: Allah sieht beim Essen weg
Übersprungshandlung eines schlechten Gewissens: In seinem Langfilmdebüt „KussKuss“ erzählt Sören Senn, wie ein Berliner Akademikerpärchen und eine Algerierin ohne Aufenthaltsgenehmigung sich anfreunden. Doch die Ménage à trois kann sich zwischen Knistern und Lehrbuch nicht entscheiden
von BIRGIT GLOMBITZA
Sie ist ehrgeizig, ein Kontrollmensch, und ihr Gang hat etwas Hochtouriges. Eigentlich will Katja nur alles richtig machen. Und als die Ärztin (Carin Wiese) sieht, wie die Putzkraft auf ihrer Station von einem düsteren Mann bedrängt wird, will sie nur helfen, die Polizei rufen, Zivilcourage zeigen. Doch liefert sie mit ihrem Engagement beinahe die junge Algerierin Saïde (Saïde Jawad), die keine Papiere hat, an die Behörden aus.
Katja mag das Helfen trotzdem nicht lassen und schleppt die Migrantin mit zu ihrem Freund Hendrik (Axel Schrick) nach Hause. Übersprungshandlung eines schlechten Gewissen. Dort hockt die erschrockene Frau dann, mitten in der routinierten Gemütlichkeit eines Paares, und versteht kein Wort.
Erstaunlich schnell nimmt „KussKuss“, die Abschlussarbeit von Sören Senn, eines Absolventen der Potsdamer Filmhochschule Konrad Wolf, als Farce über die Falltüren linksliberalen Gutmenschentums Fahrt auf. Ein Missverständnis fügt sich ins nächste, das Räderwerk aus guten Absichten und ihren verheerenden Folgen läuft wie geschmiert. Hendrik, der sich in seiner melancholischen Versenkung und bei seiner Doktorarbeit zunächst gestört fühlt, nimmt unbeholfen Kontakt zu der neuen Mitbewohnerin auf, während sich Katja in Völkerverständigung übt und dabei mit erbarmungswürdiger Trampeligkeit vorgeht. „Mit Allah ist es doch so, er darf nur nicht sehen, dass du Schweinefleisch isst, oder?“, versucht sie ihrem Gast das Begrüßungsessen, Spaghetti Bolognese, schmackhaft zu machen. Katja kauft Saïde Kleider, zieht sie an, und es würde einen kaum wundern, wenn sie mit einem von Spucke feuchten Taschentuch der Algerierin schnell noch die Mundwinkel säubern würde, bevor sie sie auf den Schulweg schickt. Nur geht Saïde nirgendwohin, weil das zu gefährlich sein soll, weil sie keinen Pass hat, weil es sie eigentlich gar nicht geben dürfte. Und nun gibt es sie doch, als Gefangene eines gutmeinenden Pärchens und schon bald als großes Beziehungsproblem.
Auch wenn Carina Wiese den Aktionismus ungebremster Fürsorge mit Verve auf die Leinwand bringt, haben all die Zuwendungen mitunter etwas Überhitztes. So kommt Katjas Idee, Saïde und Hendrik zu vermählen, um der Migrantin den Aufenthalt zu sichern, allzu tollkühn daher für eine Komödie, die kein Pointenfeuerwerk sein will. „KussKuss“ möchte deutlich mehr Tragik und Hintergründigkeit im Unterfutter tragen als einst Filme wie „Green Card“, in dem Andie MacDowell und Gérard Dépardieu die Ringe tauschen, damit der Franzose in den Staaten bleiben darf. Gefälschte Fotos von gemeinsamen Urlauben der hastig Verlobten gibt es auch in „KussKuss“. Nur trägt hier keiner lustige Pudelmützen zu viel zu kurzen Skiern. Stattdessen verkrampfen sich die Hände an der Tischkante, sorgt die verordnete Nähe diesen einen Moment lang für eine seltsame Schicksalsgemeinschaft, in der am Ende tatsächlich alle Optionen offen scheinen.
Katjas Eifer, ihre Berauschtheit an den eigenen Wohltätigkeiten, die Ignoranz gegenüber der Beziehungsmisere, das Erkennen, dass ihr Schützling eben nicht bloß ein Opfer, sondern auch eine Frau ist, eine total Verknallte obendrein, das Timing, die Anbahnung der häuslichen Katastrophe über den Stolperstein des Fremden: All das läuft wie am Schnürchen – oder eben wie im Lehrbuch. Als hintergründiges Liebesdebakel und tragikomische ménage à trois rempelt diese Geschichte doch sehr gegen die Käfigkanten einer strikten Versuchsanordnung.
Manchmal aber gelingt es den Schauspielern, den tänzelnden Charme einer französischen Liebeskomödie hereinzuspielen. Nur fahren hier keine giggelnden Frauen in Blümchenkleidern auf dem Fahrrad zum Strand. Stattdessen sieht man, in klassischer Konrad-Wolf-Schulen-Tradition, Katja mit Augenringen zur Arbeit hetzen, bei tristen Visiten oder bei ihren Kontrollgängen entlang der Laborratten. Einmal hört man ihre Beschwerde im Kollegengespräch: „Ich will nicht, dass alle Menschen immer in meinem Dienst sterben.“ Der Tod macht eben eine Menge Arbeit. Wie das Leben. Und die gute, politische Tat mit ihren verheerenden Folgen sorgt für die private Stallwärme.
„KussKuss“, Regie: Sören Senn. Mit Carina Wiese, Axel Schrick, Saïde Jawad,Deutschland/Schweiz 2005, 95 Min.