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Archiv-Artikel

Last unabhängiger Forschung mit und für eine Partei

STUDIE Franz Walter untersucht im Auftrag der Grünen die Pädophiliedebatte der Grünen. Das Dilemma war vorprogrammiert

Franz Walter und seine Mitarbeiter machen bei diesem Projekt nicht nur Wissenschaft, sondern auch Politik – gezwungenermaßen

BERLIN taz | Die Göttinger Wissenschaftler um Franz Walter erwähnen die heikle Gemengelage lieber gleich selbst. Im Vergleich zu anderen Studien führten sie die zur Pädophiliedebatte bei den Grünen „zweifelsohne unter erschwerten Bedingungen“ durch, schreiben sie zu Beginn ihres Zwischenberichts. Einerseits könne ihrem Auftraggeber – den Grünen – ein Interesse an einer günstigen Darstellung nachgesagt werden. Andererseits wünschten sich Gegner der Partei diskreditierende Details.

Besser kann man das Dilemma, in dem der Politologe Walter steckt, kaum beschreiben. Er macht bei diesem Projekt nicht nur Wissenschaft, sondern auch Politik – gezwungenermaßen. Im Mai dieses Jahres hatten die Grünen sein Institut für Demokratieforschung mit der Studie beauftragt. Walter sollte erforschen, wie pädophile Gruppen bei den Grünen Einfluss bekommen konnten. Dem vorgelegten Zwischenbericht wird Ende 2014 ein Abschlussbericht folgen.

Noch kurz vor Beginn des Bundestagswahlkampfs sah sich die Partei zu dem Schritt genötigt. Medien hatten mehrfach über pädophile Verstrickungen in der Frühzeit der Grünen berichtet, mit der Aufklärung wollte die Partei in die Offensive gehen. Der Auftrag, der die Grünen gut 200.000 Euro kostet, wurde auf Bestreben Walters weit gefasst. Es geht ihm nicht nur um die Partei, sondern um den damaligen Zeitgeist der sexuellen Liberalisierung, um Milieus, kurz: den gesellschaftlichen Kontext. Diesem Ansatz versuchen die Forscher gerecht zu werden. Legitimationshilfen für pädophile Forderungen hätten „keine originär grüne Affinität“ gehabt, schreiben sie in dem Zwischenbericht. Vielmehr seien die pädophilen Avancen in der Partei Resultat eines breiten Diskurses, „der über das mit 1968 chiffrierte linke Lager hinausreichte und liberale Gruppierungen des Bildungsbürgertums umfasste“.

Um zu gewährleisten, dass die Forscher frei vorgehen, haben die Grünen zusammen mit diesen deren Unabhängigkeit vertraglich festgelegt. Walter und seine Mitarbeiter dürfen ihre Erkenntnisse veröffentlichen, wann und wo sie wollen. „Wir forschen weder für noch gegen eine Partei“, schreiben sie.

Ein schöner Satz, der in der Realität aber sehr schwer umzusetzen ist. Das beste Beispiel lieferte ein Debattenbeitrag, den die Göttinger in der Woche vor der Bundestagswahl in der taz veröffentlichten. Darin kritisierten sie unter anderem die „Sprachlosigkeit der grünen Führungsriege“.

Für Aufregung sorgte eine Information über den damaligen Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin. Der Recherche der Forscher zufolge war er 1981 für ein Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) in Göttingen presserechtlich verantwortlich. Das Programm plädierte im Abschnitt „Schwule und Lesben“ für die strafrechtliche Freistellung von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen, die nicht unter Anwendung und Androhung von Gewalt zustande kamen – und war damit auf Linie des Bundesprogramms.

Presserechtliche Verantwortlichkeit bedeutete nicht, dass Trittin solche Positionen jemals geteilt hätte. Dennoch wurde die Geschichte bundesweit aufgegriffen und skandalisiert. Viele Grüne ärgerten sich damals über die Informationspolitik Walters und die Berichterstattung der taz, weil ihnen die Nachricht im Wahlkampfendspurt wahrscheinlich relevant schadete.

ULRICH SCHULTE