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Archiv-Artikel

Vom Freund zum Feind, den man bekämpft

Der Klimawandel ist nicht an allem schuld. In der Sahara-Region sind viele Probleme mit der Wüste seit über 30 Jahren hausgemacht

BERLIN taz ■ Für den Auftakt ihrer Wüstenkampagnen zum Weltumwelttag konnte sich die UNO kaum ein besseres Land aussuchen als Algerien – 2 Millionen Quadratkilometer Wüste, von 2,381 Millionen Quadratkilometer Landesfläche. Und im Kampf gegen Wüstenausbreitung wurde hier bisher so ziemlich alles falsch gemacht. Fast die Hälfte der Waldbestände wurde während des Unabhängigkeitskrieges 1954–62 von den Franzosen abgebrannt, weil sich dort die Guerilla versteckte. In den 70ern beschloss die Regierung, einen neuen, 1.500 Kilometer langen Waldgürtel quer durch das Land zu pflanzen, als Bollwerk gegen die Sahara. Sie schickte dafür die so genannte „Barrage Vert“, Wehrpflichtige, in die Wüste: Der Kampf gegen die Dürre wurde so synonym mit unmenschlichem Zwangsdienst.

Die Sahara-Wüste, rund neun Millionen Quadratkilometer groß, breitet sich nicht nach einem festen Rhythmus aus. Sie ist mal größer, mal kleiner. Die Regenmenge entscheidet, ob die weiten Graslandflächen an den Rändern, auf denen die Nomadenvölker ihr Vieh weiden, grün werden oder nicht. Bei mehrjährigen Dürren oder Heuschreckenplagen geht das Weideland verloren. Es ist aber nicht das Wachstum der Viehbestände und Überweidung, die Wüste produziert, sondern falsche Nutzung der Zonen des Ackerbaus, die von der Sahara durch das Weideland getrennt sind. Wenn Bauern zu viel Gebüsch abbrennen, um Platz für mehr Hirse zu machen, ist nach der Ernte die nackte Erde dem Wind ausgeliefert, der den fruchtbaren Boden davonbläst.

Früher kannten die Bevölkerungen von Sahara und Sahel ihre Umwelt genau. Es gab traditionelle Formen des Nutzungsrechts für Land und Wasser, man wusste über die hunderten Pflanzenarten Bescheid und man bewegte sich im Rhythmus der Jahreszeiten. Die großen Dürren der 70er- und 80er-Jahre, die hunderttausende Menschenleben forderten, haben die alten Systeme zerstört. Seitdem gilt die Wüste nicht mehr als Ökosystem, mit dem man lebt, sondern als Feind, den man bekämpft.

Obwohl die Grundwasserreserven der Sahara- und Sahelzone seit den 70er-Jahren um die Hälfte gesunken sind, fördern alle Länder die intensiv bewässerte Landwirtschaft. Soziale Reformen – zum Beispiel, auch Frauen Landeigentum zu ermöglichen, was in einer mehrheitlich weiblich betriebenen Landwirtschaft ganz wichtig ist – wurden zugleich verschleppt, und die Innenpolitik blieb im Griff privater Interessen einer schmalen Oberschicht. Die dramatische Hungersnot in Niger vor einem Jahr zeigte die Folgen dieser Politik auf: Spekulanten sind mächtiger als Verbraucher. 2005 reagierte die Welt zu spät. Dieses Jahr plant die UNO in den Sahelländern Westafrikas erneut die Versorgung von 3,3 Millionen Menschen, und das, obwohl die Erntesaison 2005–06 Überschüsse erwirtschaftete.

„Die Mobilität der Menschen nimmt in dem Maße zu, wie die lokal verfügbaren Ressourcen abnehmen“, bilanzierte jüngst ein Experte des algerischen Umweltministeriums. Aber der politische Trend geht in die umgekehrte Richtung: Grenzen werden mitten in der Wüste dichtgemacht, um Migrationsrouten Richtung Europa abzuschneiden. Das bringt auch die Wege der Nomaden durcheinander. Die Wüstenvölker sind inzwischen in allen Ländern der Region politisch marginalisiert.

Die Sahara-Regierungen setzen auf neue Wirtschaftsformen, die auf die Sahara keine Rücksicht mehr nehmen. Immer größere Flächen werden an Öl- und Bergbaukonzerne vergeben. Außerdem bekommt der Tourismus Aufschwung. Nomaden und Kamele sollen überleben – als Fotoattraktion. DOMINIC JOHNSON