: Die belgische Kultur der Sackgassen
EU Belgien übernimmt Ratspräsidentschaft. Kann das gut gehen?
BRÜSSEL taz | Das Chaos im eigenen Land gilt Belgiern geradezu als Befähigungsnachweis für eine Führungsrolle in der Europäischen Union. Schließlich seien die Europäischen Institutionen nirgendwo so gut aufgehoben wie in der Hauptstadt eines Landes, das seit Jahrzehnten mit gegensätzlichen Kulturen, Mentalitäten und Sprachen zurechtkommen muss. Der Erfolg, den der belgische Politiker Herman Van Rompuy in seinen ersten Amtsmonaten als europäischer Ratspräsident verbuchen kann, stützt diese These. Man merkt dem Mann an, dass er als belgischer Ministerpräsident gelernt hat, aus ausweglos erscheinenden Sackgassen herauszufinden und die Probleme zu lösen.
Doch leider hat der Lissabon-Vertrag die rotierende, sechs Monate dauernde Ratspräsidentschaft nicht abgeschafft. Parallel zum ständigen Ratspräsidenten besteht sie weiter und spielt vor allem für die monatlichen Sitzungen der Finanzminister eine unverändert wichtige Rolle. Zum 1. Juli übernimmt Belgien diese Aufgabe von der spanischen Regierung. In Brüssel fragt man sich, ob das auf Monate hinaus in Koalitionsverhandlungen verstrickte politische Führungspersonal des Königreichs nebenbei erfolgreich diese Aufgabe meistern kann.
Jean de Ruyt, Belgiens Botschafter bei der EU, versuchte die Bedenken in den vergangenen Wochen im Keim zu ersticken. Sein Land übernehme diese Aufgabe nun zum zwölften Mal – da dürfe man „Expertise und Erfahrung“ voraussetzen, erklärte er. Und der Ministerpräsident der deutschen Sprachgemeinschaft erinnerte daran, dass der letzte belgische Vorsitz 2001 die „Erklärung von Laeken“ eingefädelt habe, die zur Bildung eines Verfassungskonvents und schlussendlich zum Vertrag von Lissabon führte.
In der Tat hat Belgien vor neun Jahren sein EU-Halbjahr überaus erfolgreich über die Bühne gebracht, obwohl der Staat schon damals von einer innenpolitischen Krise in die nächste geriet. Den Vorsitz in den Fachministerräten übernimmt nach einem exakt ausgeklügelten Rotations- und Proporzsystem jeweils ein regionaler Landwirtschafts-, Verkehrs- oder Energieminister. Gerangel hätte es vor der Lissabonreform vielleicht um die Außenpolitik geben können. Doch für die ist nun Catherine Ashton als Ständige Außenpolitische Vertreterin der EU zuständig. Die belgischen Europapolitiker können sich auf die Finanzkrise, die künftige europäische Wirtschaftsregierung und die Klimaverhandlungen konzentrieren.
DANIELA WEINGÄRTNER