: Die Verweigerer von Hasselburg
Die „kleine Volkszählung“ ist in vollem Gange, nicht zu antworten wird bestraft. Doch auf einem Gutshof bei Lübeck leisten fünf Menschen Widerstand, notfalls bis zur Beugehaft. Sie wollen sich nicht wie 800.000 andere im Mikrozensus ausfragen lassen
Von Jan Freitag
Es ist ein steiniger Weg, der ins Zentrum deutscher Renitenz führt. Und er ist passend zum Anlass des Widerstands im schleswig-holsteinischen Dörfchen Hasselburg beschildert: „Privat“ steht auf einem Schild, und was der Allgemeinheit versperrt bleiben soll, führt nicht nur zu einer Häuserzeile in Ostseenähe, sondern auf eine Zeitreise ins Jahr 1987. Wer eintritt, fühlt sich zurückversetzt in jene aufmüpfigen Tage der Volkszählung. „Wir machen da nicht mit, niemals“, ruft Martin Bläse in seiner Wohnküche, wie es vor 19 Jahren Millionen Gleichgesinnter aus Angst vor dem gläsernen Bürger taten. Seine Nachbarn nicken eifrig. „Selbst wenn die uns pfänden lassen.“
Die, das ist das Statistische Landesamt für Hamburg und Schleswig-Holstein. Anfang des Jahres haben Deutschlands Datenzähler auch hier begonnen, ihre kleine Volkszählung – den Mikrozensus – durchzuführen. Bundesweit werden auf Grundlage des neuen Mikrozensusgesetzes 370.000 Haushalte mit rund 800.000 Bewohnern zu ihrer Lebenssituation befragt, ein genau berechneter Teil davon im Norden. Martin Bläse öffnet einen Aktenordner und holt den Fragebogen heraus, 47 Seiten und 150 Fragenkomplexe dick, von der Zahl der im Haus lebenden Personen über geleistete Nachtschichten bis hin zu Rauchgewohnheiten.
„Eine unfassbare Verletzung des Datenschutzes“, ereifert sich der 44-jährige Silberschmied. Das Schlimmste sei gar nicht die staatliche Wissbegierde an sich, sondern die Repression. Wer die Antworten verweigert, muss mit Zwangsgeld bis hin zur Beugehaft rechnen. Für Martin Bläse ist das „typisch deutsch“.
Und noch etwas sei seinen Landsleuten zueigen: „Nicht aufs Ganze zu gehen.“ Diese Inkonsequenz durchbrechen, für Ideale einstehen und letztlich für die Gewissensfreiheit im Artikel 4 des Grundgesetzes kämpfen – das wollen er und seine Nachbarn hingegen um jeden Preis. Da sich die sanierten Gesindehäuser des Landguts Hasselburg rund 30 Kilometer nördlich von Lübeck eine Hausnummer teilen, wurden vier Mietparteien auf einmal für den Mikrozensus erfasst. Drei davon stehen nun auf den Barrikaden wider den allwissenden Staat.
Es ist eine verschworene Gemeinschaft, die hier beisammen sitzt. Fünf Erwachsene, fünf Erfahrungen mit der ersten Volkszählung. Martin Bläse, der einst kritiklos teilnahm. Seine Frau Amrit, als wohnhafte Berlinerin außen vor. Eine Frau, deren WG die Auskünfte verweigerte. Ihr Mann Jan, 1987 noch minderjährig. Und Marianne Nickel, zu jener Zeit im Ausland. Jetzt verweigern sie sich als Team.
Wenn auch nicht unbedingt aus Prinzip. „Als der Fragebogen ankam“, erinnert sich Marianne Nickel an die Adventszeit, „war ich gar nicht entschieden dagegen.“ Die Grundschullehrerin hat erstmal beim Statistischen Landesamt in Kiel angerufen, um, wie sie es nennt, den Dialog zu suchen. Dazu kam es nicht. „Die haben mir sofort ein Strafgeld angedroht“, empört sie sich noch heute. Die Reaktion der 62-Jährigen: „So nicht!“
Nicht dieser Ton, nicht diese Entmündigung, nicht dieser Zwang. Das sei eine Frage von Verhältnismäßigkeit, Moral und Emanzipation, pflichten ihr alle bei. Und natürlich des Glaubens. Denn die Motive des Quintetts sind eher unpolitischer Art. Martin Bläse gießt frischen Kräutertee in seine Steinguttasse. „Eher spirituell“, sagt er lächelnd, nennt das „Schöpferische Zentrum Oase“ im nahen Neustadt an der Ostsee als Erbauungsort der Hausgemeinschaft, verneint vorsorglich jeden Sektencharakter und schon erscheint die Runde in einem anderen Licht – die getrockneten Maiskolben an der Wand, das alkoholfreie Biobier auf dem Tisch, die handgefertigten Klangschüsseln im Nebenraum, die hölzerne Brillenkette am Hals, die gedeckt farbigen Kleidungsstile insgesamt, die Berufe von Hebamme über Gartenarchitektin bis Biofachverkäufer.
Keine Linksautonomen also, keine radikalen Kommuneökopaxe oder reanimierten Alt-68er, sondern esoterisch angehauchte Landbewohner mit sozialem Engagement und Beharrungsvermögen. „Ich war sogar mal Wahlhelfer“, sagt Jan Janssen. Gerade die deutsche Vergangenheit sollte derlei „Blockwartmentalität und Spitzeltum“ entgegenstehen, fordert er, mit 34 der Jüngste. Statistik sei „Manipulation im Dienste des Kommerzes“ und Anonymisierung eine Legende, glaubt die zehn Jahre ältere Amrit Bläse.
Außerdem sei alles von den Parteien gesteuert, mutmaßt der Vater ihrer drei Kinder und zeigt einen Zeit-Artikel, der besagt, die CDU nutze den Mikrozensus zur Stützung tradierter Rollenmuster: Statt Geburten abzufragen, werden dank das Vetos im unionsdominierten Bundesrat nur zuhause lebende Kinder erfasst – was die Gebärrate auf ein populistisch verwertbares Maß drückt. Auch die Frage nach Kinderbetreuung wurde gestrichen, um keine Alternativen zur mütterlichen Erziehung zu fördern. Im Mikrozensus, so Amrit Bläse, „geht es um Disziplinierung, nicht um Daten“.
Aus Sicht kritischer Experten ist die aktuelle Befragung ohnehin nur Vorbereitung auf eine echte Volkszählung im Jahr 2010. So steht es, wenn auch chiffriert, im Berliner Koalitionsvertrag. Und der vorauseilende Widerstand dagegen ist teuer. 1.000 Euro haben Zwangsgelder und Justizkosten bereits pro Familie verschlungen, Erfolg ist nach abgewiesenem Einspruch durchs Oberverwaltungsgericht trotzdem außer Sicht, das sagt sogar der gemeinsame Anwalt.
Aufgeben ist für Jan Janssen aber ausgeschlossen; das habe hierzulande schon mal zu schrecklichen Taten geführt. Unpolitisch klingt eigentlich anders. Selbst falsche Angaben kämen nicht in Frage, das sei Flucht, keine Lösung. Es hat sich zwar eine Verweigererszene gebildet, die übers Internet kommuniziert, doch im Extremfall – sprich: Vollstreckung – siegt laut Amrit Bläse „Bequemlichkeit über Zivilcourage“.
Trotzig fügt sie hinzu: „Wir sind uns eins, wir gehen da durch.“ Und sei es in Beugehaft.