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Archiv-Artikel

Späte Abnabelung

Alle Karriereschritte sind die Zwillinge Jiri und Otto Bubenicek, Erste Solisten an John Neumeiers Hamburg Ballett, bisher zusammen gegangen. Jetzt wechselt Jiri nach Dresden. Otto bleibt zurück. Zwei Interviews über eineiige Befindlichkeiten

Interview: PETRA SCHELLEN

taz: Jiri Bubenicek, Sie verlassen also Ihr Zuhause …

Jiri Bubenicek: Zuhause? – Ja, vielleicht… Nun, jeder verlässt irgendwann sein Zuhause.

13 Jahre sind eine lange Zeit. Spät, um noch zu gehen.

Ich habe seit zwei, drei Jahren darüber nachgedacht – aber ich war noch nicht so weit. Jetzt habe ich das Gefühl, dass es der richtige Zeitpunkt ist.

Hamburg kann Ihnen also nichts mehr bieten?

Ich glaube nicht. Natürlich kann ich weiterhin versuchen, technisch perfekter zu werden. Aber wenn ich mich weiterentwickeln will, muss ich woandershin gehen. Und eine andere Art der Bewegung kennen lernen.

Zielen Sie auf modernen Tanz?

Ja – aber ohne das klassische Ballett zu vernachlässigen. Außerdem wird die Dresdner Compagnie gerade neu aufgebaut. Bei diesem Anfang möchte ich gern dabei sein. Die Karriere eines Tänzers ist nur kurz. Denn ich werde nur noch ein paar Jahre tanzen können. Deshalb möchte ich jetzt noch einmal tun, was mein Herzenswunsch ist.

Was kommt danach? Eine Choreografenkarriere? Oder zieht es Sie zum Zirkus zurück?

(Zögert). Naja, ich bin da aufgewachsen, bis ich zehn war und habe da nicht so viele Erfahrungen gesammelt. Nein, ich ziehe das Tanzen vor und ich choreografiere gern. Das ist die Arbeit, die mir Spaß macht.

Es gab also nie einen Zweifel an der Berufswahl?

Nein. Wichtig ist für mich vor allem, auf der Bühne zu stehen - und wenn ich beim Zirkus oder am Theater gewesen wäre, wäre ich auch zufrieden gewesen. Aber es ist eben so gelaufen, wie es war, und ich bin glücklich.

In Dresden werden Sie erstmals ohne Ihren Bruder tanzen. Macht es für Sie einen Unterschied, ob er in Ihrer Nähe ist?

Nein. Es ist natürlich schön, einen Bruder zu haben – und jemanden, mit dem man die Muttersprache teilt. Aber ich bin ein eigenständiges Individuum und es ist für mich unwichtig, wo ich lebe. Außerdem sind es nur fünf Zugstunden von Hamburg nach Dresden. Wenn mich Otto also sehen will – oder ich ihn –, können wir einander ja besuchen.

Wäre die Karriere ohne Ihren Bruder genauso verlaufen? Schließlich werden Sie auch als Zwillinge promotet.

Nein, wir werden nicht als Zwillinge promotet, sondern als Jiri und Otto. Als zwei verschiedene Personen.

Aber Sie haben viele Nummern zusammen getanzt.

Nicht so viele – aber einige schon, ja.

Das klingt, als hätten Sie es gehasst, zu zweit zu tanzen …

Nein, nein – ich habe es geliebt! Zusammen mit Otto zu tanzen war für mich immer etwas ganz Besonderes.

Aber die Zweisamkeit ist nicht so wichtig für Sie …

Inzwischen nicht mehr. Jetzt ist es für mich wichtig, neue Einflüsse aufzunehmen. Ich freue mich sehr darauf, mal woanders als mein Bruder zu sein. Wobei ich im Nachhinein finde, dass diese Abnabelung schon mit 17, 18 hätte passieren müssen.

Wo sehen Sie sich in ein paar Jahren?

Mittelfristig hätte ich nichts dagegen, zurück nach Tschechien zu gehen – oder irgendwohin, wo die Compagnien nicht so gut sind. Ich könnte ihnen helfen, sich weiterzuentwickeln. Denn ich möchte meine Erfahrungen gern jemandem weitergeben, der keine Möglichkeit hatte, sein Land zu verlassen …

Wie könnte das aussehen?

Ich hätte gern eine kleine Gruppe von Tänzern, mit denen ich meine Choreografien ausprobieren kann.

Welchen Themen gelten die?

