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Archiv-Artikel

Plastik muss draußen bleiben

EXPERIMENT Die Krautwaschls aus Österreich wollen auf Kunststoffe in ihrem Haushalt verzichten. Jetzt gelten sie als Ökoterroristen

Plaste und Elaste

Rohbenzin ist der wichtigste Grundstoff der Plastikproduktion. Etwa 4 Prozent der aus den Raffinerien kommenden Erdölprodukte werden in der Kunststoffindustrie verbraucht. Klingt wenig, sorgt aber für viele Produkte und entsprechenden Profit bei der Industrie. Europäische Plastikhersteller und -verwerter erwirtschafteten 2008 einen Gewinn von rund 13 Milliarden Euro.Zu Beginn dieses Jahrtausends verbrauchte jeder Westeuropäer rund 92 Kilogramm Kunststoffe im Jahr, in Nordamerika waren es sogar 130 Kilogramm. 86 Kilogramm in Japan. Anders ist die Lage in den Entwicklungsländern: Hier lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 19 Kilogramm in Lateinamerika, 13 Kilogramm in Südostasien und 8 Kilogramm im Mittleren Osten und Afrika.Trotz aller Bemühungen um Recycling sorgt der weltweite Plastikkonsum der UN zufolge für rund 6 Millionen Tonnen Müll, der zu über achtzig Prozent in die Meere gelangt. Laut einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) treiben bis zu 18.000 Plastikteile in jedem Quadratkilometer der Weltozeane. TAZ

VON ALEXANDER MUSIK

Sandra Krautwaschl schnappt sich einen Weidenkorb und holt Brennholz für den Herd aus dem Stall. Hinten ist das Brennholz gestapelt, der vordere Teil dient als Plastik-Zwischenlager. Rechts türmt sich das entsorgte Plastikspielzeug der Kinder, links Haushaltsgegenstände aus Bad und Küche, Tupperware-Sets, Thermoskannen, Plastikgeschirr und -mobiliar, aus dem Stapel leuchtet eine quietschgelbe Plastik-Badeente hervor. „Diese Tortenaufbewahrungsbox hier, die ist nagelneu, die haben wir nie verwendet. Die ist direkt vom Geschäft da raus gewandert“, sagt die zierliche Frau mit den langen dunklen Locken und dem herzlichen Blick.

Die Krautwaschls leben in einem ehemaligen Bauernhaus in Eisbach, einer ländlichen Gemeinde ein paar Kilometer nördlich von Graz. Am 14. November vergangenen Jahres entschloss sich die Familie mit drei Kindern zu einem Experiment. Sie wollte in ihrem Haushalt auf den Gebrauch von Plastik verzichten. Auslöser war die Dokumentation „Plastic Planet“, die Sandra Krautwaschl in Graz im Kino gesehen hatte. Der Film prangert die Allgegenwart von Kunststoffen in unserer Umwelt an. Regisseur Werner Boote reiste zu Forschern, Ärzten und Herstellern auf der ganzen Welt, um Beweise dafür zu finden, dass Kunststoff sich in der Nahrung und im Blutkreislauf eines jeden Menschen anreichert. Jährlich werden auf der Grundlage von Öl 240 Millionen Tonnen Kunststoffe – 60 Millionen davon in Europa – hergestellt und für Produkte aller denkbaren Industriezweige weiterverarbeitet.

Plastik und Gehirnwäsche

„Plastic Planet“ wirkte wie ein Schock auf Sandra Krautwaschl: „Man bekommt überall wie eine Art Gehirnwäsche vermittelt, dass Plastik ein Stoff ist, der nix abgibt, hygienisch, leicht und einfach zu verwenden ist“, erinnert sich die 38-jährige Physiotherapeutin. „Dieses Bild ist für mich gekippt, da ist nix übrig geblieben, das war erschütternd an dem Film.“

Mittlerweile läuft das Experiment schon über ein halbes Jahr und die Familie betrachtet ihr Leben ohne Kunststoff längst nicht mehr als Verzicht, sondern als Gewinn an Lebensqualität. „Für mich heißt Verzicht immer, ich entbehre was oder vermisse das dann. Für uns war das Gegenteil der Fall! Das Plastik haben wir alles in unseren Stall geräumt“, sagt Sandra Krautwaschl.

Den direkten Weg zwischen Wohnhaus und Remise versperrt ein aufblasbarer Swimming-Pool. „Der ist Plastik pur“, sagt Sandra lachend. Der Pool darf aber bleiben, denn Sandra und Peter wollen keine Plastik-Talibane sein. Auch wenn sie auf Flugreisen und Textilien aus Fernost möglichst verzichten, nehmen sie doch auch mal das Auto, um einzukaufen oder um in Urlaub zu fahren.

Terror und Propaganda

Dennoch scheint es manche Menschen aggressiv zu machen, wenn Sandra Krautwaschl sich die Mühe macht, Lebensmittel ohne Plastikverpackung zu finden, und zur Not zum Einpacken von Lebensmitteln eigene Metall- oder Glasbehälter mit ins Geschäft nimmt. Das jedenfalls legten vor Häme triefende Postings in der Onlineausgabe der Kleinen Zeitung nahe, nachdem das Grazer Blatt über das Experiment berichtet hatte. Da wurde die Familie blindwütig als „Ökoterroristen“ beschimpft, ihr Projekt als „Ökopropaganda“. Die Krautwaschls ließen sich dadurch nicht beirren, schließlich überwiegen die positiven Rückmeldungen und die Anregungen von Usern, die auf Sandras eigenen Blog keinheimfuerplastik.at reagieren.

