: Rechte Gewalt im Fokus
KRIMINALITÄT Mehr als 100 Tötungsdelikte blieben seit der Wende in Berlin unaufgeklärt. Nun werden 78 dieser Fälle neu auf ein rechtsextremes Tatmotiv überprüft. Bisher offiziell anerkannt sind nur zwei
Berlin rollt seine ungeklärten Tötungsdelikte der letzten 20 Jahre neu auf – und prüft diese auf ein rechtsextremes Motiv. Hintergrund ist eine Neurevision rechter Gewalttaten durch das Bundeskriminalamt (BKA), welche die Behörde nach Bekanntwerden der NSU-Morde startete.
Wie Innensenator Frank Henkel (CDU) am Montag im Innenausschuss sagte, wurden 125 ungeklärte Tötungsdelikte in Berlin genauer angeschaut. 78 seien dem BKA gemeldet worden, um diese neu auf ein rechtsextremes Tatmotiv zu prüfen. Die Sicherheitsbehörde hatte zuvor einen Indikatorenkatalog erarbeitet. So sollen alle versuchten oder vollendeten Tötungsdelikte zwischen 1990 und 2011 neu überprüft werden, bei denen etwa Migranten Opfer wurden. Bundesweit sind dies 746 der rund 3.300 ungeklärten Fälle.
In Berlin ergab das BKA-Raster 68 Fälle. Zehn meldete die Berliner Polizei zusätzlich nach: Es sind alle Todesfälle durch rechte Gewalt, die der Tagesspiegel und die Zeit für Berlin seit der Wende recherchierten. Hier gibt es zwar verurteilte Täter, nur zwei der Morde sind aber offiziell als rechts motiviert anerkannt.
Bereits kurz nach Bekanntwerden der NSU-Zelle im November 2011 hatte die Berliner Polizei eine Ermittlergruppe gebildet, um ungeklärte Morde auf einen NSU-Bezug zu prüfen. Die Gruppe, sagte ein Polizeisprecher, arbeite nun nach den BKA-Kriterien weiter. So wird etwa der Fall eines aus Jugoslawien stammenden 51-Jährigen neu ermittelt, der 2000 in seinem Zeitungsladen im Wedding erschossen wurde. Ein Täter wurde nie gefunden. Auch wurden die Ermordungen der Berliner Obdachlosen Günter Schwannecke und Dieter Eichneu dem BKA gemeldet. Beide wurden von Neonazis erschlagen, gelten aber nicht als Opfer rechter Gewalt. Nicht untersucht wird der Mord an Burak B., der 2012 in Neukölln von einem Unbekannten auf offener Straße erschossen wurde, da dieser nach 2011 erfolgte.
Henkel kündigte Ergebnisse im kommenden Jahr an. BKA-Chef Jörg Ziercke dämpfte zuletzt die Erwartungen: Bisher handele es sich um eine sehr grobe Vorselektion. KONRAD LITSCHKO