In meinen bisherigen Choreografien ging es um zwischenmenschliche Beziehungen.

Was bedeutet Ihnen das Choreografieren?

Es ist für mich eine Art Selbstfindung. Ein Blick ins eigene Innere. Denn man tut etwas und anschließend betrachtet man es. Ich befreie mich durch diese Distanz sozusagen von mir selbst.

Choreografieren ist für Sie also intensiver als Tanzen?

Choreografieren bedeutet, dass andere Menschen einbezogen werden. Außerdem erfordert es mehr Bewusstsein für Struktur als das pure Tanzen. Außerdem bereitet es mir große Freude, mit Menschen zu arbeiten. Manche junge Choreografen arbeiten mit nur wenigen Tänzern, weil sie Angst vor der Gruppe haben. Sie choreografieren am liebsten Soli oder Duette. Bei mir ist das anders: Ich liebe es, mit Gruppen von 18 bis 20 Tänzern zu arbeiten. Das habe ich von John Neumeier gelernt.

Wie entwickeln Sie ihre Choreografien?

Für die kleineren Stücke habe ich zuerst allein improvisiert und es den Tänzern beigebracht. Dann habe ich bemerkt, dass das nicht funktioniert. Jetzt gehe ich mit ein paar Ideen im Kopf ins Studio und improvisiere gemeinsam mit den Tänzern. Bei größeren Gruppen verfahre ich genauso: Ein bisschen bereite ich vor – und beobachte dann in der Probe, welche Bewegung welchem Tänzer steht: Dieser sieht in der Pose besser aus, jener in einer anderen. Einer verändert etwas, das mich wiederum inspiriert …

wie ein Puzzle.

Ja. Ein Puzzle, in dem jeder auf den Platz gestellt wird, der am besten zu ihm passt. Wenn alles passt, ist die Choreografie fertig. Außerdem ist Musik extrem wichtig für mich. Ich kann nur auf Musik choreografieren, die mich wirklich berührt.

Welche Art von Musik könnte das sein? Die, die ihr Bruder komponiert?

Ja – oder klassische Musik oder etwas Anderes …

Aber wie kommt es, dass Sie große Gruppen nicht fürchten?

Nun – wenn ich ein Stück für einen Tänzer mache, gibt es bestimmte Möglichkeiten. Mit zwei Tänzern sind es doppelt so viele, mit fünf Tänzern fünfmal so viele … und wenn ich 20 habe, kann ich tun, was immer ich will. Ein Universum voller Konstellationen und Möglichkeiten.

taz: Otto Bubenicek, werden Sie den Rest Ihres Lebens in Hamburg verbringen?

Otto Bubenicek: Was für eine Frage! Natürlich kann man nie sagen, dass man irgendwo für den Rest seines Lebens bleiben wird – insbesondere als Tänzer. Da ist die Karriere sehr kurz. Ich bin 31, habe also noch sieben, acht Jahre – und das war‘s. Dann muss ich neu darüber nachdenken, was ich im Leben tun will.

Ist es nicht traurig, von Anfang an zu wissen, dass die Karriere so kurz sein wird?

Vor dem 30. Geburtstag denkst du nicht darüber nach. Bis dahin genießt du einfach das Tanzen – und irgendwann ahnst du, dass es bald vorbei sein wird. Das ist natürlich traurig. Andererseits ist dieser Zwang zur Veränderung eine Chance, etwas anderes zu machen. Ich musiziere zum Beispiel gern. Ich komponiere für die Choreografien meines Bruders – hauptsächlich elektronische Musik.

Sie sind in einer Zirkusfamilie aufgewachsen. Bereuen Sie manchmal, diese Welt verlassen zu haben?

Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Aber damals herrschte Kommunismus in Tschechien, was bedeutete, dass man erst mit 18 öffentlich auftreten durfte. Bis dahin wurden wir von einer Lehrerin des Konservatoriums unterrichtet. Sie entdeckte uns, als wir elf waren und sagte, wir seien fürs Ballett begabt. Das hat uns dann so gut gefallen, dass wir dabei geblieben sind.

Haben Sie Ihre Entscheidung fürs Ballett je bereut? Es zu einseitig gefunden?

Nein. Wir sind so erzogen, alles ganz zu tun. Mal dies, mal jenes probieren – das gab es in unserer Familie nicht. Ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht, nicht zu tanzen. Denn ich liebte es und wir hatten Spaß und alles ging wie von selbst: Wir kamen nach Hamburg und wurden schnell Solisten. Ich habe es immer genossen, aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich es nur zum Spaß mache. Ich liebe es, aber es ist auch ein Job.

