: Ein Ball ist ein kugeliger Flugkörper
Für alle, die es schon immer wissen wollten, hat der Bremer Festkörper-Physiker Jens Falta eine „Physik des Fußballs“ entworfen. Darin erklärt er, warum der Torwart keine Chance hat und die Bananenflanke so krumm ist
Als populärste Sportart der Welt gebärdet sich Fußball wie eine Wissenschaft für sich. Doch auch die Fußballforschung kommt voran. Jüngstes Beispiel: die „Physik des Fußballs“, die Professor Jens Falta vom Institut für Festkörperphysik der Universität Bremen vorgelegt hat. Ein Ball ist schließlich nichts anderes als ein kugeliger Flugkörper, der mit dem Impuls eines Kraftstoßes in Bewegung versetzt wird und in Abhängigkeit von der Oberflächenstruktur, dem Luftwiderstand und der Eigenrotation einen definierten Weg zurücklegt.
Zwar, warnt Falta, sei die Realität viel zu komplex für millimetergenaue Ballflug-Vorhersagen. Fest stehe aber immerhin, dass die Angst des Tormannes vorm Elfmeter berechtigt sei. Bei einem kraftvoll und präzise ausgeführten Elfer werde die Lederkugel die 11,59 Meter bis in eine der unteren Torecken mit etwa 90 km/h zurücklegen, so dass sie nach 0,46 Sekunden die Torlinie überschreiten könne. Für einen Sprung dorthin benötige der Torwart 0,35 Sekunden, habe also nur 0,11 Sekunden zum reagieren. Aber selbst ein mit hervorragenden Reflexen begnadeter Sportler benötige mindestens 0,2 Sekunden, bis er tatsächlich loshechten könne. Warum dann nur 80 Prozent aller Elfer verwandelt werden? Der Torwart springt, bevor der Ball den Fuß des Spielers verlässt. Da, laut Falta, 70 Prozent aller Elfer in die Richtung flögen, in die das Standbein des Schützen zeige, könne der Torwart diese Ecke „ahnen“, rechtzeitig zum Einschussort abtauchen und den Ball abwehren.
Auch das ewige Streitthema Abseits erhellt sich im Lichte der Physik. Nicht umsonst meckerten viele Experten über die Entscheidungen der Linienrichter, ob im Moment der Ballabgabe zwischen Stürmer und Tor noch ein Verteidiger war oder nicht. Ein Ball ist bei der Abgabe, so hat Falta gemessen, nur 8,4 Millisekunden am Fuß des Kickers. Für Menschen und bisher auch für jede Technik sei es unmöglich, in dieser Zeitspanne eine Abseitssituation zu beurteilen.
Viel diskutiert wird auch die gekrümmte Flugbahn von Bananenflanken und Effet-Freistößen. Fußballstars erledigen solch artistischen Umgang mit dem Ball instinktiv in Bruchteilen von Sekunden, Computer benötigen einige Stunden, um der komplexen Flugbahn hinterher zu rechnen. Aber es funktioniert. Geholfen haben Formeln des deutschen Physikers Heinrich Gustav Magnus, die dieser 1852 aus der Beobachtung fliegender Kanonenkugeln und aus Experimenten mit angeströmten, rotierenden Zylindern entwickelt hatte. Formeln, die etwa auf die drallen Freistöße des Brasilianers Roberto Carlos anwendbar sind. Er trifft den Ball gern mit dem Außenriss seines linken Fußes, etwas rechts vom Massezentrum. Die seitliche Kraft versetzt den Ball in eine Rotationsbewegung, er wirbelt fünf bis zehn Mal in der Sekunde gegen den Uhrzeigersinn um die eigene Achse. Die Lederkugel fliegt auf Grund der hohen Geschwindigkeit von bis zu 110 km/h zwar erst einmal geradeaus an der Abwehrmauer vorbei, wird durch den Luftwiderstand jedoch kontinuierlich abgebremst – bis zu einem Geschwindigkeitsschwellenwert. Dann ist auf der rechten, sich gegen die Luftströmung drehenden, Seite des Leder-Geschosses ein Überdruck entstanden, weil die dort im Flug mitgerissene Luft auf den Gegenwind prallt. Anders auf der linken Ballseite: Dort dreht sich der Ball zwar gegen die Flugrichtung, aber mit der vorbeiströmenden Luft, wodurch die Luftschichten nahe am Ball schneller fließen und einen Unterdruck erzeugen. Ein Sog entsteht, der Ball weicht dem höheren Druck aus, flutscht aus der geraden in die gekrümmte Flugbahn nach links.
Alles nur Mechanik und Aerodynamik? Nein. Alles Fußballkunst. Jens Fischer