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Archiv-Artikel

Einer für alle

Warum liebt die ganze Welt Ronaldinho?

VON UH-YOUNG KIM

Jedes Kind weiß, wer der beste Fußballer der Welt ist. Nun, wer soll es auch besser wissen als die Kleinen – schließlich ist er im Herzen einer von ihnen geblieben. Das zumindest suggerieren die vielen Bilder, Internetclips und Kommentare über Ronaldinho. Unaufhörlich penetrieren sie die Öffentlichkeit mit seinem unbekümmerten Lächeln und der kindlichen Spielfreude, die sich der 26-Jährige bewahrt habe.

Die Sportart, um die sich Nationen, Konzerne und Kaiser streiten, wirkt bei ihm tatsächlich leicht wie ein Kinderspiel. Umso mehr wird ihm die Aufmerksamkeit einer von Jugendlichkeit und Spektakeln besessenen Gesellschaft zuteil. Nachdem der FC Barcelona zuletzt Arsenal London geschlagen hatte, ballte sich die Fotografenmeute wie magnetisiert um den Weltmeister von 2002, spanischen Ligameister 2005 und 2006, Europas Fußballer 2005, zweifachen Weltfußballer und nun auch Champions-League-Gewinner. Etliche Magazine werben mit seinem Gesicht auf dem Titel. Wer über Fußball spricht – und das sind zurzeit viele –, kommt nicht an Ronaldo de Assis Moreira vorbei und nennt ihn starlike beim Kosenamen. Schon existiert ein Comic-Heft über ihn – im Kindesalter natürlich.

Innerhalb von drei Jahren ist Ronaldinho zum globalen Superstar aufgestiegen, wie ihn sich Bob-Marley-Erfinder Chris Blackwell nicht idealer hätte ausdenken können: Geliebt und verehrt sowohl von der Dritten Welt, aus deren Armenvierteln er stammt, als auch von der Ersten Welt, zu deren Spitzenverdiener er aufgestiegen ist. Kein Wunder, dass auch die United Nations das Potenzial dieses Stars für sich entdeckt haben. Im aktuellen „World Food Programme“ wirbt Ronaldhino in einem Spot mit der Botschaft: „Nicht jeder kann sich von Fußball ernähren.“ Seine Herkunft ist im Subtext immer präsent. Gerade deshalb ist der Brasilianer zum universellen Signifikant für die Freude am Spiel, übermenschliches Talent und die Chance auf soziale Aufwärtsmobilität geworden.

Zu Presseterminen erscheint Ronaldinho lässig mit ein wenig Bling um den Hals und im Trainingsanzug aus der Kollektion von Michael Jordan. Ganz so, als ob er seine Nachfolge antreten wolle, hat er doch ebenfalls die Schwerkraft überwunden und ist zum Megastar avanciert. Ihr gemeinsamer Sponsor, Nike, spinnt die Werbephantasmen des einstigen Zugpferds bereits mit dem neuen weiter: Anhand von Ronaldinho werden Vorstellungen von athletischer Brillanz, Reichtum und Erfolg mobilisiert.

Für ihn und die brasilianische Nationalmannschaft wurde die blütenweiße Kampagne ‚Joga Bonito‘ ersonnen: ‚Spiele schön‘ – ein zynisches Motto angesichts von aggressiven Brandingmethoden und sweat shops in Asien. Um trotz aller Kritik glaubhaft zu bleiben, bedienen sich die neuen Spots des viralen Guerilla-Marketings: Die Clips sind unscharf und verwackelt wie auf Youtube.com. Nike hat inzwischen sogar eine eigene Video-Sharing-Seite aufgestellt, wohl wissend, dass sich die ungeheure Popularität Ronaldinhos auf die exponentielle Verbreitung von Online-Videos stützt, in denen Fans Szenen des Zauberers für den Mini-Screen editiert haben.

Daran anknüpfend bringt Nike das imaginäre Potenzial seines Stars mit authentischem Fundmaterial in Stellung. In einem Werbespot werden Archivaufnahmen von Ronaldinho als Kind beim Futsal-Spielen mit Bildern von heute parallel montiert. Die Botschaft: In einer von unfairen Spielern und korrupten Funktionären beherrschten Fußballwelt bleibt für die Besten nur die Regression in die Unschuld der Kindheit.

Parallel dazu streute der Konzern im Internet eine Trainingsszene, deren Echtheit heftig diskutiert wurde. Darin schießt Ronaldinho viermal hintereinander von der Strafraumgrenze aus gegen die Torlatte, ohne dass der Ball den Boden berührt. Nike inszeniert seine Spieler im ideologisch scheinbar unbesetzten Alltag als genetische Übermenschen, die von Natur aus höher springen, schneller laufen und präziser schießen können.

