: Der Chef-Türsteher
AUS LEIPZIG STEFAN RUWOLDT
„Von hier aus organisieren wir die Arbeit“, sagt Ramón Rodríguez. Er fährt mit der Hand über sein Hemd und lehnt sich zurück. Allzu viel Platz dafür hat er nicht, also lehnt er sich wieder nach vorn. Das Büro ist winzig: zweifünfzig mal zweifünfzig. Das Fenster ist unten beklebt, so dass niemand von außen herein- und Rodríguez nicht hinausschauen kann. Nur weiter oben kann er in den blauen Leipziger Himmel blicken. Die Sonne scheint und die Stadt erwartet die Fußballweltmeisterschaft.
Seit Monaten stecken die Leute täglich in Staus, sie wundern sich zusammen mit ihrer Leipziger Lokalzeitung über die komischen Zelte auf der Festwiese und unangekündigt errichtete Absperrzäune. Sie freuen sich trotzdem, schließlich kommt die Welt zu Gast. Allerdings sind die Gastgeber auch ein wenig besorgt – wegen der Sicherheit.
Rodríguez sitzt seit einigen Wochen in seinem Büro in einem Anbau des Zentralstadions, weil er den Leuten ihre WM-Sorgen nehmen soll. „Ich bin Manager des WM-Büros der Leipziger Löwen“, sagte er wie bei einer Vorstellungsrunde. Die Leipziger Löwen sind eine Sicherheitsagentur, sie haben den Auftrag, gemeinsam mit dem deutschen Organisationskomitee der Fifa für Ordnung im Zentralstadion zu sorgen. Rodríguez ist der Turnier-Chef der Firma.
„Wir arbeiten innerhalb des Stadions“, erklärt Rodríguez seinen Job und den seiner Angestellten. „Wir haben Mitarbeiter an den Blöcken, sollen helfen, wenn jemand seinen Sitzplatz sucht oder im VIP-Bereich unterstützen.“ Er spricht langsam und schaut einem dabei tief und freundlich in die Augen. Rodríguez ist kein Sicherheitsdiener mit Headset und beutelartiger Lederjacke. Rodríguez ist ein Freund im WM-Sinne, ein Spanier mit Anzug, guten Manieren und Zuversicht. Er bittet mit einem „Wie sagt man?“ um Unterstützung, wenn ihm ein deutsches Wort nicht einfällt. Er muss selten bitten.
Leipzig hat eine Art Sonderstellung unter den Austragungsorten: Es ist die einzige WM-Stadt im Osten. Und es ist die einzige Stadt ohne Fußball-Erst- oder Zweitligisten. Der FC Sachsen Leipzig spielt in der vierten Klasse und trägt seit einigen Monaten seine Spiele im neuen Leipziger Zentralstadion aus. Zuletzt kamen 900 Zuschauer. Die Mannschaft spielte gegen den FC Oberlausitz und konnte mit einem 3:0 den dritten Tabellenrang sichern. Drei Ligen weiter oben wäre das ein prima Ergebnis, der Fanartikelverkauf würde boomen. Aber in Leipzig haben Schüler mit Sachsen-Trikots einen schweren Stand.
Das Stadion gehört Kinowelt-Boss Michael Kölmel. Auch beim FC Sachsen hat der das meiste zu sagen. Er hat Trainer Eduard Geyer für die neue Saison geholt, damit die große weite Fußballwelt auch nach der WM noch nach Leipzig kuckt. Geyer soll dafür sorgen, dass hier etwas Ähnliches passiert wie in Cottbus – der Osten soll Fahrt aufnehmen.
Der Osten allerdings ist nicht ganz sicher, wenn es um Fußball geht. Selbst wenn wie derzeit nur wenige hundert Fans der Gastmannschaften anrücken, herrscht bei der Leipziger Polizei Ausnahmezustand. Die gegnerischen Fans ärgern den FC Sachsen, der früher Chemie Leipzig hieß: Sie brüllen Parolen des Lokalrivalen FC Lokomotive. Lok war im Osten die erste Wahl des Leipziger Fußballs, spielte vor 100.000 Fans im Zentralstadion um den Europapokal-Finaleinzug und ist seit zwei Jahren dabei, sich nach einer Pleite aus der Kreisklasse wieder hochzuarbeiten. „Schemmie“, wie die Leipziger sagen, soll es nun also machen. Doch das Einzige, was derzeit stimmt, ist das schöne neue Leipziger Zentralstadion. Knapp 38.500 dürfen da zur WM rein.
