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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Wir sind in einer historischen Situation“

Sven-Christian Kindler hat einen „Grünen Sanierungsplan“ entworfen, der Wege aus der Wirtschafts- und Finanzkrise suchtJETZT ODER NIE Auch Sven-Christian Kindler muss mal abschalten, wenn er Fußball spielt oder Badminton: Aber sich an der Krisen-Diskussion im Bundestag zu beteiligen, hält er für eine Art Staatsbürgerpflicht: Mit seinem Sanierungsplan will er der Debatte endlich zur nötigen Breite verhelfen

Sven-Christian Kindler, 25

■  lebt in Hannover und vertritt – als jüngster Abgeordneter der Bundestagsfraktion – die Grünen im Haushalts- und im Rechnungsprüfungsausschuss. Bis zur Wahl war er einerseits Sprecher der Grünen-Jugend Niedersachsen, andererseits Controller bei der Bosch Rexroth Pneumatics GmbH, wo er zuvor den betrieblichen Part seines Dualen Studiengangs BWL an der Leibniz-Akademie absolviert hatte. Zu den Grünen gekommen ist er über die Pfadfinder: Prägend sei diese Zeit nicht nur wegen klassischer Naturerfahrungen gewesen, sondern auch durch die Konfrontation mit dem Thema Armut/Hartz IV. Kindler ist Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne, das als rot-rot-grüner Think-Tank gilt und Mitinitiator der informellen „Oslo-Gruppe“.

■  Sein „Grüner Sanierungsplan“ sucht Wege aus der Wirtschafts- und Finanzkrise und soll eine breite öffentliche Debatte anregen. Online lässt die sich unter www.gruener-sanierungsplan.de führen. Foto: Grüne Jugend

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Kindler, tagt der Haushaltsausschuss mittlerweile nonstop?

Sven-Christian Kindler: Ganz so weit ist es noch nicht.

Aber Nachtsitzungen gibt’s schon öfters?

In den letzten Wochen war es sehr turbulent, noch verschärft durch das schwarz-gelbe Chaos mit Köhler-Rücktritt und Dauerstreit: Erst hatten wir das Eilverfahren zu den Kredithilfen für Griechenland, dann das zu denen für den gesamten Euro-Raum, es gab Anhörungen, Beratungen mit dem Ministerium, – es sind sehr stürmische Zeiten gerade, und es geht um historische Entscheidungen …

Und Sie als Parlaments-Neuling mitten drin: Hätten Sie nicht manchmal gern mehr Routine?

Dass ich neu im Parlament bin kann auch ein Vorteil sein …

Weil Ihnen niemand die unsoziale Sparpolitik der rot-grünen Regierung vorwerfen kann?

Es gab positive Erfolge unter Rot-Grün, wir brauchen aber auch eine kritische Analyse der rot-grünen Regierungszeit. Das ist wichtig. Wir sind da bei den Grünen seit Beginn der Oppositionszeit auch gut vorangekommen, die Beschlüsse zur Friedenspolitik, zur Grundsicherung und Infrastrukturausbau, der Green New Deal – das geht für mich alles in die richtige Richtung. Aber Vor- oder Nachteil – das lässt sich nicht verallgemeinern. Langjährige Parlamentserfahrung ist sicher etwas wert. Umgekehrt kann ich gerade dadurch, dass ich neu reinkomme, also mit neuen Ideen und anderem Hintergrund, auch andere Schwerpunkte setzen. Es ist so, dass es gerade sehr spannend ist – für alle.

Dabei bleibt das Thema unpopulär: Jeder weiß, da ist die Krise. Aber wer will sie schon an sich heranlassen?

Es spüren sehr viele Menschen, dass sich etwas grundlegend ändern muss, dass es so nicht mehr weitergehen kann: Da ist die Angst vor der Verschuldungskrise, die eine Folge der Finanz- und Verteilungskrise ist. Und dann haben wir noch verschiedene andere Krisen, die wir nicht vergessen dürfen, die Klimakatastrophe, die globale Hungerkrise, die Spaltung zwischen Arm und Reich …

Ja eben! Da sagt doch jeder: Bleib mir damit bloß vom Leibe, ich bin froh, wenn ich das verdrängt bekomme: Ich will jetzt lieber Fußball gucken – oder spielen. Nur Sie nicht?

Klar muss auch ich mal abschalten, wenn ich Fußball spiele oder Badminton, wenn ich mich mit meinen Schwestern oder meinen Eltern treffe, ein Buch lese – im Park in der Sonne: Manchmal mache ich auch Feierabend nach einem 14 Stunden-Tag. Mir ist es ja auch wichtig, auf dem Boden zu bleiben – also mich eben nicht zu sehr an den Betrieb anzupassen und auch mit Freunden und meinen Mitarbeitern zu reflektieren, was hier so läuft: Das sind ja schon krasse Machtstrukturen, hier in Berlin.

Aber?

Ich glaube, es wird zu viel verdrängt. Wir sind gerade in einer historischen Situation. Es entscheidet sich jetzt: wie geht es weiter mit Europa, wie mit der Euro-Zone und ob die Finanzmärkte stärker reguliert werden. Dass das jetzt nicht vor die Wand gefahren wird, ist für alle wichtig. Da wünsche ich mir manchmal mehr Bewusstsein dafür, dass das eben nicht „business as usual“ sein kann – sondern, dass man dafür grundlegende Strukturreformen angehen muss.

Bloß signalisiert das politische Handeln ja gerade keinen Aufbruch: Erst Griechenland-Hilfe, dann Euro-Stütze – man hechelt den Ereignissen hinterher. Das ist doch frustrierend! Ist nicht Ohnmacht das Leitmotiv der aktuellen Haushaltspolitik?

