: Hauptsache, die Festung wird gehalten
DOKUMENTAR-THEATER „Frontex Security“ ist textlastiger Frontalunterricht in Sachen europäische Grenzsicherung. Hans-Werner Kroesinger entlarvt im HAU den Zynismus einer mächtigen Institution und ihrer Sprache
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Nein, eine Jingle-Melodie taucht nicht auf in Hans-Werner Kroesingers Inszenierung „Frontex Security“. Doch sonst ist alles vorhanden, um der Agentur zum Schutz von Europas Außengrenzen das glatte Gesicht eines äußerst servilen Dienstleistungsunternehmens zu verleihen. Bilder von Schiffbrüchigen, von Abgeschobenen, von Asylsuchenden sieht man nicht in dieser Präsentation auf der Theaterbühne. Stattdessen verfolgt der Text die vielen Verästelungen einer wachsenden Branche, die doch „nur ausführt, was die Politik verlangt“, so ein Refrain in den Selbstaussagen von Frontex-Leitern und Verwaltungsräten. Und ganz nebenbei gut mit den Entwicklern von Drohnen, Satelliten und Hubschraubern zusammenarbeitet und sich als Avantgarde der technischen Entwicklung inszeniert.
Kein anderes Medium und keine pädagogische Anstalt traut sich heute noch, so einen textlastigen Frontalunterricht zu geben wie der Regisseur Hans-Werner Kroesinger. Es ist ein Bombardement mit Informationen, die seine vier Schauspieler in etwas mehr als zwei Stunden auf das Publikum niederprasseln lassen. Aber es ist auch ein kleinteiliges Abtasten der Sprache einer Institution, die sich mithilfe der Sprache von den Menschen, über deren Leben sie entscheidet, distanziert.
Die Selbstdarstellung von Frontex, zusammengeschnitten etwa aus Interviews mit Illka Latinen, ihrem Leiter, wird durchsetzt mit einer Chronologie der Veränderungen der rechtlichen Struktur. Viele kleine Stellschrauben wurden seit den 90er Jahren gedreht, um aus Migranten illegale Flüchtlinge zu machen, die den Boden, auf dem ein Recht sie schützen würde, möglichst gar nicht erst erreichen sollen. Es ist ein komplexes Werk der Verlagerung von Zuständigkeiten und Verantwortung, um einerseits das Asylrecht zwar nicht auszuhebeln, aber gar nicht erst zur Anwendung kommen zu lassen, und andererseits an den Außengrenzen Europas Frontex die Macht der Definition darüber zu erteilen, wer ein „unbescholtener Reisender“ und wer „illegal“ ist.
Eine Europa-Flagge mit gelben Sternen auf blauem Grund hängt im Hintergrund der Schreibtisch-Täter. Gelegentlich heftet einer der vier um Effizienz besorgten Mitarbeiter den einen oder anderen neuen Stern an für jene Länder, die der EU beitreten können, sofern sie denn ihrerseits helfen, Europas Außengrenze dicht zu halten. Aus dem Nebeneinander der Sterne wird plötzlich ein scharfkantiges Ineinandergreifen mechanischer Glieder; ein Kettenschluss, der zermalmt, was hindurch will.
Das ist zwar nur ein symbolisches Bild, das nebenbei entsteht. Aber gerade in diesem Nebenbei liegt etwas von der Logik, die „Frontex Security“ auf der Bühne offen legt. All die Ertrunkenen, die auf dem Weg nach Europa Untergegangenen, oft mangels Hilfeleistung, werden zu einem Nebenbei in der Logik von Frontex. Gegen Hunderte, die umgekommen sind, setzt die Agentur eine Zahl von Tausenden, die sie gerettet haben will. Wo und wie, erklärt sie nicht.
Kroesinger kommentiert nicht, er sampelt das Material der beteiligten Institutionen, er schneidet aus den Bergen juristischer Regelungen kleine Schnipsel heraus. Und doch würde man kein Aktenstudium solange ohne Unterbrechung aushalten, wie man diesen Mitteilungen hier zuhören kann.
Für den zweiten Teil des Stücks wechselt das Publikum den Ort und das Stück die Perspektive. Man sitzt nun näher an der Spielfläche, die jetzt die Insel Lampedusa darstellt, die sich zunächst als Touristenziel empfiehlt. Es ist ein zynisches Spiel, wenn in der Sprache der Touristenwerbung dann die Aufnahmelager für die auf der Insel gestrandeten Migranten beschrieben werden. Man lernt die Bürgermeisterin von Lampedusa kennen, heftig und wütend kritisiert sie die europäische Flüchtlingspolitik. Und macht den interessantesten Vorschlag des Abends: Ließe man diese Migranten ein und arbeiten und Geld nach Hause schicken, wäre das die beste Hilfe zur Selbsthilfe, die sie sich denken kann.
Natürlich bräuchte es dazu auch Geld. Aber tatsächlich hat man im Laufe des Abends öfters davon gehört: etwa von dem auf über hundert Millionen Euro gewachsenen Etat von Frontex oder von den Mitteln zur militärischen Aufrüstung der italienischen Marine, um den Mittelmeerraum zu kontrollieren. So lässt die Inszenierung wenigstens den Gedanken aufblitzen, eine andere Politik wäre möglich. Und das ist dann doch viel angesichts der wiederholten Behauptungen zuvor, dass alles, was Frontex tut, unumgänglich und notwendig sei.
„Frontex-Security“ vom 18.–21. 12. um 20 Uhr im HAU1