Rodríguez geht durch das Stadion wie durch seinen Garten. Die Tore des Hauptportals fahren elektrisch hoch, die tief stehende Sonne fällt in Streifen durch das Dach auf den WM-Rasen, Rodríguez ist glücklich. Er weiß, dass man dieses Stadion, wenn nicht schön, so doch imposant finden muss. Er schüttelt den Kopf über den Ärger, für den im Winter ein Bericht der Stiftung Warentest gesorgt hatte. Es ging um Fluchtwege. Die ersten Sitzreihen thronen rund drei Meter über dem Innenraum, von wo aus breite Gänge nach draußen führen. „Was sollen die Leute metertief in den Innenraum springen, wenn sie hier oben sicher und schnell rausgehen können, so wie es auch vorgesehen ist“, sagt Rodríguez. Er steht in der Mitte zwischen den beiden Rängen, hinter ihm geht es zu den Brücken und Treppen über den einstigen Stadionwall nach draußen. Die unteren Reihen sind dicht am Spielfeldrand, aber eben zusammen mit dem Rasen in einer Art Kellergeschoss. Man kann die Logik der Tester nachvollziehen. Doch die Leipziger haben sich mit Gutachten Unterstützung geholt. Sie sind entlastet.
Dann zeigt Rodríguez nach oben: Kameras. 68 sollen hier während der Spiele installiert sein, erklärt er beim Gang zur Pressetribüne und deutet ins Stadiondach. „Da kann man bei jedem dann genau nachsehen, ob er rasiert ist“, sagt Rodríguez. „Wer das sehen kann?“ – Rodríguez macht eine Pause. Er zieht die Augenbrauen nach oben und zuckt mit den Schultern. „Jeder, der so einem Ereignis beiwohnt, weiß, es muss viel getan werden, dass am Ende auch alles klappt.“ Man merkt, dass er es selbst für erklärungsbedürftig hält: die Kameras, die Sicherheitszonen, die Kontrollen. Doch er ist geübt darin, alles gut und beruhigend zu erläutern. Vor der WM hat er in mehreren Städten der Welt Hotels geleitet. Er erklärt die Sicherheitsvorkehrungen wie ein Hotelmanager einem Gast die Verspätung des Taxis. Man will sich aufregen, doch Rodríguez nimmt die Schuld auf sich und erinnert an die schöne Zeit in der Stadt, am Strand und in seinem Haus. Dann steigt man ins Taxi und nimmt die Verspätung hin. Rodríguez macht, dass Bilder von 68 Kameras im Nacken der Zuschauer zum hinnehmbaren Preis werden für eine sichere und schöne WM. Er versteht es, die Leute ins Taxi zu setzen.
Hinter Rodríguez liegen Wochen der Personalplanung. 1.500 Leute hat sein Unternehmen für die WM akkreditiert. Fünf Prozent der Angemeldeten haben die Sicherheitsüberprüfungen des Bundeskriminalamtes nicht bestanden. „Erstaunlich. Wir hatten mit mehr gerechnet“, sagt er. Die Gründe dafür habe das BKA dem Unternehmen nicht mitgeteilt: „Aus Datenschutzgründen. Wir wissen, wer arbeiten darf und wer nicht.“
Über den Bewerberansturm allerdings habe sich sein Unternehmen gewundert. Obwohl sich die Leipziger Löwen zunächst vor allem um Bewerber aus der Stadt bemüht hätten, seien Anfragen fast aus dem gesamten Osten gekommen. „Knapp fünfzehn Prozent der Leute haben einen festen Vertrag für die Wochen um die WM oder sind bei uns bereits fest angestellt“, sagt er: „Wir zahlen Tarif, mindestens. Diese Tage um die WM werden hart und lange. Wir müssen uns auf die Leute verlassen können.“ Rodríguez versichert, dass er Leute eingestellt hat, denen die Arbeit Spaß machen wird und dass er ihnen so viel Geld zahlt, dass sie die Arbeit auch dann noch gut machen, wenn an einem langen Arbeitstag noch ein paar Stunden drangehängt werden müssen. „Voraussetzungen?“, fragt er rhetorisch, „Voraussetzungen waren gute Umgangsformen und gute Laune.“ Franzosen haben die Leipziger Löwen eingestellt, auch Spanier sind dabei. „Ach“, sagt er und winkt ab: „Wir haben aber nicht extra nach Ukrainern und Serben gesucht, nur weil die ein Spiel haben.“
In seinen bislang rund 20 Berufsjahren ist Rodríguez als Hotelmanager um die Welt gereist, er hat Hotels in Buenos Aires, Santiago de Chile und im Saarland geleitet. Und er erzählt, dass er 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona für die Versorgung von 15.000 Sportlern und Funktionären verantwortlich war. Er zieht Vergleiche zwischen Leipzig und Barcelona, dann ist er in Atlanta und erwähnt kurz die Überwachungskameras in der Londoner Innenstadt, bevor er nach Leipzig zurückkehrt: „Wir reden hier in Deutschland von einem Dreimonatszeitraum, in dem es einfach zu gewährleisten ist, dass man sich sicher fühlt.“ Dann beschreibt er, wie seine Mitarbeiter das machen sollen.
