piwik no script img

Archiv-Artikel

Betr.: Michael Ballack

Die Wade war’s diesmal. Michael Ballacks Muskel stand am Dienstag im Mittelpunkt des Interesses, nachdem zuletzt eine „Zerrung des Kapselbandes im linken Knöchel“ diagnostiziert worden war. Groß war die Besorgnis. „Es ist eine ganz normale Verhärtung, ein ganz normaler Bluterguss“, sagte der Kapitän der Nationalmannschaft gestern. Sein Fehlen würde die Welt der DFB-Auswahl aus den Angeln heben, davon geht die Fußballnation aus. Bang blickt sie auf die Wade des Mittelfeldspielers. Man beäugt ihn derart intensiv, dass ein Hüsteln bereits als aufkeimende Influenza gedeutet wird: „Herr Ballack, kann es sein, dass Sie erkältet sind?“, wollte ein Journalist von ihm wissen. „Ich habe nur eine raue Stimme“, antwortete Ballack. Mehr sei da nicht. Er werde am Freitag im WM-Eröffnungsspiel gegen Costa Rica (18 Uhr, ZDF und Premiere) spielen. „Es wird alles getan, damit er 100-prozentig einsatzfähig ist. Jeder in der Mannschaft weiß um die Wichtigkeit eines Michael Ballack“, sagte Assistenztrainer Joachim Löw.

Halten wir also fest: Ballack, 29, läuft auf gegen Costa Rica. Und der Rest? Es dürfte in München so gespielt werden wie im letzten Testspiel gegen Kolumbien (3:0). In der Abwehr mit Philipp Lahm, Christoph Metzelder, Per Mertesacker und Arne Friedrich. Im defensiven Mittelfeld agieren Torsten Frings und Bernd Schneider. Davor kicken Michael Ballack und Bastian Schweinsteiger. Im Angriff spielen Lukas Podolski und Miroslav Klose. Der Sturm ist in Form. Klose, Torschützenkönig der Bundesliga (25 Stück), hat eine formidable Bundesliga-Rückrunde gespielt. Podolski ist vor kurzem zum FC Bayern transferiert worden. Er kann sich wieder voll auf Fußball konzentrieren.

Das Mittelfeld steht auch. Die Defensive wurde allerdings als Schwachpunkt ausgemacht. Aber stimmt das überhaupt? Aus der Sicht der Bundestrainer nicht. Die Abwehr könne nicht losgelöst vom Rest der Mannschaft betrachtet werden, sagen sie. Man müsse das große Ganze betrachten, quasi systemtheoretisch. Das heißt, frei nach Joachim Löw: „Ob man defensiv spielt oder offensiv, das ist für uns eine unnütze Diskussion.“ Man müsse vor allem diszipliniert auftreten. „Das Gleichgewicht zwischen Offensive und Defensive muss stimmen. Alle müssen sich an Offensivaktionen beteiligen.“ Und alle müssten abwehren helfen. Das Testspiel gegen Kolumbien hat der DFB-Elf offenbar Mut gemacht. Löw sagt: „Wir haben alles getan, um erfolgreich in diese WM zu gehen. Wir sind in der Gruppe ausgeglichen und ruhig.“ Man lebe im Bewusstsein der eigenen Stärke. Die Parole lautet noch immer: Wir werden Weltmeister.

Michael Ballack traut der guten Stimmung nach diesem Sieg gegen Kolumbien noch nicht, zumal der Gegner auf viele Stammspieler verzichten musste. „Wir müssen uns steigern, wir müssen dranbleiben“, mahnt der Profi des FC Chelsea. Außerdem kämen jetzt einige Kaliber auf die Auswahl zu. Meint er damit wirklich Costa Rica, eine Mannschaft, die gegen eine süddeutsche Regionalauswahl in Sandhausen 2:3 verloren hat? Tut er. „Wir müssen es noch besser machen. Wir dürfen uns nicht auf einem guten Spiel ausruhen“, sagt Ballack.

Die Mannschaft schaut in den kommenden Tagen gleich mehrere DVDs über Costa Rica. Sogar Landeskunde wird betrieben. Die Schwäche des Vorrundengegners wird von Löw derweil so gedeutet: „Sie haben sich nicht in die Karten schauen lassen.“ Waren sie also nur clever oder wirklich erschreckend schlecht?

Ballack, der Kapitän, und Löw, der Taktikbeauftragte, fordern, dass sich die Mannschaft nicht mit den Schwächen des Gegners, sondern mit dem eigenen Stärken beschäftigen müsse. Ballack übernimmt hierbei nicht nur die Rolle des milden Kritikers, er ist auch Herbergsvater im Schlosshotel Grunewald. In der Mannschaft herrsche ein völlig andere Gruppendynamik als bei vergangenen WM-Turnieren, sagt Ballack: „Es ist als Kapitän super, mit diesen Spielern umzugehen.“ Die Auswahl 2002 und in den Turnieren zuvor habe „vom Ego her ganz anders getickt als diese jungen Spieler“ – also Mertesacker, Huth oder Podolski. Die steckten viel eher mal zurück, „weil sie bestimmte Dinge noch nicht einfordern können“. Ihm, Ballack, kommt deswegen wie selbstverständlich eine Führungsrolle zu.

Aber auch die erfahrenen Spieler stehen zum Captain. „Michael wirkt anziehend auf den Ball, er hat die Ideen“, schwärmt Jens Nowotny geradezu. All das heißt aber noch lange nicht, dass Michael Ballack auf dem Platz ein Führungsspieler sein muss. Diesen Begriff hat er schon vor einiger Zeit aus seinem Vokabular gestrichen. MARKUS VÖLKER