ebenso wie mit dem Wirken der Macher. Auch das ein Feld, in das Jakobs noch stärker vordringen möchte. Immerhin hier ist die neue Konkurrenz, Klusmann versus Jakobs, dann doch wieder die alte.