Also ich resigniere nicht. Und inhaltlich war ich sowohl für die Griechenland-Kredithilfen als auch für die Euro-Rettungsmaßnahmen. Makroökonomisch halte ich das auch nach wie vor für sinnvoll. Allerdings habe ich große Kritik an der Bundesregierung …

weil das Ja für die Griechenland-Hilfen zu spät kam?

Auch: Das hat es nicht nur teurer gemacht für Deutschland, das hat uns auch in der EU viel Ansehen gekostet. Und, dass weder Angela Merkel noch Guido Westerwelle auf die unerträglichen nationalistischen Ressentiments reagiert haben, die sich da auf dem deutschen Boulevard breit gemacht haben und oft genug auch in ihren eigenen Parteien, das war ein schwerer politischer Fehler. Aber die strukturellen Probleme sind ja viel dringlicher.

Welche?

Zum Beispiel wäre es nötig, eine aktive Finanzmarktregulierung voranzutreiben. Das geschieht aber nicht. Dann haben wir eine Währungsunion – aber noch immer keine abgestimmte europäische Wirtschaftspolitik. Man müsste die Haushalts-, die Steuer- und die Finanzpolitik koordinieren. Außerdem droht Europa, in die Rezession abzudriften, wenn überall harte Kaputtsparprogramme aufgelegt werden. Das wird die Verschuldung vergrößern und die Leistungsbilanzungleichgewichte verschärfen.

Warum?

Um da hinzukommen müsste auch Deutschland beispielsweise mit sozial-ökologischen Investitionen und einem gesetzlichen Mindestlohn seine Binnenkonjunktur stärken und seinen Leistungsbilanzüberschuss abbauen. Das alles müsste in den nächsten drei Jahren passieren, also bis die Kredithilfen auslaufen. Und da bin ich sehr skeptisch – und dass sich da so wenig rührt, ist auch ein Stück weit frustrierend.

Aber das würde ja auch bedeuten, noch mehr Schulden zu machen, deren Zinseszinsen auch Ihre Enkelkinder noch nicht abgezahlt haben. Haben Sie das Ziel der Generationengerechtigkeit ganz vergessen?

Natürlich nicht. Selbstverständlich muss man die Schulden begrenzen – aber doch nicht, indem man den Staat kaputtspart. Das wäre der falsche Weg.

Und Sie kennen den richtigen?

Mindestens einen gerechteren: Dazu gehört für mich, dass der sehr große Teil der Krisenlasten durch die Wohlhabenden getragen werden müsste.

Und wie soll das gehen?

Ich denke, dafür brauchen wir einen Dreiklang aus gerechten Steuererhöhungen, gerechten Strukturreformen und gerechten Einsparungen.

Schön. Und was heißt das?

Es kann doch einfach nicht gerecht sein, dass bei uns Vermögen so gering besteuert werden: Wenn wir da den Satz nur auf den Durchschnitt der Industrienationen anheben würden, nähmen wir rund 25 Milliarden Euro jährlich mehr ein. Das Gleiche gilt für den Umweltverbrauch. Auch da liegen wir im europäischen Vergleich ja niedrig. Es müssten also ökologisch schädliche Subventionen abgebaut und die Ökosteuer angehoben werden: Das ist ja eine Mengensteuer.

Sie wird pro verkaufter Einheit erhoben, klar.

Das führt aber dazu, dass es keinen Inflationsausgleich gibt: Um bei der Mineralösteuer auf das Einnahmenniveau von 2005 zu kommen, müsste die um 7,3 Cent pro Liter angehoben werden. Außerdem bräuchten wir ein aktives Controlling des Staates. Das betrifft viele öffentliche Strukturen, einschließlich der Versorgung von MinisterInnen und Abgeordneten – oder fänden Sie es vielleicht gerecht, dass wir nicht in die staatliche Rentenversicherungen einzahlen müssen? Und sparen muss man, drittens, auch – aber eben gerecht.

Das geht?

Warum denn nicht? Es gibt Bereiche wo man sparen kann: Die Wohnungsbauprämie, die Pendlerpauschale, der Bau des Berliner Stadtschlosses, das nationale Raumfahrtprogramm, die Förderung der privaten Altersvorsorge …

Ui, das hören jetzt die Bremer ungern: Das Raumfahrtprogramm ist doch da ein großer Jobmotor. Sind so große Entwürfe wie Ihr „grüner Sanierungsplan“ nicht untauglich, weil niemals konsensfähig? Ist Merkels Politik der kleinen Schritte nicht wirklich alternativlos?

Alternativlos ist nur, dass wir uns jetzt Gedanken darüber machen, wie wir in den nächsten 30 Jahren leben wollen. Denn unsere Finanz- und Haushaltspolitik angesichts der Krise entscheidet zentral über unsere künftige Gesellschaft. In diese Diskussion müssen sich BürgerInnen, Initiativen, Zivilgesellschaft und Verbände einbringen. Und dafür ist mein Konzept da, dafür stelle ich es auf öffentlichen Veranstaltungen und im Internet zur Debatte.

Aber mit welchen Erfolgsaussichten?

Natürlich gibt es starke Lobbygruppen, die verhindern wollen, dass wir eine generationengerechte, aber auch ökologische und soziale Haushalts- und Finanzpolitik machen. Das ist mir klar. Aber wir müssen jetzt damit anfangen. Weil wir ja wissen: So wie wir haushalten, arbeiten und leben – das ist nicht zukunftsfähig. Wir müssen da ran.