Hunderte Bewerbungsgespräche haben er und seine Kollegen geführt. Die Leipziger Löwen brauchten Leute für verschiedene Bereiche – Rausschmeißer am wenigsten. Rodríguez beschreibt den Job als eine Art Stadionverkehrspolizist, der am äußeren Sicherheitsring auf die Tickets schaut und eine Einparkhilfe zum richtigen Block gibt, der gut angezogen am Eingangsdrehkreuz die glücklichen Kartenbesitzer begrüßt und der, wenn er es nicht selber kann, jemanden kennt, der in der richtigen Sprache den Weg zum Imbissstand beschreiben kann. In der letzten Woche gab es ein Seminar zu chemischen Kampfstoffen, eine zweite Gruppe der Löwen-Ordner wurde in den Techniken der Deeskalation geschult.
Knapp 200 Leute der Löwen haben für die Monate um die WM befristete Arbeitsverträge, der Rest wird nach Einsatzstunden bezahlt. Rodríguez spricht vom Tariflohn, den er kennt, und dass die Leipziger Löwen mit ihrer Bezahlung deutlich darüber lägen. Über 5,35 Euro pro Stunde. „Die Mitarbeiter müssen eine Anerkennung dafür bekommen, was sie hier machen“, sagt Rodríguez. Es ist nicht sein Thema. Er will es abschließen: „Wir sind hier keine kleine Gemeinschaft, aber eine Gemeinschaft.“
Viel lieber als über Tarifbezahlung spricht Rodríguez über die Vorgänge am Drehkreuz. Er gibt dazu eine kurze Einführung in die Kontrollgrundsätze. „Die Daten, die den Sicherheitskräften zur Verfügung stehen, stehen nicht uns, sondern dem OK zur Verfügung“, erklärt er. Er ist selbst ein wenig verwirrt und versucht die Kompetenzen noch einmal aufzuteilen. Die Leipziger Löwen würden nur Stichproben machen und dann im Zweifel Zuschauer zum Büro des OK begleiten, wo über den Einlass endgültig entschieden werde. Die Zweifel seiner Leute an der Identität eines Zuschauers speisten sich aus Anhaltspunkten, die die Ordner am Gerät angezeigt bekämen; vier Merkmale, wie Rodríguez erklärt. Welche – das will er aus Sicherheitsgründen nicht sagen.
Zweifel hat Rodríguez nicht. Er ist guter Dinge. Er winkt ab, wenn es um Hooligans geht, und ist sich sicher, dass die NPD-Verbrüderungsankündigung für das Spiel Iran gegen Angola am 21. Juni im Zentralstadion nur eine Blase war. Er verweist auf die guten Erfahrungen beim Confederationscup. „Uns ist hier nichts weggeflogen, es hat nicht reingeregnet und wir hatten keine Flitzer. Wir fühlen uns sicher“, sagt Rodríguez. Flitzer müssten 3,40 Meter tief ins Stadioninnere springen. Rodríguez kann sich ziemlich sicher sein.