„Zum Staatsfeind stilisiert“

Der Politologe Peter Grottian wurde jahrelang vom Verfassungsschutz bespitzelt. Als Motiv vermutet er unter anderem einen Aufruf zum Schwarzfahren. Geheimdienste sind für ihn „strukturell reformunfähig und gehören deshalb abgeschafft“

INTERVIEW SASCHA TEGTMEIER

taz: Herr Grottian, wie sich jetzt herausstellt, wurden Sie offenbar jahrelang vom Verfassungsschutz überwacht. Sind Sie ein Staatsfeind?

Peter Grottian: Nicht ich bin ein Staatsfeind, sondern ein Verfassungsschutz, der außerparlamentarische Initiativen wie die unsere bespitzelt. Der Verfassungsschutz untergräbt damit die Demokratie.

Wie erklären Sie sich, dass Sie ins Visier des Verfassungsschutzes gekommen sind?

Das ist ja das Beunruhigende. Normale, engagierte Bürger, die ein bisschen radikal sind und ein bisschen radikaler protestieren, können ihre Bürger- und Menschenrechte nicht mehr ausüben, ohne dass der Verfassungsschutz dabei ist. Wir werden zu Staatsfeinden hochstilisiert. Das zeigt, wie ängstlich die Herrschenden sein müssen, wenn sie diese völlig maßlose Kontrolle ausüben wollen.

Der Verfassungsschutz lässt durchblicken, er habe lediglich die „linksextremistische Einflussnahme“ auf Ihr Berliner Sozialforum beobachtet. Wollte der Geheimdienst Sie in Wirklichkeit vor Linksradikalen schützen?

Diese Ausrede ist lächerlich. Man wird bei uns nach drei Sitzungen sehr wohl merken, dass wir zwar mit Autonomen eine Reihe von Aktionen zusammen gemacht haben, dass wir aber nicht gerade umstürzlerisch und gewaltbereit sind. Der Verfassungsschutz ist offensichtlich eine vollkommen dilettantische und inkompetente Behörde.

Bedeutet dieser Dilettantismus, dass der Berliner Verfassungsschutz erneut reformiert werden muss?

Solche Apparate kann man nicht reformieren. Sie sind strukturell reformunfähig und gehören deshalb abgeschafft. Sie richten mehr Schaden an, als dass sie nützen. Alles, was in den Verfassungsschutzberichten bisher zu lesen war, waren keine realen Gefahren für die Demokratie.

Was hat das Interesse der Spitzel an Ihnen drei Jahre lang erhalten?

Die Aktionen gegen die Hartz-Gesetze könnten den Verfassungsschutz interessiert haben. Da haben wir mit Attac und Autonomen zusammengearbeitet. Auch unser Aufruf, in den öffentlichen Verkehrsmitteln Berlins schwarzzufahren, um gegen die Abschaffung des Sozialtickets zu protestieren. Diese Formen des zivilen Ungehorsams mögen gegen Gesetze verstoßen. Sie gehören aber zu unserer Gesellschaft dazu wie das Salz zur Suppe.

Welche Konsequenzen fordern Sie von der Politik?

Wir fordern Akteneinsicht und den sofortigen Stopp der Bespitzelung. Außerdem verlange ich eine Stellungnahme des Berliner Senats, ob er die Bespitzelung angeordnet hat. Für mich wäre das besonders makaber. Denn Innensenator Körting hatte mich 2002 nach einer gemeinsamen Aktion gegen Gewalt am 1. Mai vorübergehend unter Personenschutz gestellt – nachdem Autonome mein Auto in die Luft gejagt hatten. Vor allem soll sich die Linkspartei eindeutig äußern. Denn sie sitzt am Koalitionstisch, und gleichzeitig wurden Leute von ihr beim Sozialforum bespitzelt.