Gibt es etwas, das Sie am Ballett hassen?

Nun ja, es ist sehr viel Arbeit. Du musst immer trainieren. Du musst immer wieder dieselben Übungen machen, immer mit deinem Körper kämpfen. Denn wenn du mal zwei, drei Tage nicht trainierst, lässt deine Kondition nach. Das ist einfach so – aber manchmal, wenn besonders viel Arbeit anliegt, denke ich: schon wieder … In solchen Momenten ist es wichtig, sich daran zu erinnern, warum du das machst: Du tanzt, weil du dich gern bewegst.

In Hamburg haben Sie alles erreicht, was Sie wollten. Wie könnten – tänzerisch – die nächsten Jahre aussehen?

In ein paar Jahren würde ich mich gern auf zeitgenössischen Tanz spezialisieren.

Ist das einfacher? Weniger anstrengend?

Einfacher nicht. Es ist auch hart. Aber deine Haltung muss nicht so perfekt sein wie im klassischen Ballett. Im zeitgenössischen Tanz kann man kann sich individueller bewegen, mehr improvisieren. Insofern ist es schon leichter für den Körper.

Wäre die Karriere anders verlaufen, wenn Sie nicht Zwillinge gewesen wären?

Schwer zu sagen. Natürlich wäre es anders gewesen. Und jetzt wird es definitiv anders sein. Mein Bruder verlässt Hamburg, und ich werde erstmals erfahren, wie es ist, allein zu sein.

War es eine bewusste Entscheidung, so lange zusammenzubleiben?

Nein, nie. Das Leben hat es so arrangiert. Wir hatten dasselbe Niveau, wurden zur selben Zeit Solisten … Und das war keine reine PR. John Neumeier ist sehr ehrlich. Wenn er einen von uns nicht mehr gut fände, würde er es sagen.

Sind Sie ein Zwillingspaar, das extreme Nähe braucht?

Alle eineiigen Zwillinge sind gern zusammen und alle kämpfen miteinander. Um Alltägliches. Wie es bei uns ist, werde ich noch entdecken müssen. Es kommt mir ein bisschen komisch vor zu sagen: Ich vermisse meinen Bruder. Das sagt man als richtiger Mann ja eigentlich nicht …

Würden Sie gern mitgehen?

Nein. Es gefällt mir immer noch in Hamburg. Außerdem möchte ich selbst entscheiden, was ich in meinem Leben mache. Das ist sehr schwer für mich.

Sie haben hier gemeinsam Rollen getanzt, die zwei Facetten einer Person offenbarten. Ist das für Zwillinge leichter?

Manchmal denke ich, die ganze Welt besteht aus zwei Gegensätzen: Plus und Minus, Yin und Yang. Ich glaube, als Zwillinge funktionieren wir genauso. Wie ein Ding – und seine Spiegelung. Dieser Vorgang ist allerdings widersprüchlich: Wir müssen zusammen sein, funktionieren aber auch wie Magneten, die einander abstoßen. Dasselbe passiert im Tanz. Wir können einander sehr gut folgen: Wenn mein Bruder langsamer wird, werde ich es auch. Er wiederum weiß, dass ich ihn, wenn es nötig ist, spiegeln werde. So können wir wirklich simultan tanzen.

Gab es nie Gefühle von Eifersucht?

Nein, im Gegenteil. Wenn mein Bruder etwas bekam und ich nicht, freute ich mich für ihn. Als wir jung waren, waren wir mal in dasselbe Mädchen verliebt. Und als er sie bekam, war ich sehr glücklich. Es war, als hätte ich sie bekommen.

Das ist ja sehr selten …

Ja. Und inzwischen haben wir einen verschiedenen Geschmack. Ich mag nicht die Frauen, die er mag und er wahrscheinlich nicht die, die ich mag.

Haben Sie je erwogen, nach Tschechien zurückzugehen?

Ja. Denn ich liebe dieses Land und seine Menschen. Und in Prag könnten sie jemanden gebrauchen, der das Ballett mit aufbaut. Das könnte ich vielleicht machen. Denn unsere Ballettschule dort war zwar sehr gut – aber es fehlt das Repertoire. Und vielleicht ist es an der Zeit, das Niveau dort zu heben, mit internationalen Tänzern und Choreografen. Und irgendwie halte ich es für meine Pflicht, meinem Land, in dem ich ausgebildet wurde, etwas zurückzugeben.