: Glückliche Lehrer kritisieren Schulsystem
PädagogInnen sind laut einer Studie zufriedener mit ihrem Job als vor acht Jahren. Allerdings sprechen sie sich für mehr Ganztagsschulen und für längeres gemeinsames Lernen aus. Das Sitzenbleiben soll den Schülern nicht erspart werden
aus BERLIN JAN ZIER
Gewalttätige Schüler, hilflose Eltern, überforderte Pädagogen: In den vergangenen Monaten erscheint der Lehrer zumeist als bemitleidenswertes Opfer – nicht erst seit die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln Schlagzeilen machte.
Eine gestern veröffentliche Umfrage des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) zeigt nun: Die Lehrer fühlen sich gar nicht so schlecht, sogar besser als vor acht Jahren. 83 Prozent aller befragten PädagogInnen würden sich heute erneut für ihren Beruf entscheiden – 79 Prozent waren es 1998. Unter den HauptschullehrerInnen ist die Zufriedenheitsquote damals wie heute etwas geringer.
Das so genannte Burnout-Syndrom – der völlige Erschöpfungszustand – ist der Studie zufolge nicht verbreiteter als vor zehn Jahren. Schon in den IFS-Untersuchungen von 1995 und 1998 fühlte sich jeder siebte Lehrer ausgebrannt. Hauptschullehrer geht es dabei insgesamt am schlechtesten. Frauen und Männer fühlen sich hingegen etwa gleich ausgebrannt. Am seltensten trifft es die SchulleiterInnen: Unter ihnen leiden gerade einmal sechs Prozent am Burnout-Syndrom.
Dem Schulsystem hingegen stellen die LehrerInnen ein schlechtes Zeugnis aus: Jeder zweite Befragte erteilte der Dreigliedrigkeit nur ein „befriedigend“ oder „ausreichend“. Eine Entwicklung, die uns „bedenklich stimmt“, so Wilfried Bos vom IFS.
Zunehmend einig sind sich die LehrerInnen über die Frage, was sich ändern muss: Zwei Drittel der Befragten fordern mehr Ganztagsschulen. 1998 noch lehnte jeder Dritte dies ab. Inzwischen hat sich die Zahl der Gegner halbiert. Und so lobte die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, die Lehrerschaft gestern als „außerordentlich reformbereit“. Selbst Hans-Günter Rolff vom IFS meinte, dass „ein Ruck durch die Lehrerschaft“ gegangen sei.
Dafür spricht, dass mittlerweile 56 Prozent für eine längere gemeinsame Schulzeit aller Kinder nach der Grundschule votieren. Vor acht Jahren waren es gerade einmal 24 Prozent – mehr als die Hälfte der Befragten lehnte ein solches Vorhaben seinerzeit ab. In den östlichen Bundesländern wollen sogar drei Viertel der LehrerInnen die gemeinsame Schule für alle.
Weniger im Sinne der GEW hingegen ist der Einstellung der Lehrerschaft zum Sitzenbleiben: Zwar hat sich die Quote derer, die es abschaffen wollen, seit 1998 verdreifacht. Mehrheitlich wird die Maßnahme gleichwohl abgelehnt.
Damit stellen sich die Lehrer hinter Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). „Man kann Lehrern nicht dieses Sanktionsmittel nehmen“, sagte sie am Wochenende. Auch die KultusministerInnen Bayerns und Hessens, Siegfried Schneider (CSU) und Karin Wolff (CDU), sind dagegen, das Sitzenbleiben grundsätzlich abzuschaffen.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) hatte gefordert, das Sitzenbleiben durch mehr Schülerförderung „so weit es geht überflüssig zu machen“. Unterstützung erhielt sie nicht nur von der GEW, sondern auch von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Durch das Wiederholen von Klassen, so der CDU-Politiker, „wird die Motivation genommen, weiter zu lernen“. Demmer übte scharfe Kritik an Annette Schavan: Wer das Sitzenbleiben als „Disziplinierungsmittel“ verteidige, habe von der Schulpraxis „keine Ahnung“.