Bad und Küche sind komplett plastikfrei, sagt Sandra, als sie Kaffee auf dem holzbefeuerten Tischherd bereitet. Das Holz kommt aus dem nahen Wald, die Milch zum Kaffee holt sie in der Blechkanne vom Bauern im Dorf. Die Familie kauft im Supermarkt gezielter ein und spart nach eigenen Angaben noch Geld dabei. Zwar sind plastikfreie Produkte vielfach teurer, dafür gehören Impuls- und Schnäppchenkäufe seit November der Vergangenheit an. Aus Plastik sind in der Wohnküche noch Lichtschalter, Telefon und die Bespannung der Sitzbank. Die auszutauschen, würde das Familienbudget sprengen, sagt die Frau, dasselbe gilt für den Wunsch der Kinder nach kunststofffreien Winterstiefeln. 200 Euro koste ein Paar, und jedes Jahr brauchen sie neue …

Dass Geschirrspüler und Staubsauger noch aus Plastik sind, hat andere Gründe. Denn als diese beiden Haushaltshelfer ihre Reise in den Stall antreten sollten, stand die Familienharmonie auf der Kippe: „Alles mit dem Besen zusammenkehren, das ganze Geschirr für fünf Personen mit der Hand abwaschen – das mag keiner so gern, das macht sehr viel Arbeit“, sagt Sandra. „Dann haben wir das Wasser am Tischherd aufgewärmt und immer wieder hat sich jemand die Finger verbrannt. Wir sind da schon fast ins Streiten gekommen und haben beschlossen: Das geht uns momentan zu weit, das lassen wir wieder.“

Überhaupt keinen Streit gab es , als die Kinder ihre Spielsachen einer Inventur unterziehen sollten

Überhaupt keinen Streit gab es dagegen, als die Kinder ihre Spielsachen einer Inventur unterziehen sollten. Die Kleinen haben da „mehr Instinkt“ und sind noch nicht so sehr an die Plastikwelt gewöhnt wie wir, meint Ehemann Peter Rabensteiner. Auch in der Schule der Kinder gebe es keine Hänseleien wegen des außergewöhnlichen Experiments, ist sich der Vater sicher. Im Gegenteil: Im Biologieunterricht greife man das Thema Plastik auf, Sohn Samuel habe sogar ein Referat dazu gehalten.

Merino für den Sport

Peter Rabensteiner – er betreut Kinder in einer Grazer Behinderteneinrichtung – fürchtete zu Beginn des Experiments, er könne als passionierter Sportler keine passende kunststofffreie Kleidung finden, um Ski zu fahren. Die Sorge blieb unbegründet: In einem Grazer Bergsportgeschäft war man auf wählerische Kundschaft vorbereitet. Mittlerweile hat Peter Outdoor-Kleidung aus Merino-Wolle schätzen gelernt und verzichtet dankend auf die vermeintlichen Vorteile von High-Tech-Synthetics auf Erdölbasis.

Manche Freunde und Bekannte hätten die Familie am Anfang für hysterisch gehalten, erzählt Sandra. „Weil wir plötzlich alles abgelehnt hätten, was uns doch vorher auch nicht geschadet habe.“ Sie wirft der Industrie „Verschleierungstaktik“ mit Blick auf ihre Inhaltsstoffe vor und rät allen, im Zweifel direkt bei den Firmen anzurufen und sich gezielt nach problematischen Inhaltsstoffen zu erkundigen. Zum Beispiel nach dem Bisphenol-A-Gehalt in Schnullern und Babyflaschen. Die massenhaft verwendete Chemikalie sorgt wegen ihrer möglichen Gesundheitsgefährdung immer wieder für Aufregung. Das österreichische Umweltbundesamt etwa wies Bisphenol A sogar im Hausstaub nach.

Vor einiger Zeit tauchte ein Mediziner dieser Behörde im Dorf Eisbach auf; er hatte von dem Experiment gehört. Er nahm von den Eltern eine Blutprobe, weil er wissen wollte, wie hoch ihr Blut mit Kunststoff belastet ist. Besonders Peter Rabensteiner wartet seitdem mit Spannung auf das Ergebnis, denn anders als seine Frau hat er noch nicht ganz Abschied vom Kunststoff nehmen können – dienstlich. Zu seinem Job bei der Mosaik GmbH in Graz gehört es, gemeinsam mit den behinderten Kindern zu Mittag zu essen. Die Mahlzeiten kommen von einer Großküche und werden in Plastikbehältern ausgeliefert. Derzeit liegen die Blutproben allerdings buchstäblich auf Eis, denn die notwendigen Tests kosten rund 12.000 Euro. Bis der Mediziner einen Sponsor für die Analyse gefunden hat, wird die Familie ihre Blutplastikwerte nicht erfahren.

www.keinheimfuerplastik.at