: Vielleicht der Wind in Kapstadt
FERNER ALLTAG (K)ein Stück zur WM: Mit ihrer „Gegendarstellung“ bemüht sich die Künstlergruppe Lose Combo um ein Südafrika-Bild abseits der offiziellen Fifa-Version
Es ist Fußballweltmeisterschaft und plötzlich blickt alles nach Südafrika. Auch die Künstlergruppe Lose Combo in den Sophiensälen, in ihrem programmatisch betitelten Stück „Gegendarstellung“. Doch zu sehen gibt es erst einmal nicht sehr viel. Die Zuschauer sitzen hufeisenförmig um die Bühne verteilt, heruntergedimmte Neonröhren lassen nur Silhouetten erkennen. Auf dem Boden liegen Rigips-Platten, auf denen man später einen rudimentären Stadtplan erkennen kann. In der Mitte der Bühne sitzt eine Frau an einem Tisch, über ihrem Kopf Leinwände, am hinteren Bühnenrand die Musiker und die Technik. Minutenlanges leises Rauschen, vielleicht der Wind in Kapstadt, vielleicht bloß ein programmiertes Computersirren.
In ähnlich bedächtigem Tempo bewegt sich denn auch der Rest des Stücks. Die Frau am Tisch beginnt schließlich mit monotoner Stimme einen Text zu verlesen, in dem von Hubschraubereinsätzen erzählt wird, mit denen in Kapstadt Jagd auf gestohlene Autos gemacht wird. Der Text ist in distanziertem, leicht ironischem Nominalstil gehalten, auf den Leinwänden flimmern dazu Luftaufnahmen von Kapstadt in Schwarzweiß. Anschließend beginnen die Musiker im Hintergrund mit einem anfangs lyrischen, irgendwann scheinbar endlosen Jam an Klarinette und Schlagzeug. So ähnlich geht es dann weiter.
Jörg Laue und Esther Ernst von der 1994 gegründeten Berliner Künstlergruppe Lose Combo lebten und arbeiteten 2008 in Kapstadt und Johannesburg. In den Texten des Stücks geben sie ihre Eindrücke wieder, berichten, wie sie bei einem Spaziergang mit Messern überfallen werden, oder von einem Autounfall, bei dem eine mutmaßlich verblutende Frau auf der Fahrbahn liegt, ohne dass ihr jemand zu Hilfe käme, aus Angst, es könnte ein „Setting“, eine Falle, sein. Dabei verlieren sie sich mitunter in manierierten Reflexionsschwurbeleien, die nicht so recht zur brutalen Realität passen wollen, die in ihren Texten geschildert wird.
Und dann sind da noch die per Skype zugeschalteten, von Abend zu Abend wechselnden „Südafrika-Experten“, die sich zur aktuellen Lage äußern. An diesem Abend leuchten von den Leinwänden die Gesichter von Daniela Polienska und Ulric Roldanus aus Amsterdam, einem Ehepaar, das 2008 in Kapstadt lebte. Laue und Ernst lernten die beiden in Südafrika kennen, von Roldanus, selbst Künstler, gibt es im Foyer eine dokumentarische Video-Arbeit aus Südafrika zu sehen. Das Publikum darf mitverfolgen, wie das Paar zur Bildberichterstattung während der WM oder nach ihrer Meinung zu den ökonomischen Auswirkungen befragt wird.
Leider wird die Aufmerksamkeit dabei stärker auf die schlechte Übertragung mit gelegentlichem schwarzem Bildschirm oder Pixelverzerrung gelenkt als auf die Äußerungen. Vermutlich soll auf diesem Weg ein wenig Medienrealität auf der Bühne gewuchtet werden. Oder ist hier gar das Medium die Botschaft? Auch mit diesem Licht und Ton gewordenen „Vernetzungsgedanken“ schafft es Lose Combo nicht, dem Gesamtgeschehen zu überzeugender Form verhelfen. Vielleicht hätte es der Sache besser getan, eine Videoarbeit oder ein konsequenteres Dokumentationsstück daraus zu machen. So langweilt man sich mehr, als sich zum Nachdenken angeregt zu fühlen. TIM CASPAR BOEHME
■ „Gegendarstellung“, Sophiensaele, 8. bis 10. Juni, 20 Uhr