: berliner szenen Kameraspaziergang
Winken nicht vergessen
Treffpunkt Bahnhof Friedrichstraße. Erste Erkenntnis: Sie sind überall, unsere grünen Freunde, die unsere kleine Schar studentisches Jungvolk argwöhnisch mustern. Doch kümmert die Polizei sich heute um demonstrierende Mediziner und nicht um den Kameraspaziergang, einem Stadtrundgang zum Thema Video-Überwachung, organisiert vom Seminar für angewandte Unsicherheit. Unsere jungen Führer kommen betont schlabbrig daher und bringen uns schnell zur zweiten Erkenntnis: Die Kameras sind überall. Das Kaufhaus Dussmann: eine uneinnehmbare Festung, gesichert mit 1.000 Augen. Von wegen Kultur – Dussmann ist in erster Linie ein Sicherheitsunternehmen, das sich am eigenen Objekt so richtig austobt.
Der kleine Raum, wo die vielen Bilder zusammenlaufen, ist wundersamerweise gläsern. Jeder kann sehen, welch detaillierte Überwachung der Verkaufsräume möglich ist. Der Detektiv kann durch Heranzoomen sogar den CD-Titel erkennen, für den sich ein Kunde gerade interessiert. Man sieht auch, dass eine Außenkamera eindeutig mehr als die 1,50 Meter Bürgersteig aufzeichnet, die ein Gericht Dussmann zugestanden hat. Der Sicherheitschef bestreitet die Aufzeichnung der Daten – außer bei konkreten Verdachtsmomenten. Er gibt unumwunden zu, dass jede vorbeiziehende Demonstration gefilmt wird.
Alsbald im Regierungsviertel: Video-Kreuzfeuer an jeder Ecke. Mit einem tragbaren Fernseher und einem 2,4-Gigahertz-Empfänger lässt sich so manches Bild der geschätzten vier Millionen deutschen Überwachungskameras empfangen. Eine Kamera auf 20 Bürger: Wenn wir weiter aussterben, wird sich das Verhältnis bald gedreht haben.FLORIAN FRICKE