aus der mensa: spargel aus tofu von HARALD KELLER
:

Wenn es seine vielfältigen beruflichen Tätigkeiten, die ihn trotz auszehrender Anstrengungen bislang nicht aus der Armut herausgeführt haben, erlauben, verirrt sich Klumpe, der Tafelrundenjüngste, gelegentlich noch in eine Seminarveranstaltung. Am Morgen durfte er einem Referat über „Der Tod in Venedig“ beiwohnen, und es hat ihn begeistert. Während er leuchtenden Auges rekapituliert, stiert Droll über die auf der Nasenspitze balancierende Brille hinweg in sein braunbreiiges Rahmgeschnetzeltes im Bemühen, dessen Fleischanteil zu bestimmen, und kommentiert geistesabwesend: „ ‚Tod in Venedig‘? Da gab es doch auch ein Sequel: ‚Wenn die Gondeln Trauer tragen‘ …“ Strunk ist sofort bei der Sache und mäht: „Ja, genau! Und der dritte Teil hieß ‚Venedig sehen – und erben‘!“

Sanft versanden Klumpes Versuche, das Gespräch auf Thomas Mann zu lenken, denn selbst die in kulturellen Belangen sonst durchaus interessierten Damen widmen sich anderen Behelligungen. Der Küchenchef hat eine Partie Spargel eingekauft, aber Hannis zögerliches Herumstochern verrät, dass die Stängel nicht ihren Erwartungen entsprechen. „Schmeckt’s nicht?“, fragt Babs, die man nie Babsi nennen darf, voller Mitgefühl. „Mmmh, nä“, lautet die profunde Menükritik. „Ich weiß sowieso nicht, was die Leute an dem Zeug finden“, lärmt Geierschnabel ungefragt. „Das ist weißes Kleinholz und schmeckt nach gar nichts, wenn man es nicht gerade in feister Sauce hollandaise ersäuft.“ Babs möchte widersprechen, findet aber kein Gehör.

Geierschnabel steuert bereits die nächste Schnapsidee an. „Man könnte sich doch die alljährliche Debatte um polnische Importspargelstecher sparen und den Kram aus Tofu herstellen. Der hat die gleiche auswurfgelbe Färbung, schmeckt auch nach nichts und lässt sich in jede gewünschte Form pressen.“

Strunk behagt dieser Gedanke nicht, er mag Spargel. Ihn beschäftigen eher die Fremdarbeiter. „Wenn man die Spargelbeete anheben und auf Hüfthöhe bringen würde, sodass man sich beim Ernten nicht mehr bücken muss, würde man auch im Inland Spargelstecher finden“, ist er überzeugt. „Gar nicht nötig“, belehrt ihn Droll. „Lass die Polen ruhig kommen. Die machen sich hier den Rücken kaputt, aber die Kosten dafür trägt das polnische Gesundheitssystem. Ist doch geschickt eingefädelt.“

Hanni beginnt plötzlich, wie ein Pferdeknecht fluchend in ihrem unergründlichen Rucksack zu kramen. „Was denn?“, will Droll wissen. „Ich habe den Abholzettel von der Reinigung vergessen. Ich wollte doch meinen Blazer abholen.“ Strunk kann nicht an sich halten: „Blazer – aus deinem Munde hört sich das obszön an.“ Hanni weiß zu parieren: „Das hängt vom Reifegrad des Zuhörers ab.“ – „Keine Sorge“, murrt Notthoff, „das Lachssteak hier vor mir hebt den durchschnittlichen Reifegrad an diesem Tisch ins Astronomische.“ Strunk ist nicht mehr zu bremsen: „Ins Gastronomische?“ – „Ins Exorbitante!“– „Was ist mit deiner Extante?“ – „Führt dieses Gespräch noch irgendwohin?“ – „Die Hauptkomponente heute heißt Flachssteak.“ – „Gut, dass es kein Sushi gibt.“ – „Genau.“

Und es kräht unisono aus lachenden Gesichtern: „Denn nichts reimt sich auf Sushi!!“