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Archiv-Artikel

Jusos liefern sich giftigen Schlagabtausch mit Gabriel

NEIN SPD-Nachwuchs stimmt bei Bundeskongress in Nürnberg gegen eine Koalition mit der Union

NÜRNBERG taz | Als SPD-Chef Sigmar Gabriel am Samstag beim Bundeskongress der Jusos für den Koalitionsvertrag warb, erzählte er zunächst eine Anekdote: Nachdem Herbert Wehner, SPD-Urgestein, als Parteichef einst die erste Große Koalition der Republik vereinbart hatte, hätten Sozialdemokraten ihren Vorsitzenden mit Fäusten attackiert. So heftig, dass dessen Pfeife zu Bruch ging. Gabriel selbst ist Nichtraucher. Zum Glück: Hätte er eine Pfeife dabei gehabt, sie wäre womöglich in Gefahr geraten – so giftig verlief die Begegnung mit dem Parteinachwuchs. Die Delegierten stimmten nach zweistündiger Debatte gegen die Große Koalition.

Das Nein hatte sich schon am Vorabend abgezeichnet, als die Jusos Johanna Uekermann, 26, zu ihrer neuen Chefin wählten. Die Politikwissenschaftlerin aus Niederbayern löste Sascha Vogt ab, der nicht mehr kandidierte. Uekermann gehört dem Lager der Traditionalisten an, das für einen linken Kurs steht. „Ich möchte mit euch für den demokratischen Sozialismus kämpfen“, sagte Uekermann in ihrer Bewerbungsrede. 69,69 Prozent der Delegierten stimmten für sie. Gegenkandidat Hauke Wagner erhielt 27,6 Prozent der Stimmen. Der 31-Jährige ist Mitglied des Hamburger Landesverbands, der traditionell konservativere Positionen vertritt.

Gabriel empfingen einige Delegierte am Samstag mit Protestplakaten gegen die Große Koalition. Der Parteichef räumte ein, dass das Bündnis mit der Union „keine Liebesheirat“ sei. Er wolle die Menschen aber auch nicht „vier Jahre lang auf bessere Lebensbedingungen warten lassen“. Uekermann konterte mit Optimismus. Falls die Koalition beim laufenden Mitgliederentscheid der SPD durchfalle, müsse die Partei Neuwahlen nicht fürchten. „Mit einer klaren Machtperspektive Rot-Rot-Grün können wir die Menschen begeistern und für einen Machtwechsel sorgen“, sagte sie.

Gabriel reagierte immer dünnhäutiger. Der Streit eskalierte, als Gabriel Fortschritte in der Flüchtlingspolitik aufzählte, die mit Schwarz-Rot möglich seien. Blödsinn, rief ein Juso dazwischen, in der CDU wimmle es doch von Rassisten. „Ich kenne in der CDU keinen Rassisten!“, brüllte Gabriel zurück. Die Delegierten johlten. Jetzt griff Gabriel zu einer Postkarte mit dem Konterfei von Otto Wels, dem antifaschistischen Idol der SPD. Wels war der letzte Abgeordnete, der 1933 eine freie Rede im Reichstag hielt. „Wer den Eindruck erweckt, in der CDU gebe es heute Rassisten, verniedlicht das, was damals passiert ist“, sagte Gabriel. Kopfschütteln im Saal, der Chef der Berliner Jusos bezeichnet den Auftritt später als „Publikumsbeschimpfung“. Als die Delegierten ihr Votum gegen die Koalition abgaben, war Gabriel schon weg.

TOBIAS SCHULZE