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Archiv-Artikel

Ach, Lanz. Hör auf zu kämpfen

Die Samstagabendshow ist tot – und das zu Recht

VON JÜRN KRUSE

Früher, da war alles besser. Der samstägliche Fernsehabend zum Beispiel. Da saß man dann gemeinsam in der Stube und war froh, dass die Großeltern den Steckrübenwinter vor gut 50 Jahren überstanden hatten, Vati trank ab und an einen Korn, Mutti nippte am Likör und füllte nach, wenn die Schmalzbrote und die kleinen Frikadellchen auf der Etagere weggeputzt waren. Im Fernsehen lief „Einer wird gewinnen“ mit Hans-Joachim Kulenkampff. Herrlich war das. Zumindest in der Rückschau.

Und heute? An diesem Samstag läuft zum letzten Mal in diesem Jahr „Wetten, dass . . ?“. Mittlerweile moderiert von einem gewissen Markus Lanz. Das haben Sie womöglich der Fachpresse entnommen, gesehen haben Sie ihn vermutlich nicht. Denn es guckt ja keiner mehr Fernsehen am Samstagabend! Und schon gar nicht gemeinsam! Das Lagerfeuer der Nation ist erloschen.

„Wetten, dass . . ?“ ist unter Lanz auf nur noch 6,55 Millionen Zuschauer abgestürzt. Da half es auch nichts, dass sich der Moderator auf Mallorca Eiswürfel in die Buxe schüttete oder gegen das Publikum Liegestützen machte. Dafür gab es viel Kritik. Doch Lanz wehrt sich. Er kämpft für seine Show. Er kämpft für den alle Generationen verbindenden Fernsehabend am Samstag. Er findet es schade, „dass man Millionen Menschen etwas kaputt schreibt“, sagte er dem Stern. „Wenn Sie dauernd den Untergang herbeischreiben, dann kriegen Sie ihn auch.“

Ach Lanz, das müssen wir gar nicht kaputt schreiben. Der Samstagabend ist längst untergegangen. Und das zu Recht.

Und wir hätten es vorhersehen können, wenn nicht gar müssen. Schließlich hatte schon 1969 Roberto Blanco „Heute so, morgen so“ über den allem innewohnenden Wandel gesungen. Damals, als noch alle gemeinsam die „ZDF-Hitparade“ schauten. An einem Samstagabend.

Als Thomas Gottschalk Ende 2011 bei „Wetten, dass . . ?“ aufhörte, wurde er zum Messias stilisiert, dessen Abgang das Land in den Abgrund stürzen würde. Dass die Show mit dem immer wieder kehrenden Status-quo-Medley, anschließendem Talk mit Hollywood-Prominenz und/oder Peter Maffay, Smokie-Medley, Fußpilz-am-Geschmack-erkennen-Wette und anschließendem Rod-Stewart-Medley schon lange Unterhaltung für Leute ohne Humor war, wurde in all dem Abschiedsbohei leider vergessen. Gottschalk bewies bald darauf mit seinem Kurzzeit-Talkauftritt im Vorabendprogramm der ARD, dass er vieles ist, aber kein Messias. Und der Samstagabend, den haben die Fernsehverantwortlichen ebenso wie die Fernsehfamilien doch schon lange abgeschrieben.

RTL zeigt seine große Abendshow mit Günther Jauch und Thomas Gottschalk lieber am Montag, ProSieben sendet die für viel Geld eingekauften Filme lieber am Sonntag – und die ARD, die zeigt am Samstagabend gerne Volksmusik, Wiederholungen oder so miserable Degeto-Erstausstrahlungen, dass sie damit das Lagerfeuer der Nation nicht nur langsam zu Ende glimmen lässt, sondern mit Schmackes austritt.

Ein Haushalt, vier Geräte

Aber wollen wir Zuschauer überhaupt noch den gemeinsamen Abend vorm Fernseher am Samstag? Wollen Sie mit ihrer 14-jährigen Tochter an diesem Wochenende „Transformers“ gucken? Oder mit Ihrem Sohn „Das Supertalent“? Oder wollt Ihr mit euren Eltern „Wetten, dass . . ?“ schauen? Nein? Gut, dass vier Fernseher im Haushalt stehen.

Die Geräte sind zur Massenware geworden. Jeder hat einen anderen Geschmack. Unzählige Programme bedienen unzählige Zielgruppen. Und Schluss ist mit dem heimeligen gemeinsamen Schauen der großen Samstagabendshow.

Fernsehen ist trivial, die meisten Sendungen sind so redundant, dass selbst Sechsjährige ihnen leicht folgen können. Doch während dieses Prinzip von Montag bis Freitag und am Sonntag eines der Erfolgsgaranten des Mediums ist, wirkt es am Samstag völlig deplatziert. Unter der Woche ist die wiederkehrende Serie mit den bekannten Charakteren tiefste Entspannung – egal, wie nervenaufreibend, brutal oder tiefgründig sie sein mag. Das Gleiche gilt für den „Tatort“ am Sonntag.

Doch am Samstagabend brauchen die Menschen keine Entspannung. Wovon sollen sie sich erholen? Von der Bundesligakonferenz im Radio? Vom geistig wenig fordernden Aufräumen, Putzen oder Einkaufen? Kaum einer geht doch noch am Sonnabend einem Beruf nach. Spätestens seit den 70er Jahren gehört Vati samstags mir.

Wie sollte demnach die Unterhaltungssendung aussehen, die am Samstagabend einen möglichst großen Teil des Rests, der dann doch vor dem Fernseher sitzt, bei sich versammeln kann? Nicht anbiedernd (wie „Wetten, dass . . ?“), nicht abstoßend (wie „Deutschland sucht den Superstar“, „Das Supertalent“ und andere) und nicht affektiert (wie alle Volksmusiksendungen) müsste sie sein. Das ist doch eigentlich nicht zu viel verlangt.

Außer Raab vielleicht

Die einzige Show, die zuletzt diese Attribute auf sich vereinte und das Potenzial in sich barg, ein neues Lagerfeuer zu entzünden, war Stefan Raabs „Schlag den Raab“: zusammenschaukompatibel, weil man sein Halbwissen ausspielen konnte; spannend, weil man Raab abnahm, dass er wirklich gewinnen will und keinen Cent zu verschenken hat; Freude bei Überziehung der Sendezeit; und mit Matthias Opdenhövel hatte sie einen Moderator, der dem schlagfertigen Raab gewachsen war und sich auf die Seite des Kandidaten schlug – ohne den fürsorglichen Großonkel zu mimen. Doch Opdenhövel ist weg und „Schlag den Raab“ nun auch schon mehr als sieben Jahre alt.

Immerhin: Die Sendung bewies, dass große Shows noch begeistern können – und dass der Samstagabend für manche Formate eben doch der richtige Platz ist. Die Schwäche von „Wetten, dass . . ?“ müsste eigentlich die Konkurrenz dazu animieren, Klügeres, Spannenderes und Witzigeres gegen die einst als ewige Nummer eins gehandelte Show zu programmieren. Noch ist abgesehen von Raab aber nichts zu sehen. Das Free-TV in Deutschland wirkt schlaff wie selten zuvor.

So bleiben derzeit nur zwei Generationen verbindende und stets wiederkehrende Fernsehereignisse: Fußball und „Tatort“. Sie sind die neuen Lagerfeuer. Sie brennen mittwochs und sonntags. Auch schöne Tage.

■  Jürn Kruse, 28, ist Medienredakteur der taz