Das Vorurteil, afrikanischstämmige Sportler seien weißen gegenüber physiologisch im Vorteil, bestärkt im Umkehrschluss das exotisierende Stereotyp ihrer intellektuellen, moralischen und arbeitsethischen Unterlegenheit. Stets schwingt in der Betonung triebgesteuerter Instinkte auch die sexuelle Dimension mit. Ronaldinhos meistzitierter Satz lautet: „Der Ball ist meine Geliebte.“

Diese rassistischen Klischees wirken strukturell in dem Versprechen nach sozialem Aufstieg fort. Im Leistungsträger aus dem Armenviertel von Porto Alegre manifestiert sich die Fantasie, dass es jeder in einer von Konkurrenz angetriebenen Gesellschaft schaffen kann. Für die meisten Menschen trifft das freilich nicht zu. Die kriegsähnlichen Zustände in São Paolo sind nur der jüngste Ausdruck der ungelösten sozialen Widersprüche entlang von Klasse und Rasse in der Gesellschaft Brasiliens und anderswo. Und von den unzähligen lateinamerikanischen Spielern, die voller Hoffnung nach Europa kamen und in der Versenkung verschwunden sind, erfährt man nichts.

Nun geht es bei der WM nicht darum, auf verschlissene Jungtalente oder gar globale Misstände aufmerksam zu machen. Die Leute wollen Stars sehen, die Tore machen. Aber gerade hier hat eine Verschiebung stattgefunden. Die Helden von gestern ließen sich noch ideologisch aufladen. Man denke nur an den ungehorsamen Dandy Netzer, den Maoisten Breitner oder die Wiedergeburt von Che Guevara in Gestalt von Maradona.

Erst mit David Beckham kam der utopiefreie Fußballstar des Neoliberalismus auf, der Spiel und Selbstvermarktung lückenlos ineinander blendete. Aber sosehr die Frisur auch saß, scheiterte Beckham immer wieder beim Elfmeterschießen und sank in den Klatschblättern zum Promi herab. Es ist dennoch die Fallhöhe, die ihn zur zugleich überirdischen und fragilen Diva gemacht hat. Ebenso bewegt sich Thierry Henry ständig am Rande des Scheiterns. Der protestantische Eifer des französischen Stylers erlaubt es ihm nicht, sich selbst gerecht zu werden. Deshalb lächelt er nie auf dem Platz.

Dagegen scheint der katholische Dauergrinser Ronaldinho keine Schwächen zu haben und die Qualitäten vorangegangener Legenden zu absorbieren. Nie war einer so nah dran am Ideal des perfekten Spielers, der Eleganz mit Athletik und Innovation mit Effizienz paart. Und selbst den Traum der Integration, wie er für Migrantenkinder durch Zinedine Zidane verkörpert wurde, überhöht der Überflieger durch seine Erfolgskarriere im globalisierten Transfergeschäft.

Kein Skandälchen trübt sein Image. Ein uneheliches Kind? Geschenkt. Fast wirkt Ronaldinho wie ein Star ohne Eigenschaften. Klar, da ist das Glück, das er ausstrahlt. Wo aber sind die Kanten und Brüche, die die Öffentlichkeit ihren Halbgöttern sonst so gierig abverlangt? Interviews mit Ronaldinho dienen allenfalls der Rückvergewisserung, dass es ihn außerhalb des Platzes auch wirklich gibt. Ansonsten sind sie nichts sagend.

Wenn nicht sein Körper etwas anderes ausdrücken würde. Kaum auf dem Platz beschleunigt er den Fluss des Spiels. Auf einmal weht der Wind der Freiheit durch die verbarrikadierten Reihen. Ohne aufzuschauen spielt er Traumpässe. Der Ball klebt an seinem Fuß und löst sich im nächsten Moment blitzschnell Richtung Tor. Die bloße Präsenz des Überfußballers – eine Figur, die durch Netzwerkanalysen und Raumdeckungssysteme eigentlich zum Auslaufmodell erklärt wurde – macht auch seine Mitspieler besser, der Funke springt über.

Selbst wenn er vorbeischießt, lächelt er. Für ihn gibt es keine Scham, die seine Beine beschweren könnte. Charme beflügelt seine Bewegungen. Und was mühelos läuft, macht Freude. Das Talent der unverstellten, materiellen Körperlichkeit hat Ronaldinho zur Ikone gemacht, die überall auf der Welt verstanden und geliebt wird.

Was ihm jetzt noch fehlt, um unsterblich zu werden, ist der eine große Moment im WM-Finale. Und mal ehrlich: Wer möchte den nicht miterleben?