Die Wacht sei mit dir

Bei den Mosse-Lectures legte der Kulturwissenschaftler Thomas Macho dar, wie von der Antike bis zu Beckett Genussfähigkeit und Askese zusammengehen können

Weltverneinung war gar nicht so schwer, Donnerstagabend auf dem Weg zum Hauptgebäude der Humboldt-Uni. Der obligatorische Regenschauer. Anschwellende WM-Touristenmassen. Nahe liegend, mit Bartlebys berühmtem Satz „Ich möchte lieber nicht“ auf die mögliche Frage, ob man diese Welt denn okay finde, zu antworten.

Bartleby, der verneinende Aktenkopist aus Herman Melvilles gleichnamiger Erzählung, ist so etwas wie die Gallionsfigur der diesjährigen Mosse-Lectures, die den Titel „Künste der Verneinung“ tragen. Am 18. Mai begannen sie mit einer Diskussion über eben jenen Satz „I prefer not to“. Am Donnerstag bestritt dann Thomas Macho Teil zwei der Lectures mit einem Vortrag „Über Askese“. Bartleby baute der Kulturwissenschaftler der HU in seine Ausführungen ein, wobei er Werte darauf legte, dass die Verweigerung des Schreibers nicht im Sinne einer weltverneinenden Haltung, sondern eher im Sinne einer asketischen Performance, einer ästhetisch praktizierten Askese zu verstehen ist, wie sie etwa Kafka in seiner Erzählung vom „Hungerkünstler“ darstellte. Mit Barleby das Wetter zu verfluchen, reicht wohl nicht.

Macho, der über „Rituale“ und „Gedankenexperimente“ Bücher schrieb, ist ein geübter Redner. Behände gleitet er durch die Kulturgeschichte; geschickt rückt er antike und moderne Autoren in eine überraschende Nähe; stets schöpft er aus einem breiten Fundus an Belegstellen. Augustinus, Foucault, Nietzsche, alles ist ihm gleich gegenwärtig. Allerdings waren nach dem Vortrag Stimmen aus dem Publikum zu hören, die beklagten, akustisch nicht alles verstanden zu haben. Macho hatte im gut besuchten Senatssaal der HU nicht immer direkt ins Mikrofon gesprochen.

Seinen Mosse-Vortrag baute er wie ein Triptychon auf. In die Mitte stellte er den christlichen, von Genussfeindschaft geprägten Askesebegriff, den Nietzsche (in der „Genealogie der Moral“) und Max Weber (in der „Protestantischen Ethik“) analysierten. Zur Seite stellte er diesem Begriff, der Askese als Charakterfrage auflädt, Kommentare zu antiken Autoren oder auch Samuel Beckett, die einen weiteren Askesebegriff haben. Vor allem anhand von Seneca machte Macho dabei klar, dass Askese in der Antike als geistiges Training verstanden wurde, das nichts mit Genussfeindschaft zu tun hatte. Mit Übungen, die sein Begehren disziplinieren sollten, bereitete sich Seneca gerade auf ein Fest vor. Ziel von Askese war die Herstellung persönlicher Autarkie, indem man sich von den drängenden inneren Stimmen distanzierte und sie zu einem „inneren Wächter“ (Macho) disziplinierte.

Diese Bearbeitung der inneren Stimmen bildete dann den Punkt, an dem Macho die antiken Autoren mit Beckett verknüpfte. Nicht Entsagung und Verzicht stellte Macho als Motor dessen von Reduktionen geprägten Werks vor. Sondern eben den Versuch, durch asketische Übungen die inneren Stimmen zu kontrollieren – wobei Macho dann auch noch Joyce als innere Stimme von Beckett interpretierte; wie viele Joyce-Besucher musste er sich Texte zu „Finnegans Wake“ vom Meister diktieren lassen. In Becketts Doppelgängermotiven tauchten dann in seinem Vortrag auch die antiken „inneren Wächter“ wieder auf.

Leider beließ es Macho dabei, solche Strukturähnlichkeiten herzustellen. Gern hätte man noch gehört, wie solche asketischen Übungen im Zeichen innerer Autarkie denn genau mit der Kunst der Weltverneinung zusammenhängen. Offensichtlich bleibt Macho bei Sätzen wie „I prefer not to“ der Kunstgehalt, nicht die Verneinung. Aber das blieb offen. DIRK KNIPPHALS

Nächste Mosse-Lecture: Gert Mattenklott über Verrat, 8. Juni, 19 Uhr c. t., Humboldt-Uni, Unter den Linden 6